Liebe Gemeinde,
von der Urgemeinde schwärmen viele Christen. – Die Urgemeinde, die ersten Christen, unter der Führung der Jünger Jesu, kurz nach seiner Auferstehung. Begeisterte Jünger, engagierte Christen, jeder half dem andern wo er gebraucht wurde. Menschen wurden von Krankheiten geheilt; ja, das ist die gute alte Zeit, davon darf man schon einmal schwärmen.
Aber die Urgemeinde damals in Jerusalem war keine Insel der Seligen. Unser heutiger Predigttext zeigt, dass es damals auch ordentlich Schwierigkeiten, richtiggehend Streit gab.
Predigttext
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, daß wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.
Das Problem der Urgemeinde und seine Lösung
Liebe Gemeinde,
die Gemeinde in Jerusalem, die man gerne Urgemeinde nennt, erlebte zu dieser Zeit offenbar einen enormen Zuspruch. Viele Juden aus Jerusalem und den umliegenden Dörfern hörten die Botschaft der Jünger und wurden zu Christen.
Darunter waren nicht nur die alteingesessenen Bewohner Israels. Auch viele Juden, die aus dem Mittelmeerraum zugereist waren, kamen zur christlichen Gemeinde. Da gab es Händler und Gelehrte, aber durchaus auch alte Menschen, die ihr Leben lang in Kleinasien oder Griechenland als Juden gelebt hatten, aber jetzt in das Land ihrer Vorfahren zurückkehren wollten, um in dem Land begraben zu werden, das Gott dem Abraham einst verheißen hatte.
Die unterschieden sich vor allem durch ihre griechische Muttersprache von denen, die in Jerusalem aufgewachsen waren. Und außerdem waren sie halt irgendwie anders, hatten andere Umgangsformen, waren manchmal anders angezogen und verstanden manches in diesem Städtchen Jerusalem einfach nicht – Sie waren halt doch irgendwie Ausländer.
In der jungen, wachsenden christlichen Gemeinde sah man eigentlich kein Problem in dem Miteinander von griechisch sprechenden und hebräisch sprechenden Juden. Als Christen gehörten sie alle einfach zusammen. Sie feierten Gottesdienste, manche arbeiteten sogar zusammen, und gemeinsam sorgten sie sich auch um die Armen. So auch um die Witwen in Jerusalem – die manchmal niemanden hatten der sich um sie kümmerte.
Lange Zeit funktionierte das auch ganz wunderbar, bis die Größe und Unübersichtlichkeit der Gemeinde zu manchen Problemen führte. Und so kam es dazu, das bei der Versorgung der Witwen die griechisch sprechenden alten Frauen manchmal glatt vergessen wurden.
Unser Predigttext beschreibt das mit vorsichtigen Worten. Vielleicht gab es sogar richtig Streit in der Gemeinde, in dem die griechischen Mitglieder deutlich ihren Unmut Luft machten: „Ist das Zufall, dass gerade unsere Witwen übersehen werden? Oder wollt ihr uns Griechen gar nicht mehr in der Gemeinde haben?“
Man beschloss das Problem in einer großen Gemeindeversammlung anzugehen. Dort signalisierten die Jünger Jesu, Petrus ganz vorne dran: „Auch die griechischen Witwen müssen versorgt werden, aber wir als Apostel sind damit überfordert. Unsere Aufgabe liegt woanders. Darum brauchen wir Menschen, die sich systematisch um die Versorgung der Witwen kümmern. Wählt unter euch fähige Menschen aus, die sich als Christen bewährt haben und ein Talent für so eine Aufgabe haben. Die wollen wir dann damit beauftragen“.
Fokus: Gabenorientierte Delegation
So elegant wurde das Problem damals von den Aposteln aus der Welt geschafft. Man könnte sagen: Ein gutes Beispiel für das gelungene Management in der christlichen Gemeinde.
Was die Unternehmensberatung McKinsey vor einigen Jahren unserer Kirchenleitung in München geraten hat, hatten die zwölf Jünger damals schon beherzigt: „Konzentriere dich auf deine Kernkompetenzen!“ Mit anderen Worten: Tue das, was du kannst mit ganzer Kraft, und mache es gut. Aber verzettle dich nicht in Dutzenden Aufgaben, die andere besser erledigen können als du.
Keiner muss alles können. Gott hat jedem Menschen Talente gegeben. Und die soll er oder sie auch einsetzen.
Und weil er den Menschen so viele verschiedene Talente gegeben hat, können auch verschiedene Menschen verschiedene Dinge tun. Und davon können alle profitieren.
Liebe Gemeinde,
ich möchte nun zwei dieser sieben Männer in den Blick nehmen, die damals für die Aufgabe der Witwenversorgung ausgewählt wurden. Den ersten, der genannt wurde, und den letzten.
Der Blick auf Stephanus
Stephanus wird als erstes in der Liste der 7 Männer genannt. Kommt ihnen der Name bekannt vor? Es ist wahrscheinlich der Stephanus, von dem im gleichen Kapitel noch einmal die Rede ist: Der erste Märtyrer der Christen.
Stephanus hat offensichtlich nicht nur irgendwie im Hintergrund die Versorgung der Witwen mit Lebensmitteln organisiert. Zugleich hat er als Christ offen in der Synagoge für den christlichen Glauben geworben. Und das mit so gutem Erfolg, dass man ihn durch eine Intrige vor Gericht gestellt hat und hingerichtet hat – er wurde gesteinigt.
