Predigt: Der König mit Stallgeruch (Hesekiel 34, 23-31) Heiligabend, 24. Dezember 2022

photo of herd of sheep

Hes 34, 23-31

Stellen wir uns vor, die Hirten von Bethlehem kehren von der Krippe zurück und beginnen zu diskutieren, was für ein Herrscher dieses Kind einmal sein soll.

Liebe Gemeinde,

die Hirten spielen in der Weihnachtsgeschichte eine wichtige Rolle. Sie sind die ersten, die von der Geburt Jesu erfahren. Zu ihnen kommen die himmlischen Heerscharen und berichten von der Ankunft des Heilandes.

Und tatsächlich stürmen sie dann los, um das Kind zu finden, sich zu überzeugen, dass er jetzt wirklich da ist … ja, wer denn eigentlich? Wen haben die Schafhirten erwartet? „Heiland“ … das klingt sehr positiv, aber sagt ja erst einmal inhaltlich nicht viel.

Aber vielleicht kannten ja einige von ihnen das, was in den Heiligen Schriften über den Erwarteten gesagt worden war. Vielleicht waren sie dabei, wenn im Tempel aus den Texten der alten Propheten vorgelesen wurde. Und gerade dann, wenn diese Worte etwas mit ihrem Leben zu tun hatten, da hörten sie genauer hin.

So zum Beispiel wenn man die Schriftrolle des Propheten Hesekiel geöffnet hatte, und dort ein künftiger Herrscher angekündigt wurde, der wie ein Hirte für sein Volk sein sollte. Ein Hirte als König – einer, wie sie!

Da hörten sie schon genauer hin:

(Ich lese aus dem Propheten Hesekiel  aus dem 34 Kapitel)

23 Und ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, 24 und ich, der HERR, will ihr Gott sein. Und mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR. 25 Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen schließen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, dass sie sicher in der Steppe wohnen und in den Wäldern schlafen können. 26 Ich will sie und alles, was um meinen Hügel her ist, segnen und auf sie regnen lassen zu rechter Zeit. Das sollen gnädige Regen sein, 27 dass die Bäume auf dem Felde ihre Früchte bringen und das Land seinen Ertrag gibt, und sie sollen sicher auf ihrem Lande wohnen und sollen erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich ihr Joch zerbrochen und sie errettet habe aus der Hand derer, denen sie dienen mussten. 28 Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken. 29 Und ich will ihnen eine Pflanzung aufgehen lassen zum Ruhm, dass sie nicht mehr Hunger leiden sollen im Lande und die Schmähungen der Völker nicht mehr ertragen müssen. 30 Und sie sollen erfahren, dass ich, der HERR, ihr Gott, bei ihnen bin und dass die vom Hause Israel mein Volk sind, spricht Gott der HERR. 31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Gerne hörten die Hirten diese alte Verheißung. Weil sie so viel mit ihnen zu tun hatte. Die Vorstellung, dass ein neuer Herrscher wie ein Hirte sein würde. Der für sie da ist. Der sein Volk weidet, so dass es ihnen gut geht. Zu oft hatten sie schon erlebt, dass die Mächtigen vor allem sich selber geweidet haben; dafür gesorgt haben, dass es ihnen und ihren Günstlingen gut ging. Das Volk war ihnen egal.

In den Worten des Propheten sprießt das fette Gras aus dem Boden, weil es wieder genügend regnet. Das kann kein Herrscher veranlassen. Aber wenn  Gott es gut mit ihnen meint, dann wird wohl auch das Wetter sich zum Besseren wenden. Das Gepflanzte wird aufgehen, ungestört wachsen, und seine Frucht bringen. Weil da kein Feind, kein missgünstiger Nachbar und auch kein wildes Tier diese Pflanzung zerstören wird.

Eigentlich ein Traum – so zu leben. Aber halt ein Traum, eine Vision, fast zu schön, um wahr zu sein – denn diese Hirten waren erfahren genug, um zu wissen, dass schon viele Herrscher mit großen Heilsversprechen angetreten waren, aber die Hoffnungen der Menschen regelmäßig enttäuscht wurden.

Aber diesmal, in dieser Nacht, war es anders.
Keine berittene Kohorte von Söldnern erzählte von den großen Plänen des Herrschers – es waren Engel.
Und der, um den es ging, hatte nicht im prächtigen Jerusalem oder im schillernden Caesarea das Licht der Welt erblickt. Nein, im kleinen Dorf Bethlehem. Und dort, in der Krippe unterm Stern haben die Hirten ihn dann auch entdeckt. Zusammen mit seinen Eltern – einfache Leute, wie sie auch. Einer von ihnen. Ein König mit Stallgeruch – mit ihrem Stallgeruch – kein Parfümduft aus dem Palast.

