Predigt: Weihnachtsfreude: Wunschlos glücklich? (Szene und Erzählung) 18. Dezember 2005

Gemeinsamer Gottesdienst von Pfarern aus 7 Pfarreien im Dekanat Uffenheim
An diesem Gottesdienstentwurf haben mitgeschrieben:
Pfr. Jürgen Blum, Lipprichhausen
Pfr. Helmut Spaeth, Wallmersbach
Pfr. Alexander Seidel, Gollhofen

Anspiel (zweiteilig)

Szene 1: Ehekrach

Engel (E): „Freuet euch, denn der Herr ist nahe…“

Geht auf ein Ehepaar zu, das gerade dabei ist, Weihnachtsvorbereitungen zu organisieren.  Sie steht auf der Empore und räumt auf. Er betritt den Kirchenraum und geht pfeifend zu seiner Frau.

F: ruft von der Empore Ja du kommst mir gerade recht. Hast du eigentlich nichts im Hirn? Was hast du denn da wieder angestellt. Also ich sag dir: So feiern wir nicht Weihnachten! So nicht!

M: Was ist denn jetzt schon wieder los?

F: Da fragst du noch? Deine blöde Unordnung. Überall hinterlässt du Spuren. Im Wohnzimmer liegen Unterlagen. Im Schlafzimmer deine Wäsche. Und im Klo… Und das heute, wo doch deine Eltern und Tante Anna schon kommen! Und wir brauchen dein Arbeitszimmer. Kannst du nicht aufräumen?

M: Wieso soll ich? Ich habe dir gesagt, dass Tante Anna heuer nicht im Arbeitszimmer schlafen wird. Sie nicht. Das letzte Mal habe ich ein halbes Jahr gebraucht, um alle meine Sachen wieder zu finden. Tante Anna hat eigene Vorstellungen von Ordnung. Zum Publikum: Außerdem brauche ich die Familie sowieso wie einen Kropf.

F: Was hast du gesagt?

M: Nichts. Außer, dass Tante Anna nicht im Arbeitszimmer schläft!

F: ja wieso denn nicht? Die letzten Jahre hat das doch immer toll funktioniert. Und da soll sie heuer nicht hier schlafen, oder was?

M: Sag ich gar nicht. Sie kann ja im Zimmer über der Garage schlafen, oder in deinem Nähzimmer. Heftig: Aber bei mir im Arbeitszimmer nicht. Und ich sage es gerne noch einmal: Tante  Anna  hat da nichts zu suchen! Wäre ja noch besser. Ich lass mir doch nicht alles gefallen. Letztes Jahr hat sie mich zitiert: „Heinz, bei deiner Steuererklärung hast du Fahrten mit deinem Privatauto zum Dienst angegeben. Steht dein Dienstwagen nicht immer vor der Tür…“ Blöde Kuh. Kramt in meinen Unterlagen und verrät mich dann noch im Finanzamt.

F: Ach, sie meint es doch nur gut!

M: Quatsch. Sie spioniert uns aus, hat keinen Respekt vor unserer Privatsphäre, und sperrt dann auch noch ab, wenn ich einmal zum Arbeiten in mein Zimmer möchte. Tante Anna kommt nicht ins Arbeitszimmer. Ende!

F: Was? Jetzt habe ich den ganzen Tag aufgeräumt, damit sie kommen kann, und du lässt sie nicht rein! Das find ich gemein. Überlege es dir noch einmal.  Arbeit weiter: Ich überziehe schon mal das Sofa im Arbeitszimmer.

M: NEIN! Hast du mir eigentlich nicht zugehört? Oder hörst du absichtlich weg? Anna kommt nicht in mein Arbeitszimmer!!

F: Ach sei nicht so.

M: Doch!

F: Was hast du eigentlich gegen Tante Anna? Sie ist doch meine Erbtante.  Etwas sanfter, um den Mann zu überzeugen: Denk doch mal dran. Wie hat sie sich bei uns wohl gefühlt. Letztes Jahr. Und dann der Scheck. Den hast du doch ganz schnell eingelöst, oder?

M: War ja auch ein Weihnachtsgeschenk.  Zum Publikum: Und sauer verdient: „Junge bringst du mir mal meine Hausschuhe… Ach mir schmerzt mein Nacken…So ein Bier aus dem Keller wäre Recht…“  Waren echt sauer verdient die 1000.- Euro. Zur Frau: der Preis ist zu hoch! Die olle Anna schläft nicht im Arbeitszimmer!

F: jetzt wird sie sauer: Du bist ein Egoist! Nicht aufräumen, die ganze Arbeit mir überlassen, keine Weihnachtsgeschenke einkaufen, und dann noch Tante Anna aussperren! Dann gibt es eben keine Weihnachten!

