Mk 3, 31-35
Es gibt Ärger in der Familie um Jesus. Wer sind seine wirklichen Geschwister? Die Szene in Mk 3 lässt uns fragen, was es bedeutet, wenn wir uns als Schwestern und Brüder Jesu verstehen.
Predigttext:
31 Und es kamen JESU Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen.
32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.
33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder?
34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Die liebe Familie
Die heilige Familie – ach war das an Weihnachten schön: Maria, Josef und das Kind in der Krippe. Zumindest auf den ersten Blick eine Idylle.
Aber hier, bei dem was Markus in seinem Evangelium schreibt, sieht das ganze nicht mehr so harmonisch aus. Da scheint es ordentliche Spannungen zu geben – zwischen Jesus und seiner Mutter samt seinen Geschwistern.
Schon der Ton macht die Musik. Und der klingt von beiden Seiten nicht wirklich herzlich. Wie Jesus da seine Familie abfertigt, das tut irgendwie schon beim Lesen weh: “Meine echten Geschwister, meine echte Familie – das sind die, die hier sitzen!”
Aber wir wissen ja auch aus einem Abschnitt aus dem gleichen Kapitel, dass es anscheinend vorher schon einmal Streit gab. Kurz nachdem Jesus seine 12 Jünger gesammelt und zu predigen begonnen hatte, wollte ihn seine Familie buchstäblich nach Hause abschleppen:
Sie hielten ihn glatt für verrückt. „Unser Kind dreht durch! Wir müssen ihn stoppen, der Junge kann doch jetzt nicht als Wanderprediger durch die Gegend ziehen. Wir haben uns das ganz anders vorgestellt!“
Die Familie hat sich da nichts geschenkt. Und wenn wir davon schon in der Bibel lesen, dann darf man wohl vermuten, dass es hinter den Kulissen in Jesu Familie noch viel energischer zuging.
Da kann ich mir vorstellen, dass auf beiden Seiten geseufzt wurde: „Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie leider nicht”.
Auf der anderen Seite zeigt der Konflikt ja auch: Wir sind Familie. Wir gehören zusammen. Bei Freunden kann es auseinandergehen – die kann ich zurücklassen, wenn wir uns unterschiedlich entwickeln. Das ist es kein Drama, wenn man sich trennt und aus den Augen verliert.
Aber mit der eigenen Familie ist das etwas ganz anderes. Da bleibt man ein Leben lang verbunden. Seine Eltern, seine Kinder kann man nicht so einfach ziehen lassen, wenn es einem nicht in den Kram passt.
Man bleibt lebenslang verbunden.
Mutter und Vater bleiben Eltern – egal, was irgendwann einmal an Streit und Schlimmen passiert ist.
Geschwister bleiben Geschwister. Auch wenn man noch so unterschiedlich ist, auch wenn man sich gegenseitig nicht ausstehen kann, man hat doch die gleichen Eltern – ist dennoch eine Familie.
Vielleicht eine Familie mit unüberbrückbaren Gräben, aber man ist eine Familie – was solche Gräben natürlich im besonderen Maße dann auch tragisch erscheinen lässt.
Eine andere Form von Familie
Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!
Liebe Gemeinde,
Wenn Jesus so scheinbar einfache und schlichte Sätze sagt, dann sollte man auf der Hut sein! Gerade diese einfachen Aussagen können einen doppelten Boden haben. Ging es vielleicht in diesen Worten gar nicht darum, seiner Familie so einen Knaller-Satz reinzuwürgen? Ist es möglicherweise eine Aussage darüber, wie er die Beziehung zu den Menschen sieht, die um ihn herumsitzen?
Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! – Die, die hier sitzen, das sind nicht Freunde, sondern Familie!
Jetzt, wo Jesus beginnt, durch das Land zu ziehen, Menschen zum Glauben aufzurufen und von Gott zu erzählen, stellt er klar, was für eine Art von Gemeinschaft er begründet.
Das hätte ja alles sein können:
Eine religiöse Partei, mit einem Programm, das er umsetzen will. Und die Mitglieder halten zusammen, weil sie die gleichen gesellschaftlichen Ziele teilen.
Oder eine coole Truppe um einen außergewöhnlich lässigen und charismatischen Rabbi. Sie finden diesen Jesus toll, möchten ihm ähnlich sein, und erhofften sich Bestätigung und Anerkennung aus der Gruppe.
Wir alle wissen, wie das mit dem Dazugehören bei solchen Gruppen ist: Man muss etwas dazu tun, dass man dazugehört. Und es kann passieren, dass man irgendwann nicht mehr dabei ist. Weil man für sich selbst entscheidet, dass es nicht mehr passt, oder weil die Anderen signalisieren: Eigentlich gehörst du gar nicht mehr richtig dazu.
Aber Jesus sagt: Familie! Ihr seid Familie!
Und wenn ihr hier dazu gehört, dann bleibt ihr ein Teil meiner Familie. Und das für immer! Und ihr seid es einfach, weil ihr es seid! Ihr müsst nichts dafür tun und nichts leisten.
Und wenn es Zerwüfnisse gibt, wenn einer dann doch einen anderen Weg geht und nichts mehr von uns wissen will: Er wird immer Familienmitglied bleiben, auch wenn es furchtbar schmerzt, dass er uns den Rücken gekehrt hat.
Familie – Brüder und Schwestern Jesu. Spätestens jetzt merkt man auch, wie das mit der christlichen Taufe zusammenhängt: Durch die Taufe werden wir zu Kindern Gottes erklärt. Zu Schwestern und Brüdern Jesu.
