Themenpredigt: „Wollust“ – kann denn Genuss Sünde sein? – 17. März 2019

Kann denn Genuss Sünde sein? Diese Predigt ist Teil einer Predigtreihe, in der wir im KollegInnenkreis vier der sieben Todsünden in den Blick genommen haben.
Mehr über die Aktion finden Sie am Ende der Seite.

Predigt zur Todsünden-Reihe 2019: Wollust

Liebe Gemeinde,

der Name ist furchtbar und finster: “Todsünden”. Ein Begriff, der Angst machen kann – und sicher auch über Jahrhunderte verwendet wurde, um Menschen Angst einzujagen – Angst vor Gott, der bestimmte Sünden anscheinend mit dem Tod bestraft.

Todsünden – Blick in die frühe Christenheit

Wenn man aber schaut, wo denn dieser Begriff eigentlich herkommt, sieht das ganz anders aus. Denn die ersten Christen haben sich mit einem Problem herumgeschlagen:
Da wird ein Mensch Christ. Er lässt sich taufen und beginnt eines neues Leben. Er will das Liebesgebot Jesu befolgen, alles besser machen, als zuvor. Aber irgenwann passiert es, dass er dann doch falsch handelt, sündigt. Er beleidigt einem Menschen, belügt seinen Partner, hängt am Geld und will nichts teilen. Irgend etwas ist immer.

Damit konnten die Christen damals umgehen, denn sie wussten: Gott vergibt uns, weil Jesus für uns gestorben und auferstanden ist. Aber was ist, wenn einer so handelt, dass es gar nicht mehr zum Christsein dazu passt? Vielleicht auch immer wieder? Gibt es nicht einen Punkt, wo man sagen muss:
„So geht das nicht, mein Freund. Mit deinem Handeln hast du dich bewusst und wiederholt so deutlich von Gott angewandt, dass man davon ausgehen muss: Das ist dir nicht wirklich wichtig. Dein Glaube ist tot. Gott wird da nicht mehr  mitspielen. Der Ofen ist aus. – Vielleicht gibt es einen Neuanfang … aber dazu müsste sich Grundlegendes bei dir ändern…“

So könnte man die Erfahrungen der frühen Christen zusammenfassen. Sie erleben: Es gibt immr wieder Handlungen und Haltungen, die für unsere Beziehung zu Gott tödlich sein können, wenn diese unser Leben bestimmen.

Diese Liste steht nicht in der Bibel – vielmehr spiegelte sie die langjährige Erfahrung wieder. Und wenn wir genau hinsehen, entdecken wir: Diese Todsünden sind nicht Taten, sondern eher Handlungstendenzen, innere Haltungen.

Sieben verschiedene “Todsünden” hat man in der Kirche einst ausgemacht: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit.
Alle sieben sehen eigentlich harmlos aus. Mord wäre eigentlich viel schlimmer – aber das weiß ja jeder. Das Tückische ist ja, dass in eigentlich harmlosen Schwächen die Gefahr zur Katastrophe schlummert.

Wollust kann so ziemlich alles sein – und positiv dazu 

Für heute habe ich die Wollust ausgesucht. Ein uraltes Wort. Das verwendet kaum jemand beim Sprechen. Und je nachdem, wen man fragt, entstehen andere Ideen im Kopf:

Bei Wollust denkt der eine an eine leidenschaftliche Nacht mit einer erotischen  Eroberung.

Ein Anderer erzält mir: Wollust ist den Genuß von einem perfekt gebratenen T-Bone Steak mit exquisiter Soße.

Oder ich lese davon, dass ein Lehrer mit Wollust seine Schüler mit ungeheuer schwer zu übersetzenden lateinischen Sätzen quälte.

A propos Latein: In der alten Kirchensprache Latein heißt diese Todsünde: “Luxuria”, und dann denke ich an ein protziges Auto vor einer Millionärsvilla am Starnberger See.

