Die Erzählung von Jakobs Himmelsleiter ist die Basis dieser Predigt und zielt auf das Besondere eines Ortes, an dem ich Gott begegne. Zur Kirchweih in diesem Jahr haben wir die Wertschätzung dieses Ortes dadurch ausgedrückt, dass wir am Ende des Gottesdienstes, unsere Kirche umarmt haben: Wir bildeten Hand in Hand einen großen Kreis um die Kirche und schlossen mit einem feierlichen Lied ab. In der Zeitung zuvor wurde die Aktion angekündigt – schließlich ist es je nach Größe der Kirche nicht ganz einfach, diesen Kreis zu schließen.
(Hinweis: Der Predigttext von Jakobs Traum von der Himmelsleiter wurde bereits zuvor als AT-Lesung vorgetragen)
Kirchen, Tempel … solche Orte, von denen die Leute meinten, dass diese etwas Besonderes wären, und dass man dort regelmäßig vorbeischauen müsste – das war nicht sein Ding.
Das hatte nicht nur damit zu tun, dass er nicht so im klassischen Sinn „fromm“ war. Obwohl – naja, vielleicht gabs da ja doch einen inneren Zusammenhang: Denn er war ja jetzt nicht so der besonders vorbildliche Erdenbürger. Da war einfach zu viel passiert … er war da eben irgendwie jung, dumm und übermütig gewesen, die eigene Mutter spielte da auch keine allzu rühmliche Rolle … jedenfalls diese Story – die ging ihn immer wieder nach und ließ ihn einfach nicht los.
Wie es jetzt weitergehen sollte, wusste er ohnehin nicht so recht. Seine Heimat hatte er ja sozusagen verspielt – schließlich hatte er seinem Bruder dessen Rechte als ältesten Sohn sozusagen geklaut. Beim Erbe hört bekanntermaßen die Geschwisterliebe auf. Aber mit den gewonnen Rechten und Besitzansprüchen konnte er nichts anfangen – denn es war klar: Sobald der gemeinsame Vater in Frieden die Augen geschlossen hätte, würde ihn sein eigener Bruder umbringen. Daran hatte der enttäuschte und wütende Esau keinen Zweifel aufkommen lassen.
So führte Jakobs Irrweg über verschieden Stationen, zu weitläufigen Verwandten, wochenlange Märsche – anders als beim Tourismus unsrer Zeit stand ihm der Sinn nicht nach der Besichtigung von Tempeln oder sonstigen Heiligtümern. Und umgekehrt hätte er nie im Traum daran gedacht, selber einmal so etwas zu bauen.
Obwohl es ja gerade ein Traum war, der für Jakob alles verändert hat! Auf seiner Reise übernachtete er draußen in der Steppe. Einen großen Stein platzierte er hinter seinem Kopf, vielleicht als Schutz gegen den staubigen Westwind. Und er träumte von dieser Leiter, die in den Himmel ragt, von den Engeln, die dort auf- und absteigen und von dem Versprechen Gottes: Ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Ein Traum, dieser Traum: Endlich einer, der freundliche Worte für ihn hat. Endlich ein Lichtblick, dass es im Leben weitergehen kann, auch wenn er so ziemlich alles falsch gemacht hat. Gott verspricht ihm seine Nähe und Treue – gerade ihm, der von seiner Familie alles andere als vertrauenswürdig eingeschätzt wurde.
Wir wissen, was dann geschieht:
Der Mann, der mit seiner Vorgeschichte von sich auch wohl keinen Schritt in ein Gotteshaus gesetzt hätte, beschließt: Hierher werde ich bald wiederkommen. Denn dieser besondere Ort mit seiner besonderen Geschichte für mich soll nicht vergessen werden – hier werde ich ein Gottes-Haus bauen. Für Gott und für meine Lebensgeschichte mit diesem Gott, der mitten im größten Schlamassel sagt: „Ich verlasse dich nicht.“
Liebe Gemeinde,
Kirchen sind besondere Orte. Orte an denen etwas anders ist, als sonst.
Nur weiß man manchmal nicht, ob die Kirche da steht, weil der Ort etwas Besonderes – oder ob der Ort etwas Besonderes ist, weil die Kirche da steht.
