200 Jahre Stille Nacht
Die Predigt betrachtet die Entstehungsgeschichte des Liedes, seine Rolle beim „Weihnachtsfrieden 1914“, und das lachende Jesuskind, das uns manchmal auch auslacht.
Nach den einzelnen Abschnitten werden die Verse des Liedes gesungen, wobei es jedes mal einen Auftrag gibt „wie“ das Lied jetzt mal gesungen werden sollte.
Liebe Gemeinde,
200 Jahre alt ist das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht”.
200 Jahre – von vielen geliebt wie kein Anderes. „Erst wenn das Licht am Ende des Gottesdienstes ausgeht und wir Stille Nacht singen, dann ist es wirklich Weihnachten” – das höre ich immer wieder
Andere Menschen können diesem Lied so gar nichts abgewinnen – zu schlicht, zu kitschig.
Manchmal ist es nicht verkehrt, einen Blick auf die Geschichte eines Liedes zu werfen. Um ein bisschen zu verstehen, was hinter diesen Zeilen steckt.
Denn eigentlich ist der Text noch 2 Jahre älter: Der junge Priester Joseph Mohr hat diese Zeilen 1816 geschrieben.
Gerade 24 Jahre war er da. Ein außergewöhnlicher junger Mann. Aufgewachsen in Salzburg, Sohn einer ledigen Mutter, der Vater war aus der Armee desertiert und verschwunden. Für damalige zeit eine Riesenschande. Als Pate hatte sich niemand anderes gefunden, als der Henker von Salzburg. Schlechter konnte ein Start ins Leben kaum laufen.
Aber Joseph Mohr war ein Junge mit vielen Talenten. Das entdeckte auch der örtliche Domvikar. Der ermöglichte dem kleinen Josef den Besuch des Gymnasiums und das Philosophiestudium. Später entschied Josef sich dazu, Priester zu werden – und nach vier Jahren im Priesterseminar trat er seine erste Stelle als Hilfspriester in Mariapfarr an.
Das war 1816 – und es waren schwierige Zeiten. Überall spürte man noch die Folgen der Kriege mit Napoleon. Salzburg fiel an Österreich und verlor ein Viertel seiner Bevölkerung. Und dann war da ein Sommer, der keiner war. Ein gigantischer Vukanausbruch in Indonesien hatte das Weltklima durcheinander gebracht. Die Temperaturen fielen, es gab verheerende Unwetter, und in Teilen Europas Ernteausfälle, so dass die Lebenmittelpreise sich in manchen Regionen verdreifachten. Für viele Menschen stand die Welt auf dem Kopf.
In jenem Jahr schrieb Josef Mohr sein Gedicht „Stille Nacht, heilige Nacht”. Sechs Strophen hatte es.
Sechs Strophen – Verse gegen die Verzweiflung in scheinbar hoffnungsloser Zeit.
Verse die von Jesus als unserem Bruder sprechen, von Gott, der unsere Welt vor Schlimmerem verschonen will.
Ein Trost-Lied für seine Gemeinde – vielleicht auch für ihn selbst.
Ein Jahr später wird Mohr nach Oberndorf versetzt. Eine kleine Gemeinde 20 km nördlich von Salzburg. Dort freundet er sich mit dem Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber an. Auch er ist noch jung, verdienst sich als Organist der Kirchengemeinde ein bisschen Geld dazu.
Ja … und dann passierte etwas, was Pfarrer und Organisten bis heute kennen: Dass der Pfarrer am Heiligen Abend auf dem letzten Drücker mit irgend einer Idee kommt: Du, ich hab da ein Gedicht, da könnt man doch ein Lied draus machen. Due hast doch immer so schöne Ideen für einfühlsame Melodien. Schaffst du das bis heute Abend?
Franz Xaver Gruber hat es geschafft, und so haben der Pfarrer Mohr und der Lehrer Gruber, zur Gitarre nach dem Ende der Christmette ihrer kleinen Gemeinde das Lied zweistimmig vorgesungen.
Stille Nacht war geboren.
Ich möchte jetzt den ersten Vers mit Ihnen singen. Ein bisschen so, wie damals vor 200 Jahren. Ich denke, dass sich die beiden Männer ihrer Sache ja auch nicht 100%ig sicher waren – wer weiß, wie oft die es zusammen proben konnten.
Vielleicht schaffen wir es ja auch. Diesen Vers leise, sich von Zeile zu Zeile tastend singen.
