Predigt: Die Bauruine von Babylon (1. Mose 11) Februar 2025

Gen 11: Der Turmbau zu Babel

Der Turm von Babylon – wohl die erste Bauruine der Menschheitsgeschichte. Woran sind die Menschen gescheitert? Kommen Sie mit! Besichtigen wir diesen Lost Place. Entdecken wir die Spuren eines Projekts, das den Menschen irgenwann die Luft zum Atmen genommen hat.

Mose 11, 1-9

    1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde. 

    Liebe Gemeinde
    In nur neun Versen ist die Geschichte vom Turmbau von Babel fertigerzählt. Dabei wollten die Erbauer wohl etwas schaffen, worüber man ganze Romane schreiben könnte. Schließlich sollte es der große architektonische Wurf werden, zu dem alle Welt aufschauen würde. Eine Stadt mit Häusern aus Ziegeln und ein Turm, wie man ihn nie für möglich gehalten hätte: Ein echter Wolkenkratzer, dessen Spitze den Himmel berührt.
    Die biblische Beschreibung legt nahe, dass man sich schon gut überlegt hat, wie das klappen kann. Gebrannte Ziegel, Erdharz als Mörtel. Man baut und kommt gut vorwärts. Vorfreude kommt auf, gerade wegen des Turms. Denn anscheinend gab es schon damals den Gedanken: Je höher der Turm, umso größer ist die eigene Macht. Wer hat den höchsten?
    Aber es kommt ganz anders: Gott funkt dazwischen und verwirrt ihre Sprache. Als plötzlich einer den andern nicht mehr versteht, klappt nichts mehr. Jeder geht seinen eigenen Weg, bald war keiner mehr da, der an diesem Projekt weiterarbeiten wollte.
    Zurück bleibt eine halbfertige Bauruine – und eine Menschheit, die von da an viele unterschiedliche Sprachen spricht.

    Eine Geschichte zur Macht des Menschen
    Eine uralte Geschichte mit manchen Überraschungen. So fällt mir auf, das Gott sehr menschlich beschrieben wird: Er steigt von Himmel herab, um sich die Baustelle anzusehen. Und dann kommt er zu dem Ergebnis: „Die sind eine Gruppe mit einer gemeinsamen Sprache. Und wenn ich mir so anschaue, wie die da angefangen haben, werden sie irgendwann nicht mehr zu stoppen sein“
    Gott macht sich Sorgen. Diese Menschen, seine Geschöpfe, die er so wunderbar gemacht hat; denen er ja auch Intelligenz und einen freien Willen gegeben hat, die drohen aus dem Ruder zu laufen. Wollen sie mit ihrem Himmelsturm Gott Konkurrenz machen? Soll der Turm das Zeichen sein, dass sie sich von „dem da oben“ nicht länger Vorschriften machen lassen? Verliert Gott möglicherweise die Kontrolle über seine Menschen?

    Seit Jahrtausenden wird diese Geschichte weitererzählt. Und dabei wird der Turm von Babel als steingewordene Selbstüberschätzung des Menschen angesehen. Der Turm als Symbol für eine Menschheit, für die Gott als höchste Autorität in Frage gestellt wird. Menschen, die meinen, Gottes Job selber besser hinzubekommen, als ihr Schöpfer, der sie laufend mit seinem Herrschaftsanspruch gängelt.
    Dieser Mensch fällt mit seinem Projekt böse auf die Nase. Und das, was er mit Alldem bezwecken wollte, ist in unerreichbare Ferne entschwunden.

