Predigt zur Kirchweihe: Wenn der Corona-Blitz in den Kirchen-Baum einschlägt (Gleichnis vom Senfkorn, Mk 4, 30-34) Sommer 2020

Kirchweih in Coronazeiten

Am Bild des aus einem Senfkorn gewachsenen Baumes betrachten wir die verschiedenen „Vögel“, die diesen Baum bewohnen. Dabei entdecken wir, wie sich das alles in Corona-Zeiten verändert hat.

Markus 4, 30-34

Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden?
31 Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden;
32 und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.
33 Und durch viele solche Gleichnisse sagte er ihnen das Wort so, wie sie es hören konnten.
34 Und ohne Gleichnisse redete er nicht zu ihnen; aber wenn sie allein waren, legte er seinen Jüngern alles aus.

Aus dem Senfkorn wird ein Baum

Liebe Gemeinde,

Da haben die Menschen Jesus gefragt, wie man das Reich Gottes beschreiben kann, und er erzählt ihnen von einem winzigen Saatkorn, das zu einem beachtlichen Strauch oder Baum heranwächst, in dem sich sogar die Vögel niederlassen.

Dabei spielt er wahrscheinlich auf sich selber an: Er, der kleine unscheinbare Prediger in Galiläa, von dem eine Bewegung ausgeht, die das ganze Land verändert und noch weit darüber hinaus. Eine unglaubliche Dynamik. Aus einem kleinen Anfang wird etwas ganz Großes.

So etwas gibt es immer wieder. Gerade in Wilhelmsdorf ist das ja auch geschichtlich gut festzuhalten. Da kommen 15 Familien aus Frankreich hierher in unser menschenleeres Tal, und nach wenigen Generationen ist hier ein Dorf entstanden, in dem jetzt über tausend Menschen leben und arbeiten.

Als Kirchengemeinde nehmen wir das Bild des wachsenden Baumes auch gerne für uns in Anspruch. Es gibt einen Anfang, eine Wurzel, aus der alles kommt und alles seine Kraft bezieht: In Jesus nimmt alles seinen Ausgang.

Und weit gespant mit vielen Ästen steht unsere Kirchengemeinde – unser Kirchenbaum –  da. Von den Gottesdiensten, über Posaunenchor, Familienkirche, Kindergarten, Konfirmandenarbeit, Seniorenkreis … ein breites Geflecht von Ästen. Und da ist so einiges los: Menschen kommen und gehen. Engagieren sich, oder schnuppern mal hinein.
Ja, das Bild Jesu mit dem Baum, in dem die Vögel hin- und her flattern, passt auch heute noch.

Die Bewohner unseres Baumes

Und da ist jeder Vogel anders!

Da gibt es die Dauerbewohner. Die seit Jahren und Jahrzehnten in unserem Kirchenbaum ihre Heimat haben. Viele sehen wir jeden Sonntag im Gottesdienst. Etliche engagieren sich in verschiedenen Bereichen und verstehen sich als fester Teil dieses Baumes.

Es gibt Zugvögel. Die kommen immer wieder mal vorbei. Für sie ist unser Kirchenbaum ein wichtiger Punkt, für bestimmte Momente im Jahr oder im Leben. An Weihnachten zum Beispiel kommen ganz viele von ihnen auf einmal. Und da merkt man, für wie viele dieser Baum eine Bedeutung hat.

Wir haben unsere Jungvögel in den Nestern. Unsere Konfirmanden schauen sich das alles etwas genauer an. Wir wollen, dass sie unseren Baum kennen lernen – aber auch, dass sie es lernen selbstständig zu fliegen. Und wir hoffen, dass sie später immer wieder mal zu unseren Baum zurückkehren, weil sie erfahren haben, was er ihnen geben kann.

Und es gibt auch so Vögel, die hocken gerne auf der Stromleitung. Sie haben nichts gegen den Kirchenbaum. Finden es wichtig, dass er hier steht und dass andere da Heimat finden. Bloß sie selber sagen: Ich muss da nicht unbedingt hin.

Wenn Corona in den Baum einschlägt

Als vor einem halben Jahr das Coronavirus alles verändert hat, ist das auch in unserem Kirchenbaum eingeschlagen wie ein Blitz. Erstmal ging für etliche Wochen zumindest in der Kirche gar nichts.

Das hat auch die Vögel erwischt.
Die Dauerbewohner haben gemerkt, wie es ihnen fehlte, am Sonntag hierher kommen zu können. Es gehörte zum Leben dazu. War ein fester Punkt in der Woche – Tankstelle und Moment zum Atmenholen.

Die Konfirmanden im Nest hats hat es auch ganz böse gebeutelt. Kurz vor dem großen Fest steht alles auf Pause – keiner konnte sagen, wie es weitergehen soll. Und gleichzeitig ist anderes, was ihnen wichtig war, auch ausgeknipst: keine Schule, kein Treffen mit Freunden.

Sogar die auf der Stromleitung haben sich gewundert. Sie wären ja sowieso nicht gekommen, aber dass da jetzt tatsächlich nichts ist – das hat sie dann doch irritiert.    