Bei Jakob war Ersteres der Fall: An diesem Ort, hat er Gottes Nähe und sein Versprechen, in beizustehen, erlebt. Darum war dieser Ort für ihn etwas besonderes. Was er in diesem Moment gespürt hat, was so anders als alles Bisherige. Das festzuhalten – zumindest geographisch, kann ich gut verstehen. Hier einmal wiederzukommen, sich an das Erlebte zu erinnern – vielleicht gerade dann, wenn es ihm nicht mehr so blendend gehen sollte. Zurückzukehren an diesem Ort, der ihm so gut getan hat – und möglicherweise noch etwas wiederzuentdecken von der Kraft dieses Ortes, dieser Begegnung, dieses Traumes.
So, wie viele noch genau wissen, „wo war mein erster richtiger Kuss?“ Genauso kann ein Ort auch Erinnerungen an wichtige Stationen meiner Liebes-Geschichte mit Gott wachrufen. Es gibt Orte, die verbinden wir mit bestimmten Stationen unseres Glaubens-Lebens. Und das müssen nicht zwangsläufig Kirchen sein – und wir müssen nicht unbedingt dort eine Kirche oder Kapelle hinstellen. Aber es tut uns gut, uns immer wieder mal daran zu erinnern, was wir mit unserem Gott erlebt haben.
So manches ehrlich ausgesprochene „Gott sei Dank“, manches erhörte Gebet, bei dem einen ein Stein vom Herzen gefallen ist, ist im Alltag schneller vergessen, als man denkt.
Obwohl: Wenn ich sehe, wie viele kleine und kleinste Kapellen wir in Süden Bayerns haben. Da überlege ich mir beim Wandern im Allgäu schon manchmal: Was war hier? Denn es muss ja nicht der tragische Tod eines jungen Menschen sein, der Grund für eine kleine Kapelle ist. Gelegentlich entdeckt man eine Inschrift oder Andeutung, die zeigt, diese Kapelle steht aus Dankbarkeit, als Erinnerung an etwas Besonderes, das jemandem widerfahren ist.
Aber nicht überall, wo eine Kirche steht, ist zuvor etwas besonderes geschehen. Bei unserer Kirche hier in Brunn ist ja auch nichts überliefert, weshalb genau hier diese Kirche, beziehungsweise ihre Vorgänger erbaut worden sind.
Ist der Ort hier dann nichts besonderes?
Natürlich doch! Es liegt ja auf der Hand: Dort, wo wöchenlich Menschen singen und beten, wo Gottes Wort gelesen und verkündigt wird, wo wir das Abendmahl feiern – da liegt es auf der Hand, dass Menschen hier Erfahrungen mit Gott machen. Dass sie hier Gebete gesprochen haben, die etwas in ihrem Leben bewirkt haben. Dass sie in diesem Bänken saßen und in sich spüren, dass Gott mit ihnen redet.
Natürlich kann Gott auch irgendwo draußen bei der Weihermühle mit mir sprechen und ich mit ihm – aber irgendwie ist das hier eine besondere Atmosphäre, wo die Begegnung mit Gott irgendwie mehr in der Luft hängt.
So manche Menschen behaupten gar, dass man es alten Kirchen anspürt, dass die dicken Mauern schon seit Jahrhunderten von den Gebeten der Menschen
durchdrungen sind.
So hat es mich auch nachdenklich gemacht, als wir den alten Taufstein in Tiefenbach besucht haben. Der stand bis vor etwa 110 Jahren vorne im Altarraum, über Jahrhunderte wurden Generationen von Kindern aus Brunn und Hohholz darüber getauft. Obwohl die allermeisten von uns den Taufstein nie vorher gesehen hatten war doch etwas zu spüren – von Verbundenheit und Respekt. Es gibt da Dinge, die kann man nur schwer in Worte fassen.
Kirche – das ist einfach etwa besonderes.
Letztlich kann man es nicht wirklich schlüssig erklären.
Man kann es höchstens erleben – wenn wir miteinander hier Gottesdienste feiern, oder wenn man tagsüber, während sie offen ist, sich einfach mal reinsetzt. Da sitzen, nichts machen, und spüren, was dieser Raum mit einem macht … wenn man da ganz alleine ist.
Liebe Gemeinde,
seit 291 Tagen steht sie hier unsere Kirche St. Georg – und heute feiern wir, dass wir sie haben! Dass sie ein fester Teil unseres Ortes ist; auch für diejenigen, die eher selten am Sonntag hier vorbeischauen. Sie gehört in unsere Mitte, und darum wollen wir sie am Ende unseres Gottesdienstes einmal in unsere Mitte nehmen. Sie buchstäblich umarmen – unsere Brunner Kirche.
Amen