E: Freuet euch, der Herr ist nahe. Bald kommt der Menschen Heiland…“

F: Nix Freude!! Wirft ein Kissen durch die Kirche. Mit so einem Mann ist alles vorbei. Alles, was ich so schön geplant habe, meine Hoffnungen. Ach, ach, ich bin so verzweifelt. Dreht sich um und weint.

Der Engel geht weiter. Schüttelt den Kopf. Dann entdeckt er zwei Männer:

Szene 2:  Arbeiter erfahren von ihrer Entlassung (Hintergund: Aktuelle Entschidung bei AEG in Nürnberg)

E: Freuet euch, denn der Herr ist nahe. Bald kommt der Menschen Heiland.

A: Ach kuck, wieder so ein Schaufenster-Engel. Also mir ist die Weihnachtsfreude gründlich vergangen. Von wem der wohl wieder ist. Auf letzt von der Firmenleitung aus Schweden. Das wäre der Hohn. Erst werfen sie uns raus, dann schicken sie einen billigen Engel hinterher um uns zu verarschen.

B: Dabei ist mir das Lachen gerade vergangen. So kurz vor Weihnachten. Und dann: Was soll ich bloß machen, wenn ich nächstes Jahr meinen Job verliere? Ich hab́doch gerade erst gebaut!

A: Und bei mir: Gerade jetzt, wo meine beiden Kinder studieren. Wir haben uns abgespart, damit sie ne gute Ausbildung bekommen, und jetzt arbeitet Michaela extra noch, damit das Geld langt.

B: Ja. Sie werfen uns einfach raus.

A: Ohne auf uns zu achten.

B: Ja. Und alles demonstrieren nutzt nichts. Haben wir uns denn nicht genug bemüht?

A: Ja. Aber nicht nur die Demos. Auch schon vorher: Lohnverzicht. Länger arbeiten. Keinen Urlaub habe ich heuer genommen, als wir Sonderschichten fuhren. Und ausgelastet waren wir ja.

B: Aber genutzt hat es nichts. Dabei wären Aufträge genug da. Aber sie sagen: wir sind zu teuer… Immer noch. Obwohl wir alles versucht haben.

A: Und dabei waren es die da oben, die keine Modernisierung mehr durchgeführt haben. Und jetzt werfen sie uns unsere mangelnde Modernisierung vor.

B: 60.- Euro zahlen sie drauf pro Stück. Dass ich nicht lache. Andere Firmen arbeiten viel besser.

A: Ja. Und produzieren erfolgreich in Deutschland. Aber wir sind halt nicht mehr modern.

B: JA. Und bestimmt wussten die das schon lange. Sonst hätten sie in Polen das Werk nicht so rießig ausgebaut. Hast du die Fotos im Internet gesehen? Mann, so modern und groß. Da wären wir auch billiger.

A: Die von der Gewerkschaft sagen, wir sollen kämpfen. Aber finde mal den Mut. Wenn alles nichts nutzt.

B: Und wenn die in Polen kämpfen, dann gehen die Manager halt nach Rumänien: Dort bringen die Arbeiter scheinbar noch Geld mit, damit sie arbeiten dürfen.

A: Das wäŕs. In Deutschland hat das mal ein Arbeiter versucht: Hat in einer Anzeige geschrieben, dass er umsonst arbeiten wird. Das war ein Rummel: man hat es ihm doch glatt verboten!

B: Naja. Aber manchmal hat man den Eindruck, dass selbst wenn wir umsonst arbeiten würden, es würde nichts ändern! Wir sind halt out. Wertlos. Ein Kostenfaktor. Sonst nichts.

A: Und was soll ich jetzt machen? Mit Kindern, die mein Gehalt brauchen?

B: Und Schulden, die bezahlt werden müssen?

A: Mir ist Weihnachten gründlich vergangen.

B: Man müsste es wie Karl machen.

A: Was hat der gemacht?

B: Abgesprungen. Neuen Job. In der Firma seines Schwagers. Macht jetzt auf Service.

A: Aber ich habe keinen Schwager, der eine Firma leitet. Legt den Kopf in die Hände Und ich brauch den Job auch nächstes und übernächstes Jahr noch. Dann wäŕs mir egal. Dann wäre ich in Rente.

B: Naja. Dann droht dir wenigstens Hartz vier nicht. Mir schon. Keine guten Aussichten!

A: JA. Und kein Fest. Übrigens, die Weihnachtsfeier haben sie abgesagt. Der Abteilungsleiter hat sich beschwert: Er findet es gerade jetzt wichtig, dass wir auch einmal an etwas anderes denken. Und da wäre die Geschäftsleitung gerne bereit gewesen, einen Sonderobolus springen zu lassen. Damit wir trotzdem feiern können.

