Predigt: Wenn jemand Maß anlegt… (Lukas 6, 36-42 – Symbol Zollstock) 13. Juli 2003

Hinweis: Im letzten Teil der Predigt erscheint unerwartet ein Kollege (Pfr Stradtner) aus einem Nachbardorf, der sich in die Predigt einmischt.

Predigttext Lk 6, 36-42:
36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.
38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn  eben mit dem Maß, mit dem ihr meßt, wird man euch wieder messen.
39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?
40 Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister.
41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?
42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Liebe Gemeinde,

um Maßstäbe geht es in unserem Predigttext, den sie eben gehört haben. (Zollstock in der Hand des Pfarrers)

SPLITTER UND BALKEN

Wir Menschen messen gerne… besonders gerne legen wir die Maßstäbe bei anderen an.
Offensichtlich war das vor 2000 Jahren ganz genauso. Jesus wirft es seinen Zuhörern vor:
Den Splitter im Auge eures Bruders erkennt ihr sofort. Aber ihr überseht ganz schnell, dass in eurem eigenen Auge ein ganzer Balken steckt.

Den Splitter im Auge des andern zu sehen ist eigentlich keine Schande. So ein Splitter ist keine Lapalie! Der tut ja wirklich weh und stört. Wenn mir beim Auto oder Fahrrad fahren irgend etwas ins Auge fliegt, dann komme ich ganz schnell in Schwierigkeiten und verliere die Orientierung, denn blitzartig zieht sich mein Auge schmerzhaft zu und manchmal andere gleich mit.
Wie gut, wenn mir jemand hilft, diesen Splitter aus dem Auge herauszubekommen. Da bin ich dankbar dafür, gar keine Frage.

Auch im übertragenen Sinn bin ich froh, wenn mir jemand liebevoll zu verstehen gibt: Du, ich möchte dir mal etwas sagen. Dies oder jenes in deinem Handeln irritiert mich, dass finde ich nicht gut. Kann es sein, dass dir das selber noch da nicht aufgefallen ist?
So eine Kritik höre ich natürlich nicht zur gerne wie ein Lob, aber eigentlich bin ich froh, wenn mich jemand auf etwas aufmerksam macht, was sich in meinem Leben vielleicht überdenken sollte.

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn mir jemand von oben herab bescheinigt, was in meinem Leben nicht richtig zu sein scheint. Wenn ich das Gefühl habe, einen Oberlehrer in Lebensführung vor mir zu haben, der jetzt Noten verteilt und ungefragt Splitter aus meinen Augen ziehen will.
Da werde ich skeptisch, und frage mich, ob dieser Besserwisser vielleicht selber einen Riesenbalken im Auge hat.
Ehrlich gesagt: Selbst wenn diese Oberlehrer in diesem Fall Recht haben sollte: So einem Menschen würde ich dann auch nicht zugeben einen Fehler zu haben; soll der erst einmal seinen eigenen Balken finden.

Viel wohler fühle ich mich da, wenn mich jemand geschwisterlich korrigiert. Einer der selber weiß: In seinem Leben ist auch nicht alles perfekt. Aber einfach aus der Solidarität der fehlbaren Menschen heraus gibt er mir einen Hinweis, und hofft darauf, dass ihm auch jemand mal einen Tipp gibt, wie sein Leben besser gestalten kann.

Eigentlich komisch: Beide Menschen, haben in meinem Leben Maß genommen und gemerkt, wo etwas nicht ganz stimmt. Aber bei dem einen bin ich froh dass er mir sagt, was nicht passt. Und am andern bin ich verärgert und verletzt.
Anscheinend ist nicht das Messen als solches das Problem, sondern die Frage, wie wir mit den Maßstab umgehen!

DER MASSSTAB

Schauen wir ihn doch einmal an – unseren Maßstab. Mit einer Einteilung in Millimeter und Zentimeter kann ich su ziemlich alles nach Länge, Breite und Höhe messen.
Messen ist wichtig. Auch unser Leben können wir richtig gut messen. Ich kann mich erinnern, wie ich mich als kleiner Junge immer wieder am Türstock gemessen habe: 1,42 Meter, 1,60, 1,70. – Ja, Wachstum kann man messen … und zwar nur, wenn man auch ein Maßstab hat.

Ohne Maßstab kann ich das Messen vergessen. Ohne Maßstab könnte man nicht genau nachvollziehen, ob der kleine Junge richtig wächst – nämlich in die Länge und nicht zu sehr in die Breite. Der Maßstab kann mir dabei helfen.

In der Bibel kann ich Maßstäbe für mein Leben entdecken.
a) Ganz konkrete Gebote, Leitlinien des Lebens. An ihnen kann ich messen, ob ich nach Gottes Willen handle oder dagegen verstoße. Mit ihnen kann ich nicht nur im nachhinein nachmessen, etwas gut oder schlecht war. Ich kann und sollte auch vorher Maß nehmen, prüfen ob das, was sich vor habe, das Rechte ist.
b) Auch eine Form von Maßstab ist es, wenn ich davon ausgehe, dass mein Leben ein Ziel hat. Dass es auf Gott zuläuft, dass ich nach dem Tod bei ihm ankommen werde. Bei Beerdigungen hören wir oft einen Vers aus dem 39. Psalm: „Herr, lehre doch mich, daß es ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß.“ Das Vertrauen auf diesen Gott kann so für mich zu einem wichtigen Maßstab werden, in dem was sich tue.