Wohl auch mit dem inneren Bild: Dass da jetzt ja das Kind in der Krippe schläft, und nicht von uns geweckt werden soll.
VERS 1
Josef Mohr ist mit 56 Jahren gestorben. Er hat nicht mehr erleben können, mit welchem Erfolg sich sein Lied über Europa und schließlich in die ganze Welt verbreitet hat. Es heißt, dass es in über 300 Sprachen und Dialekte übersetzt worden ist.
Aber nicht diese Zahlen sind das Wichtige – eher, was dieses Lied ausdrückt. Der Blick auf einen Gott der zu denen kommt, die ihn wirklich nötig haben.
Die Sehnsucht, die in den Worten der Verse gar nicht so sehr zu finden ist, sondern eher im Gesamten des Lieds zu spüren ist.
Im zweiten Vers greift das Lied die Szene auf den Feldern bei den Hirten auf. Sie hocken im Dunkel, vielleicht lodert irgendwo ein Lagerfeuer. Eine triste Angelegenheit. Da mitten hinein kommt die Botschaft der Engel. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden”. Licht im Dunkel – draußen auf dem Feld. Plötzlich kommt die Botschaft, die alles verändert.
Knapp 100 Jahre nach dem ersten „Stille Nacht” hocken auch viele nachts draußen auf den Feldern in der Kälte – am Heiligen Abend. Dunkel ist es – nass und dreckig. Am 24. Dezember 1914.
Sie hüten keine Schafe und sind auch keine Hirten. Sie sind Soldaten und hüten die Westfront in Flandern. Auch am Heiligen Abend im Jahr 1914. Deutsche auf der einen und Engländer auf der anderen Seite. Sie hocken in ihren Schützengräben, bereit auf alles zu schießen, was sich auf der Gegenseite bewegt.
Aber an diesem Abend geschieht, was keiner für möglich gehalten hätte. Die Deutschen stellen kleine Weihnachtsbäume an den Rand der Schützengräben. Einige Kerzen dazu. Weihnachten mitten in der Hölle des Stellungskriegs.
Da sehen sie auf der anderen Seite auch Lichter – Kerzen. Und sie hören Rufe: „Frohe Weihnachten – Soldaten”. Bald rufen sie auf englisch zurück „Merry Christmas – Soldier”. Es wird gewunken – und es fällt kein Schuss.
Dann rufen welche, man könne sich doch in der Mitte treffen.
Soll man das wagen? Die sichere Deckung verlassen? Was, wenn es eine Falle ist? Schließlich gibt es kein Halten. Deutsche und Engländer rennen aufeinander zu. Einige zunächst mit erhobenen Händen. Im Niemandsland kommen sie zusammen. Glückwünsche. Man teilt Zigaretten. Proviant – die Engländer bringen Christmas-Pudding mit. Sie nehmen sich in den Arm – schließen Freundschaft – obwohl sie am Morgen noch aufeinander geschossen hatten. Sie tauschen Adressen aus, für die Zeit nach dem Krieg. Sie hatten es einfach satt, das Kämpfen und Blutvergießen.
Dann singen sie – Stille Nacht, Heilige Nacht – und die Engländer kennen das Lied auch” Silent Night, Holy Night”.
Ein Lied – zwei Sprachen – eine Melodie. Für ein paar Stunden „Friede auf Erden”. Nur für ein paar Stunden – aber immerhin.
Der Ruf der himmlischen Heerscharen erschallt nicht über einer Idylle. Er gilt einer Welt, die so viel braucht.
Frieden – Versöhnung – einen, der diese Welt mitnimmt, auf den schwierigen Weg der vorbehaltlosen Liebe.
Singen wir nun den zweiten Vers. Vielleicht schaffen wir es, den Ruf der Engel „Halleluja” und „Christ der Retter ist da” mit all seiner Wucht und Freunde erschallen zu lassen. Was umgekehrt bedeutet, dass wir die anderen Teile des Verses ein bisschen zurückhaltender singen können.
VERS 2
Stille Nacht, heilige Nacht! Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund, …
Ich gebe zu das ist nicht so mein Vers. Der ist mir schon ein bisschen zu kitschig … aber … so ein lachendes Jesuskind hat auch schon etwas.
Wenn ich Kleinkinder erlebe, wie sie kichern, und glucksen und sich scheinbar ohne erkennbaren Grund amüsieren, fröhlich sind. Das ist einfach schön.
