Liebe Gemeinde,
heute darf der Osterhase mal mit in die Kirche. Schließlich gehört er da ja zur allgemeinen Grundausstattung des Osterfestes – Oder?
Jaja, ich weiß schon einige fangen jetzt schon innerlich zu schimpfen an: „Was hat denn der Langlöffel mit unserem christlichen Fest zu tun? Der ist doch ein genauso überflüssiger Kommerzartikel wie der Weihnachtsmann, denn der war auch nie an der Krippe vom Jesuskind gestanden!”
Wenn ich ehrlich bin: Unsere Pfarrerskinder naschen auch Schokoladenosterhasen! Obwohl ich weiß, dass dieser Brauch nicht direkt etwas mit der Auferstehung Jesu zu tun hat.
Der Osterhase – der Fremdling in Sachen Kirche
Aber wie kommt der Hase nach Ostern? Dazu müssen wir uns ein bisschen umsehen: Die christliche Gemeinde ist ja nie im luftleeren Raum entstanden, sondern hat ja immer etwas mit der damals heidnischen – und heute säkularen – Umwelt zu tun. So gab es ja vor der Christianisierung auch schon ein Frühlingsfest, bei dem dann ein Hase als sehr fruchtbares Tier, dessen erste Kinder schon im März zur Welt kommen, wahrscheinlich eine Rolle spielte.
Das wäre ein erster Erklärungsversuch, manchmal kann man etwas in dieser Richtung auch in der Zeitung oder im Internet lesen. Aber ich glaube, das ist nicht der Weg des Hasen nach Ostern. Denn in der Kirchengeschichte ist das Osterfest über Jahrhunderte praktisch hasenfrei gefeiert worden. Höchstens, dass er mal im Kochtopf landete. Erst im 17. Jahrhundert taucht er das erste Mal im Zusammenhang mit Ostern auf. Nicht im Gottesdienst, sondern beim Eiersuchen, das dann auch schon mal als Hasenjagd für die Kinder tituliert wurde.
Warum gerade der Hase – warum hat man kein anderes Tier als Eierverstecker ausgewählt? Eigentlich ganz einfach: Meister Lampe war den Kindern bekannt und vertraut. Und die Hühner kamen nicht in Frage, da die Kleinen ja wussten, dass sie rohe und ungefärbte Eier legen. Es ist ja ideal, wenn beim Eiersuchen während des Osterspaziergangs irgendwo tatsächlich einmal ein Hase über den Weg läuft und aufgeschreckt davonhoppelt! Da haben wir ihn auf frischer Tat ertappt und wir Eltern können bestätigen, dass wir mit den gefundenen Ostereiern absolut gar nichts zu tun haben…
Der Hase in Gethsemane
Liebe Gemeinde,
soweit dieser kulturgeschichtliche Abriss, der ja noch rein gar nichts hilft, was die Frage angeht, ob ein Hase in die Kirche gehört.
Ich möchte Ihnen einmal ein Bild zeigen und beschreiben. Sie sehen hier Gemälde von Andrea Mantegna, einem italienischen Maler aus dem 15. Jahrhundert. Es zeigt Jesus im Garten Gethsemane, kurz vor seiner Festnahme. Er betet; über ihm die Engel, von denen einer bereits ein Kreuz in der Hand hält, um zu zeigen, was auf Jesus zukommt. Am unteren Bildrand sehen wir die drei schlafenden Jünger. Im Hintergrund rechts die Stadt Jerusalem und die herannahenden bewaffneten Gegner Jesu. Das ist uns alles bekannt. Die Besonderheit: Am linken Rand hoppelt ein Hase den Hügel im Garten Gethsemane hinauf. Auch rechts unten hocken drei auf dem Weg.
Was sollen die da? Vier Hasen vier Tage vor Ostern? In der Bibel ist keine Rede von ihnen!
Seit dem Altertum sprach man dem Hasen eine besondere Eigenschaft zu: Weil er kurze Vorderbeine und lange Hinterläufe hat, ist er dazu in der Lage bergauf schneller zu laufen als bergab. Auch auf der Flucht flieht er darum oft bergauf. Kein Mensch käme auf die Idee in einer Fluchtsituation zum Beispiel auf einer steilen Wiese nach oben zu laufen – auch Psychologen haben das herausgefunden wir fliehen in den meisten Fällen bergab. Nur der Hase flieht nach oben – er nimmt den Weg, der scheinbar schwerer und mühsamer ist. Vielleicht ist das auch schon manchmal seine Rettung gewesen. In einem frühchristlichen Buch aus dem 2. Jahrhundert, dem Physiologus, wird diese Eigenheit des Hasen beschrieben und christlich gedeutet:
Da steht: Wenn du in der Not oder in einer Krise bist, dann fliehe nicht bergab zu den Niedrigkeiten des Alltags, sondern bergauf zu Gott und suche beim ihm die Rettung. Dann werden die Dämonen, die dich bedrängen wieder umkehren müssen weil sie dort nicht hinkönnen.
