Predigt zum Lied EG 302 „Du meine Seele singe“ von Paul Gerhard, 6. November 2005

Verse 1-3

1. Du meine Seele, singe, wohlauf und singe schön dem, welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn. Ich will den Herren droben hier preisen auf der Erd; ich will ihn herzlich loben, solang ich leben werd.
2. Wohl dem, der einzig schauet nach Jakobs Gott und Heil! Wer dem sich anvertrauet, der hat das beste Teil, das höchste Gut erlesen, den schönsten Schatz geliebt; sein Herz und ganzes Wesen bleibt ewig unbetrübt.
3. Hier sind die starken Kräfte, die unerschöpfte Macht; das weisen die Geschäfte, die seine Hand gemacht: der Himmel und die Erde mit ihrem ganzen Heer, der Fisch unzähl’ge Herde im großen wilden Meer.

Liebe Gemeinde,

„Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön.“ –

Paul Gerhard hat dieses Lied auf der Basis des 146. Psalms geschrieben:

Da heißt es: Lobe den HERRN, meine Seele! Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.

Bei Paul Gerhard wird daraus:  „Ich will den Herren droben, hier preisen auf der Erd, ich will ihn herzlich loben solang ich leben werd.” Und irgendwie ist das für ihn auch die Überschrift für das ganze Lied.

Für Paul Gerhardt war das Gotteslob offenbar wichtig. Auch andere Lieder zeugen davon:

Fröhlich soll mein Herze springen,

Auf auf mein Her mit Freuden,

ich singe dir mit Herz und Mund,

Geh aus mein Herz und suche Freud.

 

Und doch gehörte er nicht zu einer oberflächlichen – alles happy alles easy-Generation. Dazu hat er im Leben zuviel an dem erlebt, was einem eigentlich das Loblied im Halse stecken bleiben lassen könnte.

 

Während des 30-jährigen Krieges wurde 1607 er als Gastwirtssohn in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt geboren. Seine Eltern sind sehr früh kurz hintereinander gestorben Mit 14 war er Waise, wurde in ein Internat mit klösterlicher Disziplin gesteckt. Einerseits eine harte Schule, die sein älterer Bruder Christian auch nicht durchgehalten hat und vorzeitig abbrach. Auf der anderen Seite war es vielleicht doch auch ein besonderer Glücksfall, dem er seinem Großvater mütterlicherseits zu verdanken hatte.

 

Er beginnt ein Theologiestudium, aber erhält danach keine Pfarrstelle. Zu viele Gemeinden sind durch die Kriegswirren verarmt und können sich keinen Pfarrer leisten. So schlägt er sich viele Jahre als Hauslehrer durch. Zunächst in Wittenberg, später in Berlin. Langsam entstehen seine ersten Lieder.  In dieser Zeit kommt er einmal in die Heimat zurück nach Gräfenhainichen. Die Schweden haben den Ort zerstört. Alles liegt in Trümmern: Kirche, Schule, Schloss, die Wohnhäuser, die elterliche Wirtschaft. Zu selben Zeit stirbt sein Bruder Christian an der Pest.

44jährig tritt er seine erste Pfarrstelle in Mittenwalde an.  in dieser Zeit entsteht auch das Lied “Du meine Seele singe”. Er heiratet  Anna Maria Berthold. Wenig später wurde ihnen Maria Elisabeth geboren, sie lebte aber nur ein dreiviertel Jahr. Auch von den 4 weiteren Kindern sterben drei im Babyalter.  Die Ehe dauerte 13 Jahre, dann starb auch seine Frau. In dieser Zeit ist Paul Gerhard in einer Krise. Er war inzwischen nach Berlin an die Nikolaikirche gewechselt, aber dort gerät er mit dem Kurfürsten aneinander. Sie streiten über theologische Fragen – letztlich muss er aufgrund seiner Kompromisslosigkeit die Stelle in Berlin aufgeben.

Die letzten 7 Jahre seines Lebens verbringt er in Lübben – einem Städtchen östlich von Berlin.

Das ist keine Bilderbuchkarriere. Da hört man viel Schweres heraus, vieles, das nicht so geworden ist, wie man es sich wünschen würde, manches, was viel zu früh am Ende war.

Trotz alledem ist für Paul Gerhard das Lob Gottes immer wichtig gewesen. In allem Schweren entdeckte er dennoch hie und da die Fürsorge Gottes. Und dafür dankt er ihm. Er lobt Gott von ganzem Herzen aber er verleugnet die Wolken am Himmel auch nicht.