Ich kann mir vorstellen, dass es auf dem Heimweg vom Stall zu den Schafen lange still war, bis dann doch einer der Hirten wagte, seine Zweifel auszusprechen:

„Freunde, ich weiß nicht, ob das mit diesem Jesus etwas werden kann. Als neuer Herrscher. Wie soll der denn ein Volk beherrschen? Keine Armee, kein Netzwerk von einflussreichen Freunden und Gönnern. Die Leute lassen sich ja nicht mal vom großen, mächtigen und auch noch skrupellos brutalen König Herodes wirklich was sagen. Wie soll dieser neue Hirte herrschen? Ich glaube nicht, dass er etwas ändern kann. Es herrschen doch immer die gleichen.“

„ Wie man es sieht“, meint ein anderer der Hirten „für mich ist Herodes meilenweit weg. Auch von Kaiser Augustus kriegen wir doch nichts mit. Wenn hier jemand herrscht, dann sind es Verzweiflung, Perspektivlosigkeit, Frust, Hass und Egoismus. Das sind unsere Fürsten, die unseren Alltag beherrschen. Mit denen machen wir uns und anderen doch oft genug selber das Leben schwer. So lange die in unseren Köpfen regieren, wird sich nie etwas ändern. Egal wer auf dem Thron in Jerusalem sitzt.
Was wir brauchen, ist ein Regierungswechsel in unseren Köpfen. Wenn wir den Anderen höher achten als uns selbst. Wenn wir bereit sind anderen zu vergeben, und denn wir unserem verzagten Herzen sagen: Hab Hoffnung, vertraue, dass Gott bei dir ist – dann würde sich viel verändern.“

„Aber dann ist ja Gott als Allmächtiger aus dem Spiel raus? Oder?“ so brachte sich nun ein dritter Hirte ins Gespräch ein „Warum bringe ich im Tempel Opfer dar, warum bete ich und versuche mein Leben nach Gottes Regeln zu führen? Ich erwarte mir da irgendwie schon eine Art … soll ich Belohnung sagen? Das habe ich von meinen Vorfahren so gelernt: Wenn du gottesfürchtig lebst, dann wird Gott dich segnen und du wirst ein gutes Leben haben. Mir ist das wichtig, So weiß ich, was gut und richtig ist. Das ist so ein bisschen wie so ein Hirtenstab, damit kann ich meinen Schafen auch zeigen, wo es hingeht, und sie auch mal bremsen, wenn sie in  die falsche Richtung rennen. Wenn sich die Welt verändert, dann muss das schon der Allmächtige bewirken. Wozu haben wir denn einen Gott?“

Nun schaltete sich der zweite Hirte wieder ins Gespräch ein: „Das muss sich doch auch nicht widersprechen. Das würde eben bedeuten, dass Gott nicht von oben herab regiert, sondern in uns Menschen etwas verändert, indem er uns ganz nahekommt. Ja, wie so dieses Kind da in der Krippe. Als einer von uns! Als einer der selber spürt, wie es ist, wenn Könige über unser Schicksal bestimmen. Der auch mal zu kämpfen hat mit Angst und Traurigkeit, Wut und Machtlosigkeit.
Wenn er unseren Herzen so nahe kommt, uns begegnet als einer von uns. Dann braucht er nichts befehlen. Er lebt es uns vor! Damit sät er den Samen von Liebe und Zuversicht in unsere Herzen. Dann kann er uns beibringen, was es heißt, denen zu vergeben, die mir Unrecht tun – weil er es selbst erleben wird. Und wenn diese Saat aufgeht, dann wird sich ganz viel verändern.“

„Nunja“, kam es da von der Seite „das klingt toll! Wirklich beeindruckend. Aber dass Gottes Reich anbricht, wenn wir beginnen, anders zu denken, anders zu handeln – so, wie dieser Kleine in der Krippe es uns später mal beibringen wird? Wir? Ich weiß nicht, wie man das schaffen soll. Ich fühle mich da überfordert“

Der erste Hirte grinste breit „Hey, wir sind doch Hirten! Wir sind es doch gewohnt geduldig zu sein. Vielleicht wird das, was da in der Krippe beginnt, sich so entwickeln, wie unsere Herden! Wir haben doch  alle einmal mit einer Handvoll Schafen begonnen. Und unaufhaltsam wurden es mehr. Mal ging es langsam vorwärts, mal etwas schneller. Und immer hatten wir Schafe, die ihre eigenen Wege gegangen sind. Einige konnten wir wieder zur Herde zurückbringen und dann war alles gut. Und mit manchem Hammel hat man andauernd Ärger. Aber es geht vorwärts.
Vielleicht muss ich mit meiner Hoffnung und meiner Angst, meiner Liebe und meiner Wut genauso Geduld haben, wie mit meinen Schafen. Immer wieder ein Auge darauf haben, was da gerade in mir passiert. Darauf achten, dass mich die richtigen Gedanken regieren. Und mich dann freuen, wenn es sich so entwickelt, wie das Kind in der Krippe es uns vorgelebt hat.“

Amen

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