Nun fragt man sich: Wo ist da die Todsünde? Was soll am Genuss eines Steaks so schlimm sein, oder am Spaß zu zweit im Ehebett? Nur mal so: Auf den ersten Seiten unserer Bibel heißt es: Seid fruchtbar und mehret euch. Und im Buch Prediger steht: “Ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.” (Pred 3,13)
Wir feiern Erntedank – freuen uns darüber, dass Gott uns mit allem beschenkt, was wir zum Leben brauchen. Der Genuss dieser Geschenke ist dann ja sozusagen auch eine Form des Lobs an unseren Schöpfer, dem wir das alles verdanken!

Machtwechsel: Wenn die Wollust regiert

Also warum “Todsünde”? Das ist doch eigentlich gut!

Aber wir haben ja auch ganz andere Erfahrungen:
Wenn jemand seinen Kompass nur in der Hose hat und dadurch seine eigene Familie und fremde Partnerschaften zerstört. Gebrochene Herzen und Seelen zurücklässt.

Wo Genuss am Luxus keine Grenzen hat. Wenn massenhaft Geld und Ressourcen unserer Erde verschleudert werden für … sinnloses Geprotze mit Kaviar, vergoldeten Steaks und lauter Firlefanz, den kein Mensch braucht.

Wo Menschen es genießen, Macht über andere zu haben. Spielchen mit ihnen spielen, sie nach ihrer Pfeife tanzen lassen können. Einfach, weil sie es drauf haben, weil sie das Gespür haben, wie man Menschen beeinflusst und manipuliert.

… da tun sich Abgründe auf. Da kippt unser ganz unschuldiges Bedürfnis nach Genuss-Erfahrung und wird zu einem Monster in mir selbst. Macht mich selbst zu einem Menschen, der ich nicht sein will. – Und ich frage mich: Wo ist die Grenze?

Der Spaß zu zweit im Bett – kriege ich das immer hin, mit dem Bedürfnissen die jeder der beiden hat? Oder bin ich da eher derjenige, der mal schaut, dass es nach seinem Gusto geht?

Wo hört “schöner Wohnen” auf und wo fängt Luxus an? Da werden wir schon in unseren kleinen Dörfern ganz unterschiedliche Standards und Vorstellungen haben. Aber wenn ich so etwa global betrachte – wie wir in unserem Land Rohstoffe und Produkte verbrauchen, die unter kaum vorstellbaren Bedingungen in Entwicklungsländern abgebaut und hergestellt werden. Da höre ich den Propheten Amos, wie er die reichen Frauen seines Landes beschimpft hat: “Ihr fetten Kühe auf dem Berge Samarias, die ihr den Geringen Gewalt antut und schindet die Armen und sprecht zu euren Herren: Bringt her, lasst uns saufen” (Am 4,1). Da ahne ich – die fette Kuh, das bin irgendwie auch ich.

Das Spiel mit der Befriedigung

Liebe Gemeinde,

Bin ich wollüstiges Genussmonster oder ein dankbarer Genießer dessen, was Gott schenkt? Das erscheint doch alles recht relativ, beliebig – Auslegungssache. Oder?

Ich erinnere an unsere christlichen Vorfahren. Bei ihren Überlegungen zu diesen “Todsünden” ging es ja nicht so sehr um die konkrete Tat, sondern um die innere Macht, die dich antreibt.

Unsere Vorfahren fragten: Bist du getrieben von der Gier, immer wieder besonderes erleben zu müssen, immer wieder einen neuen emotionalen oder sexuellen Kick zu kriegen? Versucht du dein Leben mit allen möglichen Wertsachen vollzustopfen, weil du Angst hat, es wäre sonst leer?