 

Liebe Gemeinde,

in meiner Phantasie – ich weiß nicht, ob es wirklich so war – sehe ich Paul Gerhard an der Küste der Ostsee entlanglaufen. Er hat für einige Tage alles stehen und liegen lassen, ist geflüchtet aus Berlin. Ihm ist alles über den Kopf gewachsen, er mußte raus.

Der Streit mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm hat ihn mürbe gemacht. Er weiß: als einfacher Pfarrer sitzt er am kürzeren Hebel. Der Tod seiner Frau vor einem Jahr geht ihm immer noch nach. Jeden Tag muss er an Anna-Maria denken. „Warum mußte sie so früh sterben? Jetzt hätte er sie gebraucht….“.

 

Es ist stürmisch, es nieselt leicht. Paul kommt an eine Stelle der Küste, wo eine schroffe Felswand steil ins Meer abfällt. Mit lautem Tosen brechen sich die Wellen am Felsen. Immer wieder laufen sie auf die Felswand zu, türmen sich hoch auf, und donnern gegen den zerklüfteten Felsen. Das, was da passiert, kann er sogar riechen: Das salzige Meerwasser spürt er in der Nase. Ja, so fühlt er sich jetzt, wie das Meer: Innerlich aufgewühlt – zerrissen – verzweifelt – ohne wirklich weiter zu wissen.

 

Zugleich aber ist er fasziniert von diesen Naturgewalten.  Felsen, Wasser, Luft, die hier aufeinander treffen. Wie groß muss doch dieser Gott sein, der diese Natur geschaffen hat. Welche Macht muss dieser Gott haben, der in Jesus Christus den Sturm auf dem See Genezareth gestillt hat?

 

Paul, du bist doch auch in Gottes Hand. Das ruft er in diesem Moment sich selber zu.  Warum sollte Gott nicht auch die Stürme deines Lebens stillen?  Du kennst ihn doch, den Psalm 146: Verlasst euch nicht auf Fürsten, sie sind Menschen; die können doch nicht helfen. Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn, seinen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist, der Treue hält ewiglich, der Recht schafft denen, die Gewalt leiden.

 

Er steht noch länger dort, am Wasser. Er ringt mit sich selber, er ringt auch mit Gott.

Und er kehrt zurück, zurück nach Berlin: Mit einer Gewissheit.

Nicht mit der Gewissheit, sich gegen den Kurfürsten durchsetzen zu können.

Nicht mit der Gewissheit, über den Tod seiner Frau einfach so hinwegzukommen.

Aber mit der Gewissheit, dass Gott in allem was kommt, ihn nie verlassen wird.

 

Singen wir gemeinsam die Strophen 4 bis 6

4. Hier sind die treuen Sinnen, die niemand Unrecht tun, all denen Gutes gönnen, die in der Treu beruhn. Gott hält sein Wort mit Freuden, und was er spricht, geschicht; und wer Gewalt muß leiden, den schützt er im Gericht.
5. Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl; und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual.
6. Er ist das Licht der Blinden, erleuchtet ihr Gesicht, und die sich schwach befinden, die stellt er aufgericht‘. Er liebet alle Frommen, und die ihm günstig sind, die finden, wenn sie kommen, an ihm den besten Freund.

Liebe Gemeinde,

die Zeilen, die wir gerade gemeinsam gesungen haben, sind schon recht gewagt. Sie haben Paul Gerhard ja gerade ein bisschen kennen gelernt. Er ist kein geistlicher Supermann. Keiner der siegreich durchs Leben geht und die Karriereleiter nur so hochfällt.  Er ist jemand, der viel einstecken musste, oft auch verzweifelt war.

Aber diese drei Verse zeigen: Paul Gerhardt schöpft ohne Abstriche aus der Fülle der biblischen Hoffnung. Was die Bibel als Gottes Willen für unser Leben kundtut, setzt er hier 1 zu 1 um:

Gott, der vom Tod errettet,

Blinde sehend macht

Niedergeschlagene aufrichtet und

Hungernde sättigt.

 

Trotz aller Enttäuschungen bleibt Paul Gerhard dabei und erwartet sich von Gott Großes! Er gibt sich nicht zufrieden mit ein bisschen Trost, einem Löffelchen voll Hoffnung.

Das gehört für mich zum Glauben dazu: Gott kann Lebenssituationen verändern, Wunder tun! Darauf dürfen wir hoffen.