Das bleiben wir lebenslang. Da kann uns nichts trennen. Da gibt es keine Auflösung. Aus der Kirche kann man austreten, aber man kann sich nicht “enttaufen”. Familie eben – lebenslang.
Als junger Bub habe ich einmal einen Konflikt in der Familie eines Freundes mitbekommen. Eine seiner Schwestern war ein recht verrückter Vogel, da hat es daheim oft Konflikte gegeben – und mit 18 Jahren ist sie dann im Streit von daheim ausgezogen. Irgendwann sagte die Mutter: “Die Karola ist nicht mehr meine Tochter!” Das fand ich furchtbar. Und zugleich natürlich auch absurd. Denn sie war ja weiterhin ihre Tochter. Das macht doch Familie aus – dass man diese unsichtbare Schnur nicht durchtrennen kann!
Umso besser versteht man jetzt, weshalb Jesus mit dem verlorenen Sohn genau so eine Familien-Geschichte erzählt.
Übrigens: Da gibt es auch keine Geschwister zweiter Klasse. Ja, sie sind vielleicht unterschiedlich alt, mit verschieden ausgeprägten Familiensinn. Aber keine ist “mehr” Schwester als die anderen. Auch in der Familie Jesu: Der frömmste Pfarrrer und die skeptischste Zweiflerin – beide sind ohne Unterschied Geschwister Jesu. Es gibt kein “bisschen” Bruder oder Schwester. Man ist es, oder nicht.
Geschwister sind auch unterschiedlich
Wir sind eine Großfamilie, die viele sehr verschiedene Köpfe hat. Schon die 12 Jünger Jesu waren ein buntes Völkchen, wo es hie und da auch intern geknirscht hat.
Nicht weniger leben wir Christen heute als Geschwister mit sehr unterschiedlichen Charakterzügen und Prägungen. Schon allein in so einer kleinen Gemeinde wie Wilhelmsdorf/Brunn.
Wir ticken unterschiedlich – auch in Glaubensfragen. Aber als Geschwister sind
wir ein Teil der gleichen Familie.
Nicht anders ist das ja mit “Geschwister-Kirchen” – ob es die römisch-katholische Kirche ist oder auch unsere Partner in Papua-Neuguinea: Die einen erscheinen uns näher, mit den anderen fremdeln wir. Aber sie sind unsere Familie. Als die Delegation unseres Dekanats in Amron aus Papua-Neuguinea zurückkam hatten sie auch erlebt, was es heißt: Dass Menschen da nicht nur ihren evangelischen Glauben anders leben, sondern dass auch ihr ganzes Leben – ihre Werte, Ziele Wünsche und inneren Haltungen – in vielem kaum mit unserem westlichen Denken zusammenzubringen ist. Und es ist nicht ganz einfach, da offen miteinander zu reden, ohne innerlich gleichzeitig zu denken: Das uns das müsste sich bei euch aber noch verändern.
Und wie es in der Familie so ist: Es wird immer Streit, Konflikte, Animositäten und Lieblings-Geschwister geben.
Wir wissen: „Freunde kann man sich aussuchen, seine Familie aber nicht”.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Liebe Gemeinde,
ich komme zum letzten Satz, den Jesus in diesem Moment sagt: Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Irgendwie scheint er nicht so recht zu dem zu passen, was ich bisher gesagt habe. Gibt es jetzt doch eine Bedingung für die Familien-Zugehörigkeit? Je nachdem, was ich tue, bin ich entweder Jesu Bruder und dann zeitweise nicht. Auf dem ersten Blick könnte man es so verstehen. Aber es passt nicht!
Denn das würde die Geschichte vom verlorenen Sohn auf den Kopf stellen und alles, was Martin Luther einst in der Bibel entdeckt hat.
Aber vielleicht muss man den Satz anders herum lesen. Dazu fällt mir ein:
Da stehe ich auf einer Kirchweih, und jemand will mir erklären, dass da drüben die Kinder der Kollegin stehen. Aber ich bin mal wieder etwas schwer von Begriff, bis der Andere sagt: “Die drei, mit den schwarzen Locken, das sind die Kinder von Thabea.” – Ahhhh, da fällt bei mir der Groschen: Logisch! Die Thabea hat ja auch so einen rappelschwarzen Lockenkopf. Das mir das nicht eher aufgefallen ist. “Denn der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.” Schwarze Locken alltenthalben.
Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter: “Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.” Wenn du wissen willst, wer zur Familie Jesu gehört, musst du bloß drauf schauen, wie so sind. Suche nach den Menschen, die Liebe leben, die Hoffnung pflegen, die Brücken bauen. Dann hast du sie gefunden. Die Familie Jesu.
War es das, was Jesus gemeint hat? “An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen” – das hat er ja schon an anderer Stelle gesagt.
Natürlich hat das auch etwas von einem mahnenden Zeigefinger. Aber das kennt ja jeder, der Teil einer Familie ist: Dass jede Familie ihre eigene Kultur und Werte pflegt. Dass es Dinge gibt, die ihnen wichtig sind, und solche, die für sie wenig Bedeutung haben.
Und wenn Familie gelingt, dann wird man an den Kindern erkennen, welches Elternhaus sie geprägt hat. So ist unseren Jesus auch wichtig, dass man an uns erkennt, dass wir zu seiner Familie gehören. Denn der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Amen