Wenn ihnen das zu steil klingt, möchte ich es einmal praktisch erklären:

Manchmal spielt diese Welt ein Spiel mit mir. Sie hält mir Dinge vor die Nase und sagt mir: Schau mal, was ich da habe! Gell, das ist schön! Gib zu, das fehlt dir noch. Das wäre doch cool, das zu erleben, zu besitzen. Das zu haben – dann, ja dann könntest du zufrieden sein … oder? … na … spürst du nicht dieses leise Unzufriedensein tief in dir drin? Nutze jetzt die Chance …

So funktioniert der Schuhladen für Frauen, der Mediamarkt für Männer und das Datingportal Tinder für beide Seiten.

Wir kennen das Spiel – und wir kennen wohl auch die Erfahrung, dass es klappt. Das neue paar Schuhe, das elektische Gerät, das ich in der Einkaufstüte heimtrage löst natürlich Glücksgefühle und Befriedigung aus. Zumindest für ein paar Tage … und dann fängt das Spiel von Neuem an.

Wer spielt mit wem?
Treibt mich die Sehnsucht nach Befriedigung aller möglichen Sehnsüchte? Oder gelingt es mir, mich davon zu befreien? Weil ich weiß, dass meine “Wollust-Objekte” nicht dauerhaft mein Leben mit Glück zu füllen!

Wenn wir der “Todsünde Wollust” nicht auf den Leim gehen wollen, dann geht es nicht darum, dass bestimmtes Handeln jetzt per se Böse ist. Sondern dass wir loslassen können. Nicht alles haben müssen.

Ich muss lernen, dass ich glücklich und zufrieden/ befriedigt sein kann,

– auch, wenn ich nicht alles besitze, was ich haben könnte

– auch wenn ich nicht alles erlebe, wo ich hätte dabei sein können

– auch wenn ich nicht alles kann, was ich eigentlich gerne tun würde.

Glücklich ohne Vollausstattung!

Darum kann mir der Mediamarktprospekt auch mal dem Buckel runterrutschen. Und die tief dekolletierte Dame, die mich auf facebook anschreibt, kommt nicht auf meine Freundesliste.

Glücklich sein, mit dem was Gott mir schenkt, ohne dass ich all den anderen tausend Dingen hinterherhecheln muss.

Zufrieden – einfach so.

Vor fünf Jahren gab es eine ganz kurze und schlichte Jahreslosung. Aus dem 73. Psalm ist sie. Und vielleicht ist sie in bisschen so etwas, wie ein Impfstoff gegen unser Befriedigungs-Gehetze:

Gott nahe zu sein ist mein Glück.

AMEN

Die Todsündenreihe

Vier Pfarrer/innen zwischen Wollust und Zorn

Presseinfo:
In einigen Gemeinden im östlichen Dekanat Neustadt haben sich vier Pfarrerinnen und Pfarrer zu einem ungewöhnlichen Predigtprojekt zusammen getan: Sie haben das fast vergessene Thema “Todsünden” aufgegriffen. Kerstin Baderschneider, Monika Bogendörfer (beide Hagenbüchach), Marianne Grajer-Hechtel (Emskirchen) und Alexander Seidel (Wilhelmsdorf) haben sich jeweils einer der klassischen Todsünden angenommen und beleuchten in einer eigenen Predigt, was heute dahintersteckt. So kommen Wollust und Zorn genauso aufs Tapet wie Trägheit und Völlerei.
In den kommenden zwei Monaten wird durch einen ausgeklügelten Predigtplan dafür gesorgt, dass in jeder der sieben beteiligten Gemeinden auch alle vier Themen auf die Kanzel kommen.

Mit dem für viele fremd und altertümlich klingenden Thema haben die vier Geistlichen keine Probleme: “Unsere Gemeinden kennen uns und wissen, dass wir nicht von oben herab predigen. Vielmehr wollen wir einmal offen und ehrlich auf unsere oft allzumenschliche Regungen und Bedürfnisse schauen, die hinter den alten Begriffen wie Zorn, Wollust, Trägheit und Völlerei stecken.

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