Stephanus, der erste Märtyrer stand für seinen Glauben ein, er hätte niemals gesagt „ich bin nur für die Witwenversorgung zuständig, alles andere was den Glauben angeht, ist Sache der Apostel“.
Auch wenn in der Urgemeinde schon die Aufgaben unterschiedlich verteilt wurden;
auch wenn die einen zum Predigen und die anderen zur Lebensmittelverteilung beauftragt waren: Für den Glauben gab’s keinen speziellen Beauftragten, dafür war jeder selbst zuständig.
Egal ob es damals Stephanus war, der Lebensmittel organisierte, oder heute eine Erzieherin im Kindergarten arbeitet, oder jemand als Mutter oder Vater daheim: Als Christ bin ich dazu gerufen meine Aufgabe auch als Christ zu tun. Und das hat natürlich Folgen für mein Tun oder Lassen.
Der Blick auf Nikolaus
Blicken wir nun zum Schluss auf den Letzten in der Reihe der 7 Mitarbeiter, die sich um die Witwen kümmern sollten: Nikolaus. Über ihn wissen wir nur, was die Liste in unseren Predigttext über ihn sagt: Nikolaus, der Judengenosse aus Antiochia.
Wo so wenig über eine Person geschrieben ist, erlaube ich mir, mit ein wenig Phantasie Nikolaus ein bisschen mit Leben zu füllen:
Nikolaus war erst seit einem Jahr in Jerusalem. Er, der kleine Beamte im römischen Reich war hierher versetzt worden. Strafversetzt von der Metropole Antiochia hierher- gegen seinen eigenen Willen. In Antiochia hatte er sich in den Augen seiner Vorgesetzten falsch verhalten.
Man sieht es nicht gerne, wenn Bedienstete des römischen Reiches mit fremden Religionen liebäugeln. Zu oft war er in die Synagoge von Antiochia gegangen, hat den Predigten der jüdischen Gelehrten gelauscht, die von einen Gott sprachen, den er als Syrer gar nicht kannte. Zuerst war es Neugier und Faszination, aber mit der Zeit merkte er, wie ihm dieser Gott immer vertrauter wurde.
Als sich Nikolaus dann offiziell zu Gemeinde der Juden hielt, sich beschneiden ließ und die Gebote der Tora beachten wollte, musste sein Vorgesetzter reagieren. Die Versetzung nach Jerusalem war beschlossene Sache.
Auch wenn es ein Abstieg in seiner Karriere war: In Jerusalem konnte er den Tempel besuchen und in der Synagoge den Diskussionen zuhören. Selbst mitreden, das traute er sich nicht: Denn ein richtiger Jude war er nicht, sondern nur ein Proselyt, ein Judengenosse, ein übergetretener, noch dazu griechisch sprechend und aus dem Ausland.
Vor einigen Monaten ist dann ein Mann namens Andreas in die Synagoge gekommen und hat von Jesus Christus gesprochen. Dem auserwählten Gottes, der die Menschen angenommen hat, mit denen keiner reden wollte, der Gottes Liebe verkündigt hat und sogar nach seinem Kreuzestod wieder auferstanden war. Von diesem Tag an zählte sich Nikolaus zu den Christen. Er ließ sich taufen, ging in ihre Gottesdienste, feierte das Abendmahl und engagierte sich mit seinem Besitz, so weit es ging. Er fühlte sich wohl. Nur noch ganz selten fühlte er sich als Gläubiger zweiter Klasse.
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Als Nikolaus hörte, dass der Apostel Petrus eine Gemeindeversammlung einberufen hatte, weil einige griechisch sprechende Christen sich wegen ihrer Witwen beklagt hatten, wusste er nicht so recht, ob er da hin sollte. Die Angst kam wieder hoch, man könne ihn nicht ernst nehmen, weil er kein echter Jude war und keiner, der gut hebräisch konnte.
Aber dann ging er doch, hörte sich die Diskussionen an, blieb aber still. Auch als Petrus mit seiner Rede fertig war und man in der Gemeinde überlegte, wer die Witwenversorgung organisieren sollte, sagte er nichts. Schließlich war er ja noch nicht so lange hier, wollte nichts falsch machen, und als Wichtigtuer wollte er schon gar nicht erscheinen.
Das schaute ihm ein Augenpaar direkt ins Gesicht – Andreas, einer der Apostel stand vor ihm: „Lieber Nikolaus, kannst du uns helfen? Als Beamter weißt du doch viel über eine gute Organisation!“
Sofort schoss ihm ein ganzes Bündel von Ausreden durch den Kopf:
“ ich habe doch zu wenig Zeit für so eine Aufgabe“
“ ich bin doch erst neu hier, und kenne mich nicht genau aus“
“ außerdem kann ich doch nur schlecht hebräisch“
“ das können doch andere bestimmt viel besser“
“ ich möchte nicht anderen zuvorkommen“
Die Augen von Andreas waren immer noch da.
Nikolaus atmete tief durch und sagte “ Ja, ich mache mit“
Als er am Ende der Versammlung mit sechs anderen Männern vor den Aposteln stand, die ihnen die Hände auflegten und sie segneten, nutzte Nikolaus die Stille für sein eigenes Gebet: „Danke mein Gott, dass der mir den Mut gegeben hast, eine Aufgabe in der Gemeinde zu übernehmen. Danke dass du mir dabei helfen wirst und ich mit anderen gemeinsam für dein Reich arbeiten darf.“
AMEN