B: Wir waren alle in Feierlaune. Deshalb haben sich auch ganze drei angemeldet.

A: Ne. Sollen sie alleine feiern. Ohne uns. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich zuhause feiern werde. Jetzt ohne Gegenwart.

B: Und ohne Zukunft.

E: Freuet euch, der Herr ist nahe, es kommt der Menschen Heiland…

A: Ach zieh weiter kleiner Engel. Gut gemeint, aber bei uns fällt Weihnachten aus.

 

Überleitung

Der Engel geht frustriert zu einem Schild, auf das er zuvor “FREUET EUCH” geschrieben hat, verhängt es mit einem schwarzen Tuch . – Musik – Dann kommt ein älterer Mann und hängt einen weißen Zettal an das schwarze Tuch. Daraufhin kommt eine dritte Person, die den Zettel abnimmt, und am Lesepult folgende Erzählung vorliest:

 

Mein unerwartetes Weihnachten

“Das haben Sie ja super hinbekommen…” das Lob des Arztes beim Blick auf die Röntgenbilder  hat mich von Anfang an nichts Gutes erahnen lassen. “Ein schöner glatter Bruch … den werden wir einrichten und gipsen, dann können Sie zu den Feiertagen wieder heim”.

Er wusste ja nicht, was “daheim” bedeutet – daheim, mit einem gebrochenen Unterarm und einen höllisch schmerzenden Rücken – allein. Es war das Aus für die Feiertage.

Seit dem Herbst war ausgemacht, dass ich zu meiner Tochter und ihrer Familie fahren würde, endlich mal wieder ein schönes gemeinsames Weihnachtsfest. Alle um den Weihnachtsbaum,  die kleine Sabrina, der Tom, der schon in die Schule ging, meine Tochter, ihr Mann Robert, und ich als Opa. Und die Oma wäre irgendwie auch dabei gewesen, in unseren Erinnerungen, so wie Verstorbene uns eben nie so ganz verlassen.

Und jetzt, mit Gips und verzogenem Rücken? In meinem Zustand die 600 km weite Fahrt nach Hamburg? Nein, das war mir zu viel – das wollte ich mir nicht antun. Ich bleibe daheim!

Am Abend hatte ich telefonisch die Hiobsbotschaft durchgegeben. Fast geschäftsmäßig-kühl hat meine Tochter auf die Absage reagiert. War sie beleidigt, oder sogar froh, dass der Alte mit seinen 72 Jahren nicht kommen würde? Sie war wie so oft in letzter Zeit kurz angebunden am Telefon – machte das das norddeutsche Klima?

Am morgen darauf war schon der Vierundzwanzigste. Bereits früh am morgen Weihnachtslieder im Radio. Sonst hatte mich das immer gestört. Aber an jenem Tag war ich froh über diese Melodien – sie waren das Einzige, was in meiner Wohnung an Weihnachten erinnerte: Einen Christbaum hatte ich nicht besorgt – wozu auch, ich wollte ja über die Festtage in Hamburg sein. Keine Lichterkette, keine Weihnachskrippe, kein Plätzchenduft, keine Geschenke. Nur vier Briefumschläge mit Geld hatte ich für Kinder und Enkel vorbereitet – die lagen jetzt verwaist neben dem Telefon auf der Kommode.

Mit dem eingegipsten Arm und Schmerzen im Rücken besorgte ich dann das nötigste in der Edeka um die Ecke. Nudeln, Geschnittenes Brot und andere Lebensmittel, die man mit einem Arm halbwegs zubereiten konnte. Am Regal mit dem Christstollen stutzte ich. Er war in Cellophan eingepackt, mit einer roten Schleife umwickelt; an ihr baumelten ein Weihnachtsengel aus Keramik und ein kleiner Fichtenzweig. Der Christstollen war für mich und meine Frau immer der Inbegriff für Weihnachten. An den Feiertagen hatten wir stets Nachmittags Tee mit Christstollen gegessen – nein wir haben ihn richtiggehend zelebriert. Soll ich diese liebgewordene Tradition weiterführen, jetzt acht Monate nach ihrem Tod?

Entschlossen griff ich zum Einkaufswagen – nein es gibt keinen Christstollen – Weihnachten findet heuer ohne mich statt! Das “Frohes Fest” der Kassiererin beim Hinausgehen klang in meinen Ohren wie Hohn.

Auf dem Heimweg, mit jedem weihnachtlich geschmückten Fenster und mit jedem beleuchteten Vorgarten nahm mein Entschluss deutlichere Formen an. Adieu Weihnachtsmann, lebt wohl Adventskränze, macht́s gut, ihr hilflos an der Hauswand hängenden Nikoläuse, fahrt dahin, ihr leuchtenden Schwibbögen und blinkenden Elektrosterne. Ihr werdet nicht gebraucht – jedenfalls nicht von mir.