Wir entdecken Neues

Es ist wie mit einem Senfkorn: Wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können.

Jesus spricht von einer Pflanze – nicht von einer toten Konstruktion. Eine Pflanze die immer am Wachsen ist. Da wird auch mal etwas absterben, wegbrechen, verdorren, aber woanders spießen neue Knospen, wachsen Blätter, Äste und Früchte. Veränderung war doch schon immer ein Teil unseres Kirchen-Baum-Seins.

Und gerade wir Evangelischen haben immer Luthers Spruch “ecclesia semper reformanda” hoch gehalten: “Die Kirche muss sich immer reformieren/verändern”.

Wir haben das halt über Jahrhunderte immer so verstanden, dass wir unser Denken immer wieder hinterfragen müssen. Nunja, jetzt war halt mal unsere gewohnte Praxis dran, dass man sie überdenkt.

Da haben wir hier in Wilhelmsdorf einiges entdeckt. Davon will ich kurz ein bisschen erzählen.

Wir haben neu gelernt, was eine “volle Kirche” ist. Bisher war sie an Weihnachten, Konfirmation, Kirchweih und bei machen Beerdigungen voll – also mit mehr als 220 Leuten vollgestopft.
Jetzt ist sie manchmal mit 35 Besuchern schon “voll” – weil bei Einhaltung der Abstände nicht mehr Leute reinkonnten. Das ist ja auch der Grund, weshalb wir heute hier draußen sitzen.
Mit 35 Leuten schon voll? Ist das nicht frustrierend? Dass mickrige Häufchen?
“Nein!” sagt Jesus “Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen”.
Und er erinnert mich an das winzige Samenkorn aus seinem Gleichnis: Vergiss nie, die kleinen Anfänge, die kleinen Menschen, die kleinen Zahlen wertzuschätzen. Schaue immer auf jeden einzelnen, der ein gutes Wort braucht.

Wir haben auch gelernt, bei der Kommunikation neue Wege zu gehen.
Wenn jemand uns vor einem Jahr vorgeschlagen hätte, Sonntags ausgedruckte Andachten in Briefkästen der Senioren zu verteilen, Videoandachten aufzunehmen, oder einen Gottesdienst ins Internet zu übertragen … naja, es wäre wahrscheinlich nichts draus geworden, weil wir da viele Probleme und Schwierigkeiten vermutet hätten.
Nun haben wir haben wir es einfach mal versucht – und es ist doch ganz gut gegangen. Nicht alles war von Erfolg gekrönt, aber wir haben gesehen: Es wachsen neue Äste an unserem Kirchenbaum.

Eine dritte Beobachtung: Und unsere Kirche ist noch ein bisschen offener geworden. Wenn wir Gottesdienste feiern stehen zum besseren Luftaustausch unsere Türen offen. Und hie und da kommt jemand zufällig vorbei und schaut neugierig in den Raum – huch, die feiern ja Gottesdienst. Warum nicht gucken? Wir machen ja nichts Unanständiges. Gottesdienst – unser Glaube – ist ja keine Geheimveranstaltung. Warum soll nicht unser Singen, Reden und Beten auf die Straße hinausschallen?

Manchmal steht ja auch unter der Woche die Türe offen, und dann entdeckt man diese Kirchenstationen. Hinter dem Taufstein ist ein Eck, wo man seit Juli jederzeit mal vorbeikommen kann. Sich hinsetzen und schauen, was da alles zu entdecken ist – und immer kann man auch selber aktiv und kreativ werden. Bis Montag gehts um die Frage “Bist du so, wie andere es von dir erwarten?” – Danach gehts weiter mit der Aktion “Segen hamstern”. Alle 14 Tage ist da etwas anderes aufgebaut.

Anders und doch gleich

Wir lernen neue Wege zu gehen, neue Dinge auszuprobieren. Unser Kirchenbaum ist lebendig, wächst und verändert sich. Wichtig ist dabei, dass auch alle Wilhelmsdorfer Vögel, in ihrer Weise in diesem Kirchenbaum ihren Platz finden:

Die einen, die ihren sonntäglichen Heimat-Ast nicht vermissen sollen.

Die Zugvögel, die immer wieder mal kommen, und sich dann auch wohlfühlen, wenn sich einiges drumherum verändert hat.

Unsere Jungvögel, denen wir hoffentlich bald wieder ein möglichst kuscheliges Nest zum Großwerden anbieten können.

Ja, und auch die auf dem Stromkabel hocken, vielleicht kommen sie auch mal im langsamen Tiefflug vorbei, um festzustellen: Ja, die Kirche ist immer noch die gleiche … und doch auch ein bisschen anders.

Amen

Praktische Anmerkungen
Als Mitgebsel hat jeder Gottesdienstbesucher eine Maske mit einem Logo der Kirche erhalten. Wir haben das Modell „Gesichtsmaske Standard“ des regional ansässigen Druckunternehmens produzieren lassen.

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