    Liebe Gemeinde,
    an dieser Stelle könnte man wunderbar darüber philosophieren, wo die Menschheit heute ihre Türme von Babylon baut. Wo wir meinen, mit einem großen Wurf uns aus dem „klein klein“ das Alltags zu befreien – das große Ding drehen, und dabei sich ein bisschen zu fühlen, wie ein kleiner Gott, der „den da oben“ eigentlich gar nicht mehr braucht.
    Babylonische Türme sprießen zu allen Zeiten und überall aus dem Boden. Kleine und größere. Ich meine: Ich liebe meine Autonomie, möchte mein Leben selber planen und gestalten. Habe Freude an dem, was ich alles kann und auf die Beine stelle. – Muss ich da immer nach Gott fragen?
    Ich bin weit weg von einem mittelalterlichen Mönchsleben, mit „bete und arbeite“, wo ich jeden Abend mit Gottesfurcht zurückschaue und überlege, ob ich auch alle Gebote Gottes eingehalten habe.
    Ist das schon die Selbstüberschätzung der Turmbauer von Babel?
    Wann muss sich Gott Sorgen machen, dass ich mich von ihm abnabeln möchte?
    Wo ist der Punkt, wo mein fröhliches, selbstbewusstes aktives nach vorne gerichtetes Leben zum riskanten babylonischen Manöver wird? Ein maßloser Bau, der irgendwann als halbfertige Bauruine endet.

    Lost-Place-Besichtigung der Bauruine von Babel
    Um das herauszufinden ist es vielleicht nicht verkehrt, diesen alten Turm von Babel zu besuchen. Diese Bauruine mal genauer anzuschauen.
    Auch wenn man sie im Sand der Zweistromlands vergeblich suchen wird, in meinem Kopf sehe ich ihn vor mir. Und vielleicht trauen Sie sich mal mit hinein, in dieses alte verfallende Gebäude – und malen sich mit ihren Gedanken die eigenen Bilder im Kopf: – So manchem hilfts vielleicht, dabei die Augen zu schließen.
    Willkommen am Turm von Baylon! Noch bevor ich hineingehe, schaue ich mir den Turm an: Zart hellbraun ist er, so wie der Lehm dort in der Gegend. Rund ist er, breiter als die meisten Kirchen, die ich kenne. Nach oben hin wird er allmählich schlanker. Wie viele Etagen er hat? Ich zähle die Fensterreihen, aber ab einer gewissen Höhe kann ich die Reihen nicht mehr richtig erkennen. Es sieht darum schon so aus, als würde er stracks in den Himmel wachsen.

    Vor mir ist der Eingang. Es wirkt gigantisch: Das halbrunde Portal geht über die Höhe von drei Etagen. Die Seitenwangen des Portals sind stilvoll bemalt. Wenn man hindurch schreitet empfängt einen eine prachtvolle Eingangshalle. Einladend, weit, hoch. Lichtdurchflutet. Trotz des Staubs und des Sands, die hier überall liegen, wirkt alles erhaben. Unter den Füßen knirscht der Sand auf einem glänzenden Mosaik aus geschliffenen Halbedelsteinen. In der Mitte eine seltsame Konstruktion, die wohl mal ein Brunnen war. Wahrscheinlich ist er nie in Betrieb genommen worden. Aber man erkennt an einigen Stellen die Vergoldung an den Rohren. Nur das Feinste. Fünf-Sterne-Feeling. Und doch wirkt das alles so bemüht! So gewollt. Als wenn das alles mit Gewalt auf schick und edel getrimmt worden wäre. Hochglanz um des Hochglanzes Willen. Weil der erste Eindruck zählt. Die Fassade muss stimmen.
    Meine erste Erkenntnis: So ein Babylonischer Turm muss vor allem Eindruck machen, auf die Anderen.