Mach́s gut, du Kirche mit deinem Krippenspiel und dem rührenden “Stille Nacht”. Servus, ihr Hirten und Könige aus dem Morgenland, ihr werdet euren Weg auch ohne mich finden. Ihr habt ja den Stern.

Als es Abend wurde, in meiner Wohnung, musste ich mich zwingen, wenigstens eine Lampe einzuschalten. Zu gerne hätte ich im Dunkeln die kommenden Festtage überdauert. Ich saß da, grübelte über düstere Gedanken, deren ich mich heute schäme.

Wahrscheinlich war ich ein wenig eingedöst, jedenfalls kam es mir vor, wie im Traum. Als diese ältere Frau aus der Nachbarschaft plötzlich an der Tür klingelte, mit einem Weidenkorb in ihrer dürren Hand. Sie sprach von Nachbarn, die ihr von meinem Unfall berichtet hatten und dass sie jetzt, wo ihre Kinder und Enkel heimgefahren waren, mir einfach einen kleinen Weihnachtsgruß vorbeibringen möchte.

Obwohl ich doch eigentlich alleine bleiben wollte, bat ich sie herein. Aus ihren Korb heraus entfaltete sie auf meinem Couchtisch ein weihnachtliches Picknick: Tee in einer Thermoskanne, Spritzgebäck, Lebkuchen. Sie sprach nicht viel, aber ich erinnere mich daran, dass sie vorschlug, ich solle sie in die Christmette begleiten – die ist um 22 Uhr – bis dann. So war sie gekommen und wieder verschwunden.  Wie einst die Engel über den Hirten am Himmel.

Wie verzaubert kam ich mir vor. Probierte einige Plätzchen und goss mir Tee ein. Im Schein der Stehlampe, die mir vorkam, wie ein Christbaum höherer Ordnung, genoss ich den nachklingenden Charme dieser unerwarteten Begegnung.

Das Telefon überbrachte mir den nächsten Besucher. Ja, meine Tochter hat mich an diesem Abend in besonderer Weise besucht. Als die Kinder im Bett waren und ihr Mann Robert in die Gebrauchsanweisung des Digitalkamera vertieft war, hatte sie zum Telefon gegriffen. So nah, wie an diesem Abend, was sie mir seit ihrer Kindheit nicht mehr gewesen. Ich spürte wieder die Zuneigung und Wärme in ihrer Stimme, ihr Worte spiegelten das Vertrauen einer erwachsenen Frau in ihren alt gewordenen Vater. Auch den besorgten Unterton in ihrer Stimme spürte ich und war dankbar darüber. Mit der Gewissheit, meiner Tochter wichtiger zu sein, als ich oft vermutete legte ich am Ende den Telefonhörer zur Seite.

In der Christmette, zu der mich diese Frau Wankel tatsächlich abgeholt hatte, umfing mich ein Weihnachtsgefühl, wie ich es noch nicht erlebt hatte. Heraus aus meiner kleinen ungeschmückten Wohnung, hinein in einen vom Kerzenschein warm schimmernden Kirchenraum. Diese Stunde hatte nichts triumphales, selbst der Chor wirkte in seinem Gesang zurückhaltend. Auch der Pfarrer machte nicht viele Worte – sprach von diesem Jesus, der in die schlichte Einfachheit der Menschen hineingeboren wurde. Erzählte von der Krippe, zu der zuallererst Stroh, Ochs und Esel gehörten – nicht aber Gold, Weihrauch, Myrre oder Lametta.

Auf den Heimweg war ich kein guter Gesprächspartner – ein Gedanke des Gebets im Gottesdienst kreiste in meinem Kopf: “Gott, du bist uns auch im Elend nah”. – Vielleicht auch im Elend eines verwitweten Alten, der beschlossen hat, Weihnachten ausfallen zu lassen? –

An diesem Abend war ich mir sicher: Hinter meiner Wohnungstür wartete mein Stall von Bethlehem, ungeschmückt, und unvorbereitet für den großen Gast.

Den holte ich aus dem Karton, in dem meine Frau im letzten Januar die Krippe verstaut hatte: Ein kleines daumennagelgroßes Jesuskind aus Kunststoff. Ich holte ein sauberes, weißes Taschentuch aus meiner Kommode und faltete es zu einem kleinen Kissen. So legte ich diesen kleinen großen Gast auf das Nachtischkästchen neben meinem Bett.

Danke Jesus, dass du an Weihnachten nun doch bei mir eingekehrt bist.

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