Die Bibel steckt voller Geschichten, die davon Zeugnis geben; von dem Gott der Menschen heilt und aus Bedrängnis errettet.

Wir dürfen uns von Gott alles erwarten.

 

Wir wissen aber auch: Gott lässt auch das Leiden zu. Wir wissen nicht warum, aber es ist uns täglich vor Augen. Und da ist es gut, wenn wir uns auch im Leiden nicht von Gott verlassen wissen. Es gibt nicht nur die großen Scheine der Wunder, sondern auch das Kleingeld der Gegenwart Gottes.

In diesem Lied ist eine Zeile, die das ganz anrührend sagt. „Gott macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl.“ Für mich als Kind der Wohlstandsgesellschaft ein bisschen ein fremder Satz. Die von ihnen, die die Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt haben, oder in Entwicklungsländern mal etwas genauer hingeschaut haben, sie können Paul Gerhard da wohl ganz gut verstehen. – Gott ist uns oft auch in den Kleinigkeiten nahe.

So ist Gott er die Hütte für den Obdachlosen und der Versorger der Witwen. Auch wenn der Obdachlose weiterhin unstet nach einem Unterschlupf sucht und die Witwe alleine da steht. – Allein die Gegenwart Gottes, die Hoffnung, die er ausstrahlt, kann mir in einer schwierigen Lebenssituation weiterhelfen. Manche Dinge verändern sich – obwohl man nach außen keine Veränderung wahrnehmen kann.

 

Dietrich Bonhoeffer wusste das zu schätzen. Als er im SS-Gefängnis saß, schrieb er: „Es ist gut, Paul-Gerhardt-Lieder zu lesen und auswendig zu lernen, wie ich es jetzt tue“ – „In

den ersten 12 Tagen, in denen ich hier als Schwerverbrecher abgesondert und behandelt wurde – meine Nachbarzellen sind bis heute fast nur mit gefesselten Todeskandidaten belegt -, hat sich Paul Gerhardt in ungeahnter Weise bewährt. .. Da freut man sich ganz einfach an den Losungen des Tages …, und man kehrt zu den schönen Paul-Gerhardt-Liedern zurück und ist froh über diesen Besitz.“

 

Dietrich Bonhoeffer wurde von den Nazis ermordet. Vielleicht haben ihm die Lieder des Paul Gerhardt auch im Angesicht des Todes Hoffnung gemacht. In der letzten Strophe heißt es:

„Der Herr allein ist König, ich eine welke Blum, jedoch weil ich gehöre gen Zion in sein Zelt, ist billig, dass ich mehre sein Lob vor aller Welt.“ – Wohin gehöre ich denn, wohin läuft mein Leben? Dieses Lied erinnert uns daran: Ins „Zelt Gottes“ führt uns unser Weg.

Und das ist nicht nur eine Endstation, wo halt Schluss ist, sondern es ist ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Und weil es ihm um das Ziel geht, ist was “wie” des Weges für ihn nicht so grundlegend wichtig.

 

Da merke ich, wie seine Lebenssituation Paul Gerhards Blickwinkel auf das Leben geprägt hat: Nämlich darauf zu achten, was wirklich Bestand hat – so, wie auch es auch Psalm 146 andeutet.

 

Lobe den HERRN, meine Seele!

2 Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.

3  Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.

4 Denn des Menschen Geist muß davon, und  er muß wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.

5 Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN, seinen Gott,

6 der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist; der Treue hält ewiglich,

7 der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speiset. Der HERR macht die Gefangenen frei.

8 Der HERR macht die Blinden sehend.  Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind. Der HERR liebt die Gerechten.

9  Der HERR behütet die Fremdlinge und erhält Waisen und Witwen; aber die Gottlosen führt er in die Irre.

10 Der HERR ist  König ewiglich, dein Gott, Zion, für und für.

Amen

Verse 7+8

7. Er ist der Fremden Hütte, die Waisen nimmt er an, erfüllt der Witwen Bitte, wird selbst ihr Trost und Mann. Die aber, die ihn hassen, bezahlet er mit Grimm, ihr Haus und wo sie saßen, das wirft er um und um.
8. Ach ich bin viel zu wenig, zu rühmen seinen Ruhm; der Herr allein ist König, ich eine welke Blum. Jedoch weil ich gehöre gen Zion in sein Zelt, ist’s billig, daß ich mehre sein Lob vor aller Welt.

 

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