Predigt: Brandblasen und wackelnde Knie (Jesaja 6, 1-10) 30. Mai 1999 – Trinitatis

Liebe Gemeinde,

Jesaja Ben Amoz war ein Israelit, wie viele andere auch. Er lebte in Jerusalem, gehörte zur etwas besseren Gesellschaft. War verheiratet, hatte einige Kinder. Am Sabbat ging er in den Tempel. Für ihn eine Selbstverständlichkeit. Man geht halt hin, um den Gott der Israeliten zu loben, ihm Opfer darzubringen. Auch dieses eine Mal, an das er sich immer wieder erinnern wird. Er war in den Tempel gegangen. Wie immer. Aber als er den Innenhof des Tempels betrat, war alles ganz anders: Er sah nur noch leuchtendes Weiß. Er sah nicht mehr die anderen Menschen, die dort herumstanden, wie an jedem Sabbat. Jesaja sah etwas Anderes, etwas, das man mit den normalen menschlichen Augen nicht erkennen kann: Er hatte eine Visison. Er war verzückt, entrückt, perplex. Was er da sah, was sich vor seinem inneren Auge abspielte, hat Jesaja aufgeschrieben. Denn das Erlebte machte aus dem Normalbürger Jesaja Ben Amoz einen bedeutenden Propheten. Es ist uns erhalten im 6. Kapitel seines Prophetenbuches:
In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und laß ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, daß sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.


Das hat Jesaja erlebt, als er den Jerusalem den Tempel besuchte. Eine packende Begegnung mit seinem Gott. Da ist etwas passiert, womit er nicht rechnen konnte. Wenn ein Israelit in den Tempel geht, wenn wir in der Kirche sitzen, dann rechnen wir mit der Gegenwart Gottes. Aber doch nicht so, daß er wirklich dasitzt, daß Jesaja Gottes Gewandsaum sehen kann, der allein schon den gesamten Tempelhof füllt. Aber doch nicht so, daß die Engel derart Loblieder schmettern, daß der Boden davon bebt.
Es ist so, als hätte Jesaja die falsche Tür erwischt. Als wäre er nicht eben durch die Tempeltür geschritten, sondern wäre durch das Tor geschlüpft, hinter dem Gott selbst wartet. Dort, wo sich der „himmlische Gottesdienst“ abspielt, dessen Abbild unser Feiern sein will. Was Jesaja erlebt ist für uns schwer vorstellbar; und für ihn unfaßbar. Er steht vor dem großen, heiligen Gott. Vor dem, den kein Auge wirklich fassen kann. Seine Gegenwart scheint den Menschen Jesaja förmlich zu erdrücken. „Weh mir, ich vergehe“ ruft er. Er spürt es: Ich bin diesem Gott nicht gewachsen. Vor diesem Gott kann man nicht „einfach so“ dastehen, wie vor einem Menschen; er übersteigt alles, was ich sehen, hören, denken kann.
Ja, der lebendige Gott ist eben nicht der nette Arbeitskollege. Er ist eben nicht nur ein gedachtes höheres Wesen. Auch nicht eine alles nett mal durchfließende Lebenskraft. Nein, dieser Gott ist eben Gott. Das hat Jesaja erlebt, gespürt: „Zwischen mir Menschen und diesem Gott sind Welten dazwischen. Hier trifft das vergängliche Geschöpf auf seinen ewigen Schöpfer“. Ein brenzlige Situation.
Aber: Jesaja ist ja nicht eigenmächtig und heimlich durch diese Tür in den Himmel geschlichen. Er hat sich das ja nicht ausgesucht. Diese Vision, was Jesaja da sieht, das hat ja Gott gewirkt. Gott hat Jesaja quasi zur Audienz gebeten, hat ihn zu sich eingeladen. Das ist eben auch „Gott“: Der heilige, unnahbare Gott geht auf uns Menschen zu. Er hat sich dem Mose im Dornbusch genähert. Er hat dem Volk Israel den Auftrag gegeben, die Stiftshütte und später den Tempel zu bauen, als Ort der Begegnung von Gott und Mensch. Und: Er ist uns in der Person Jesu Christi so nahe gekommen wie noch nie. Jesus Christus – das war Gott unter uns Menschen.
Gott selbst schafft Begegnungen mit ihm. Hat er Sehnsucht nach uns Menschen, seinen Geschöpfen. Treibt ihn seine Liebe zu uns dazu? Liegt es daran, daß wir Menschen ohne Gott letztlich verloren wären? Auf jeden Fall können wir sehen: Dieser Gott ist kein Schöpfer, der uns in Dasein gebracht hat, und uns seitdem alleine durch den Kosmos schlittern läßt. Er ist viel eher wie eine Mutter, die ihr kleines Kind beschützt, behütet.