Da haben die Kinder uns wirklich etwas voraus: da braucht es nicht viel, und das Haus ist voller Lachen und Heiterkeit. Da könnte man neidisch werden:
Denn diese Leichtigkeit ist uns ja oft genug abhanden gekommen. Weil wir als Erwachsene erkennen, das nicht alles so einfach und lustig ist, wie die Kinder sich das vorstellen. Wir tragen die Last der Verantwortung, wir kennen oft genug auch die Kehrseite der scheinbar schönen Dinge. Wir machen uns einen Kopf um die Zukunft, und oft genug bereitet uns auch noch die Vergangenheit trübe Gedanken. – So sind wir halt.
Kann es sein, dass Jesus auch in späteren Jahren noch etwas vom unbeschwert strahlenden Kind in der Krippe hat? Der sich einfach fallen lassen kann … in die Arme des himmlischen Vaters? „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; (…) Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.” (Mt 5,25f)
Und ich denke an die Männer, die zu ihm kamen um eine Ehebrecherin zu steinigen und da wollten sie seine Meinung. Und Jesus schaut gar nicht hin, sondern malt in aller Seelenruhe Bilder in den Sand.
Das war seine Art, sie auszulachen! Ja was wollt ihr denn von mir? Ihr kommt da aufgeblasen und selbstgerecht daher und habt selber genug Dreck am Stecken … habt ihr denn nichts besseres zu tun als diese Frau zu verurteilen? Sagt mal, ich hoffe, dass ihr euch in den nächsten 2000 Jahren Menschheitsgeschichte mal ein kreativeres Hobby sucht, als immer über die anderen herzuziehen.
Ich glaube Jesus hat mit uns viel zu lachen.
Wo ich meine, wieder alles 100%ig richtig machen zu müssen.
Wenn ich meine, Weihnachten kann nicht stattfinden, weil ja nicht alle Geschenke so gekommen sind, wie bestellt.
Wenn ich versuche, mir genau zu erklären, wie das mit Gott wirklich ist, weil dies oder jenes halt nicht mit meiner Vorstellung von Gott zusammenpasst.
Überhaupt wo ich mich mal wieder viel zu wichtig nehme und der Meinung bin, an meinem Handeln und Entscheiden hängt die Zukunft der Welt.
Da spüre ich ihn lächeln.
Ach du … du meinst es ja gut … aber vertrau mir:
Die Welt hat Gott in der Hand – und das ist auch gut so.
Und dass ER es gut mit euch Menschen meint, ist ja auch klar – hätte er sonst je die Idee gehabt- als Kind in der Krippe in eure Welt zu kommen?
Singen wir nun den dritten Vers.
Ach … hat ihnen schon jemand gesagt, das man es tatsächlich hören kann, ob jemand beim Singen breit lächelt? Ich denke, das sollten wir jetzt gleich mal versuchen.
VERS 3
Liebe Gemeinde,
So viel Stille Nacht, heilige Nacht!
Das 200 jährigen Jubiläum ist anscheinend an den Fernsehsendern auch nicht vorübergegangen. Keine Weihnachtsshow, ohne dass „Stille Nacht” nicht mindestens zwei Mal vorkommt. Einmal festlich, wie man es kennt, und dann irgendwie verwurstet als Gospel, Reggae, Hiphop oder sonstwie. Ein Fernsehabend und 8 mal „Stille Nacht”
Nunja, wenn man am Wochenende oder heute früh etwas ausführlicher einkaufen gegangen ist, hat man wahrscheinlich auch mindestens 4 mal „Last Christmas, i gave you my heart” gehört.
Weihnachten lebt die Wiederholung:
Chrisbaum – Kugeln – Krippenspiel – im Grunde feiern wir an Weihnachten alle Jahre das gleiche. Und es hängt uns doch nicht vom Hals raus.
„Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen;” hat Paul Gerhard in seinem Lied „Ich steh an deiner Krippen hier” gedichtet.
An Weihnachten kann man sich eigentlich nicht satt sehen.
Irgendwann kann man keine Plätzchen mehr sehen
irgendwann halte ich die blinkenden Lichterketten nicht mehr aus,
irgendwann schalte ich beim fünften Weihnachtslied in Folge das Radio aus.
Aber dass Gott mich liebt – dass er auch für mich dieses Kind auf unsere Welt geschickt hat – obwohl er doch weiß, wie ich so ticke … das bleibt geheimnisvoll und faszinierend – das kann ich nicht oft genug hören.
Amen