Auf dem Gemälde macht Jesus das Gleiche wie der Hase: Er nimmt den steilen Weg. Er wählt nicht die Flucht in die belanglose Weite des Kidrontals, sondern er geht den schweren Weg des Willens Gottes, durch das Kreuz, und wird genau deshalb auch am Ostermorgen siegen.
Der Hase und Jesus. Plötzlich haben die beiden etwas miteinander zu tun. Das Wissen darum, dass der leichte Weg nicht immer der richtige und rettende ist.
Der Hase als das Tier, dass uns beibringen kann dass es manchmal rettend ist ein Hasenfuß zu sein: Sein Heil in der Flucht zu Gott zu suchen, nicht in dem Vertrauen auf die eigene angebliche Stärke.
Der Hase und die Dreieinigkeit
Liebe Gemeinde,
vielleicht bekommen sie so langsam Geschmack am Hasen, zumindest gedanklich.
Apropos Geschmack: Eine kuriose Erklärung für den Hasen am Osterfest geht davon aus, dass ein beim Backen aus der Form geratenes Osterlamm von einem Unwissenden als Hase gedeutet wurde. Und auf diese Weise wäre der Hase ins Osterbrauchtum gewandert. Aber das klingt schon sehr unwahrscheinlich.
Suchen wir lieber weiter nach Hasen in der Kirche. Denn hie und da sind sie dort auch zu finden. Meistens zu dritt! Zum Beispiel im Paderborner Dom, dort gibt es das Dreihasenfenster. (Auf Ihrem Blatt können Sie es sehen). Da laufen drei Hasen im Kreis. Schauen sie sich mal deren Löffel an! Wie viele sind denn das? Sehen auch nur drei Hasenohren … für drei Hasen? Und doch hat jeder von ihnen zwei. Ein raffiniertes Kunstwerk, ein echter Hingucker – ohne Zweifel. In verschiedenen Kirchen in Europa gibt es dieses Motiv.
Die drei Hasen gehören untrennbar zusammen, sie teilen sich ihre Ohren und bilden damit eine dreifache Einheit. Spätestens jetzt fällt es uns nicht mehr schwer, den Bogen zur Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist zu schlagen. Drei Hasen als Dreieinigkeitssymbol. Wenn das kein kirchlicher Ritterschlag für das Langohr ist. Denn jeder christliche Künstler wird sich sehr gut überlegen, welches Tier er heranziehen könnte, um die Dreieinigkeit in ein Symbol zu fassen.
Auferstehung: Jesus mit offenen Augen – wie der Hase
Mit anderen Worten: Der Hase hätte es nie ins Kirchenfenster geschafft, wenn er nicht schon längst als christliches Symbol bekannt gewesen wäre. Und dazu müssen wir eine Reise in den christlichen Osten antreten, in die orthodoxen Kirchen Griechenlands oder Syriens. Dort existierte der Hase als Symbol für Jesus Christus.
Und auch das hat einen Anhaltspunkt am Verhalten des Hasen: Man sieht den Hasen nie schlafen, man hat ja den Eindruck, er ist immer wach. Der macht nie die Augen zu!
Wie der auferstandene Jesus: Für drei Tage waren seine Augen nach seinem Tod am Kreuz geschlossen. Seine Feinde triumphierten, dachten: Der macht die Augen nimmer auf. Aber am Ostermorgen hat er sie wieder aufgeschlagen – und seitdem wird er kein Auge mehr zutun. Denn er hat es verheißen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.” Sein letzter Satz, den Matthäus überliefert.
Ist das nicht auch eine schöne Vorstellung? Dass da einer ist, der macht kein Auge zu, er sorgt sich Tag und Nacht um uns Menschen und lässt uns nicht allein.
Die Auferstehung Jesu reicht mit ihren Folgen bis zu uns. Sie gibt uns die Hoffnung, nach unserem Tod wie Jesus auferweckt zu werden. Und sie verweist auf diesen Jesus, der sagt: Ich halte die Augen und Ohren offen für euch.
Liebe Gemeinde,
freuen sie sich über Ostern, über Jesu Auferstehung, und seit heute vielleicht auch über die Hasen!
Beim nächsten Schokoladenosterhasen, den Sie aus seiner Alufolie wickeln, denken sie vielleicht an sein Gottvertrauen, weil er auch mal den schweren Weg bergauf nimmt.
Oder an die drei Hasen die mit drei Ohren auskommen. Das muss uns ja nicht nur an die Dreieinigkeit erinnern, sondern auch andeuten, wie wir mit weniger auskommen, wenn wir miteinander Teilen: Drei Hasen, drei Ohren, und doch hat jeder zwei!
Oder sie denken an die offenen Augen Jesu, der als der Auferstandene un immer nahe ist.
Also Hasenspezialist würde ich sagen: “Halten Sie die Löffel steif.”
Als Pfarrer sage ich: “AMEN!”