    Ich will nach oben. Ich blicke suchend um mich, um einen Weg in die oberen Etagen zu finden. Schließlich entdecke ich eine der kleinen Durchgänge zu den Treppen. Im Gegensatz zu dem großzügigen Eingangsbereich sind die Treppen eng. Sie verlaufen wohl im Bereich der Außenmauern. Ein bisschen beschleicht mich so ein klaustrophobisches Gefühl. Die dicken Mauern wirken eher beängstigend, als beschützend. Sie sind so massiv. So viel Mauer und so wenig Treppe. Genau das Gegenteil des prächtigen Eingangs. Ich streiche über diese Wand, und hoffe, dass sie mir nicht weiter entgegenkommt. Ja, so massive Wände braucht man, wenn man hoch hinaus bauen will. Da bleibt nicht viel Platz für Komfort und Gemütlichkeit. Alles hier muss auf Tragkraft und Belastbarkeit hin optimiert werden.
    Und ich überlege, wie das mit den anderen Türmen im Leben ist – mit unseren Projekten, die wir anpacken. Ob es da auch mal passieren kann, dass man soviel in den Aufbau seines Turmes und seiner Stabilität steckt, dass der Platz knapp wird. Der Platz für mich, meine Familie meine Mitmenschen. Dass da in meinem Leben kaum noch Platz für mein Leben ist. Die Fassade steht, die Mauern werden hochgezogen, als ich spüre: Das alles nimmt mir die Freiheit, die Luft zum Atmen.

    Irgendwann bin ich ganz oben angekommen. In der „belle etage“. Da, wo die Turmerbauer es sich schön einrichten wollten. Mit Wellnessbereich, kühlen Getränken und erlesenen Speisen. Weit oben über den anderen. Da lässt es sich gut runterschauen. Man hat einen großartigen Blick.
    Ich gehe auch mal an eines der Fenster und schaue in die Tiefe. Die Menschen da unten sind schon arg weit weg. Arg klein. Fast wie Ameisen. Und es fühlt sich auch so an, als wären das da unten nur Ameisen. Hier oben hört man nicht die Stimmen von denen da unten. Nicht ihre fröhlichen Lieder, nicht ihr Klagen oder Jammern. Menschen wie Ameisen. So klein und so bedeutungslos … von hier oben aus. Das hier ist eine eigene, ganz andere Welt.
    Viel Platz ist hier oben nicht, der Turm ist hier viel schmaler. Nur ein paar Leute können hier oben sein, ohne sich laufend in die Quere zu kommen. Kann sein, dass es hier manchmal recht einsam ist. Gleichzeitig spüre ich die Kälte. Es ist der Wind, der hier oben durch die glaslosen Fensteröffnungen pfeift. Kann es sein, dass das Klima hier oben einfach kälter ist? Oben sein und oben bleiben, das ist ja die Kunst. Es soll ja schon öfter mal jemand von ganz oben abgestürzt sein.

    Ich überlege, warum da so viele „nach oben“ wollen. Und keine Ruhe geben, unzufrieden sind, wenn sie es nicht bis ganz oben geschafft haben. Wenn sie wüssten wie kalt, zugig und einsam es hier oben ist – da wären sie vielleicht froh und dankbar, dass sie nie hier oben angekommen sind.
    Amen

    Hinweis
    Die Predigt gehört zu einer Predigtreihe, in der wir uns als KollegInnen zusammengetan haben. Das Thema war „dumm gelaufen“. So ging es um verschiedene menschliche Missgeschicke, die wir in der Bibel finden.

    Pfarrerin von Niedner beschäftigte sich unter dem Titel „Jakob und die falsche Braut“ mit dem blanken Entsetzen am Hochzeitstag. Vikar Stöhler erzählte, wie der Prophet Nathan mit einem kleinen Trick die mühsam aufgebaute Fassade des rechtschaffenen Königs David zerbröseln lässt. Mit Pfarrer von Niedner konten die Gottesdienstbesucher mitfiebern, wenn es zwischen Jeremia und Hananja zum „Duell der Propheten“ kommt.
    Ja, und hier finden Sie meine Baubegehung in der Ruine des Turms von Babel.

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    Ein Kommentar

    1. Wolfgang Schmitt

      „Wir haben den Pfad der Einheit mit Gott verlassen und übrig bleibt eine bis heute gespaltene Menschheit, obwohl… WIR alle eigentlich „seine Kinder heissen, also des Schöpfers selbst!
      Aber dies….war UNS nie genug…, leider!

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