Ja, was denn nun, Herr Vikar? Ist jetzt Gott der Unfaßbare, Unnahbare, oder will er uns nahe sein? Beides zusammen geht doch nicht! Vielleicht aber doch? Schauen wir an, wie es Jesaja erging. Er schreibt: Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, daß deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.
Eine fast gruselige Vorstellung. Ich möchte Sie erinnern: Das ist eine Vision, die Jesaja, da vor Augen hat. Gott hat ihn das im Geiste erleben lassen, als er da im Tempel war. Er hat nachher wohl ohne Brandblasen den Tempel verlassen, aber das Erlebte hat ihn dennoch verändert.
Was ist da passiert? Jesaja selbst stellt fest: Ich bin ein Mensch, der die Nähe Gottes nicht ertragen kann. Ich bin Sünder – ich habe unreine Lippen sagt er – . Ich bin anders, als Gott mich gedacht hat. Ich bin voller Fehler, die mich von Gott trennen. So, wie ich bin, kann ich mich vor Gott nicht blicken lassen. Er weiß genau, wie ich bin. Ihm kann ich nichts vormachen. Und er weiß: Ich kann auch nicht besser werden. Ich habe nicht mal eine Chance, irgendwann mal Gott zu entsprechen. Ich gehöre zu einem Volk mit unreinen Lippen. Wir stecken alle in dem Dilemma und können da nicht raus. – So Jesajas Worte.
Und wie reagiert Gott darauf: Ein Serafin, eine Engelsgestalt, holt vom Altar eine Kohle, und reinigt damit die Lippen des Jesaja. Das besondere daran: Nicht Jesaja tut hier was, um vor Gott annehmbar zu erscheinen. Es ist Gottes Initiative. Gott macht den Jesaja zu einem Menschen, der vor Gott stehen kann, der sich vor Gott sehen lassen kann. Jesaja hätte sich nicht am eigenen Schopf aus seiner Sündhaftigkeit herausziehen können. Gott macht das. Gott spricht mit dieser Symbolhandlung Jesaja gerecht.
Auch als Christ bin ich nicht gerecht vor Gott, sondern Gott sagt mir: Ich vergebe dir, ich nehme dich an. In vielen Gottesdiensten erinnert man sich gleich zu Beginn daran: Im Sündenbekenntnis sprechen wir es aus: „Der allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde“. Und wir hören danach die Antwort: Gott hat sich erbarmt – Der Tod und die Auferstehung Jesu ist seine Initiative, um uns gerecht sprechen zu können. Und zugleich erinnert uns dieser Beginn eines Gottesdienstes daran: Wir haben es mit einem heiligen Gott zu tun. Einem Gott, der eben nicht der Kumpel nebenan ist.

Ein altes Wort bringt das auf den Punkt: Gottesfurcht. Eine Haltung, die weiß: Gott, mein Schöpfer und Herr ist nicht irgendwer. Wenn ich von ihm rede, wenn ich mit ihm im Gebet spreche, ist das etwas Besonderes. Ich habe Audienz bei Allerhöchsten! Dann kann auch der Gottesdienstraum etwas besonderes sein – denn da ist Gott mir in besonderer Weise nahe. Natürlich kann diese Gottesfurcht auch erstarren. Ein steifes Verhaltenskorsett werden; dann können fromme Floskeln inhaltsleer werden.
Nicht weniger problematisch finde ich, wenn man die Ehrfurcht vor Gott wegwirft. Das passiert immer häufiger. Wo man über Gott blöde Witze macht, wo man Jesus am Kreuz als Klorollenhalter darstellt, da ist für mich persönlich eine Schwelle überschritten. Nicht bloß deshalb, weil das meinen Glaubensüberzeugungen nicht paßt, meine Gefühle verletzt. Nein, weil sich da Menschen nicht mehr bewußt sind, mit wem sie hier ihr Spielchen treiben.
Gott ist Gott – Jesaja hat es erlebt – ihm ist klar, wer von ihnen beiden im Falle eines Falles die Witzfigur wäre.

Jesajas Begegnung mit Gott ist außergewöhnlich. Etwas vergleichbares – Visionen – erleben nur wenige Menschen. Aber es gibt sie, die Begegnungen mit Gott, bei denen einem nachher die Knie zittern.
Der Gott, der sich nach uns Menschen sehnt, ist uns aber nicht nur als der Mächtige nahe. Daran erinnert uns der Sonntag Trintatis. Unser Gott gegegnet uns in Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Dem Vater begegnen wir auch in der Schöpfung, den grandiosen und den zarten, filigranen Schöpfungswerken.
Den Sohn sehen wir bezeugt im Neuen Testament. Wo Gott in Jesus Christus wirklich Mensch wurde, wo er uns durch ihn zeigte: Ich spreche euch Menschen gerecht – ihr seid mir recht!
Und wir können Gott auch in uns selbst begegnen: Sein Heiliger Geist bewegt uns dazu, in seinem Namen zu handeln. Wo unser Herz für diesen Gott brennt. Wo wir Freude daran haben, mit anderen Christen zusammenzusein.
So vielfältig, nämlich drei-faltig, Gott ist, so vielfältig sind seine Wege, uns nahezusein. Als allmächtiger Herr kann er mir begegnen und auch im Freund, der mich liebevoll tröstet. Jedes Mal ist der gleiche Gott am Werke, der Eine, in Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Amen 

 

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