SICHTBARES UND UNSICHTBARES

Dieser hölzerne Zollstock hilft mir, allerlei zu messen – aber viele Dinge kann er nicht messen.
Vieles im Leben ist unsichtbar und für uns Menschen nicht messbar. Wir messen allenthalben Äußerlichkeiten. Und die sind das einzige, woran wir andere messen und beurteilen können. Und da müssen wir aufpassen. Die Jahreslosung für 2003 erinnert uns immer wieder daran: “ Der Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an“.

Manchmal wissen wir nicht, was dahinter steckt, wenn einer anders handelt, als wir es uns wünschen würden.
Wo wir nicht alles sehen, was in einem Menschen vorgeht, was ihn bewegt.
Vielleicht warnt Jesus aus diesem Grund:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.  Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“

Das ist sein Auftrag an uns:
– Wir sind nicht berufen, über andere Menschen zur richten.
– Es ist nicht unsere Aufgabe, den anderen zu verdammen, ihn für unmöglich zu erklären.
– Sondern wir sollen vergeben und barmherzig sein.

Und zu dieser Barmherzigkeit kann es auch gehören, den anderen auf das aufmerksam zumachen, was mir auffällt, damit er die Möglichkeit hat den Weg zu korrigieren.
Das ist keine einfache Aufgabe. Die Fettnäpfchen stehen schon bereit, in die man dabei treten kann … selbst wenn man es als Freund gut meint.
Wie sage ich meiner Nachbarin, dass sie im Umgang mit ihrer Schwiegertochter – meiner Ansicht nach – zu liebelos und verständnislos umgeht?
Wie mache ich meinem Bruder deutlich, dass er mit seiner Sauferei dabei ist, sich selbst zu Grunde zur richten?
Wie mach ich meinem Freund klar, dass er so, wie er daheim in der Familie als Herrscher regiert,  seiner Frau und den Kindern die Luft zum Atmen nimmt

Dafür braucht man viel Mut, viel Fingerspitzengefühl und auch Gottes Segen.

GOTT MISST NACH!

Komisch, manchmal schere ich mich mehr um die Meinung der Leute, als um das Urteil Gottes über mein Leben.
Eigentlich müsste es doch genau umgekehrt sein. Denn er schaut noch viel genauer hin, er ist derjenige, der eben auch das Unsichtbare in meinem Leben sieht.

Und er, der Herr, er misst nach! Er ist derjenige, der das kann, was uns nicht erlaubt ist:
Zu messen und zu urteilen; zu richten und zu verdammen.
Wo Gott uns Maßstäbe gibt, da kann natürlich auch daran gemessen werden, beurteilt und gerichtet.

Wie in der Geschichte bei  Daniel: Während eines monströsen Festmahles in Haus des Königs Belsazzar erscheint plötzlich eine Schrift an der Wand: Das Menetekel – Und es bedeutete: „Ich habe dich gewogen und für zu leicht befunden“. Ein Verdammungsurteil über das Leben dieses Königs.
Es gibt Handlungen, zu denen sagt Gott kategorisch: Nein.

Ganz gerne blenden wir evangelische Pfarrer dieses Thema aus. Eine frohe Botschaft möchten wir gerne verkündigen; aber die Warnungen Gottes vor seinem Gericht über unser Handeln … der sind wir von Natur aus eher etwas vorsichtig.

DIALEKTIK: LIEBE UND GERECHTIGKEIT

Pfr. Stradtner:
Moment mal! Wenn’s über uns Kollegen geht, muss ich als Gnötzheimer Pfarrer schon mal etwas dazu sagen!
Lieber Alexander, wir haben halt nun einmal ein „Evangelium“ – Eine frohe Botschaft. Und darin ist die Rede von Gottes Barmherzigkeit; auch gegenüber uns Sündern! Genau das hast du doch vorhin am Anfang des Gottesdienstes so gesagt?  „Gottes Auge blickt nicht allein auf unsere Werke, sondern auf unseren Glauben! – So ungefähr war es doch?.

Seidel
Ja, da hast du natürlich Recht.
Aber ich überlege mir: Kann es überhaupt eine Barmherzigkeit geben, wenn es nicht auch schon vorher Maßstäbe gibt – Ein Richtig und ein Falsch?
Wenn quasi alles beliebig ist, wenn Gott einfach alles irgendwie in Ordnung finden würde, dann wäre das doch nicht Barmherzigkeit. Das wäre vielleicht Beliebigkeit oder Interesselosigkeit.
Ein Gott, wir uns Gebote gibt, und dem dann letztlich doch alles wurst ist? Den kann ich in meiner Bibel so nicht finden.

Pfr Stradtner:
Aber den strengen Richter, der streng nach seinen Geboten die Menschen aburteilt und verwirft, die finde ich aber auch nicht so einfach in meiner Bibel. Schau dir doch seine Beziehung zum Volk Israel an: Immer wieder werden sie ihm untreu, verstoßen gegen seine Gebote. Und seine Reaktion ist aber kein Todesurteil, manchmal aber immerhin eine kernige Strafe. Letztlich aber rettet er sie immer wieder vor dem Untergang.
Gott verfolgt also nicht einfach gnadenlos irgendeine Gerechtigkeit, sondern zeigt seine Liebe in seinem Handeln.

Seidel
Gerechtigkeit und Liebe in einem … ich finde es ist schwer, beides zusammenzudenken.
Obwohl: Eltern versuchen das ja eigentlich auch. Sie lieben ihre Kinder von ganzen Herzen und wollen ihnen alles erdenkenklich Gute tun. Zugleich aber wissen Sie auch, dass sie ihren Kindern klare Leitlinien für Leben mitgeben müssen. Wenn sie alles erlauben und zu allem Ja und Amen sagen, werden  die Eltern und auch die Kinder letztlich nicht glücklich.
Trotz aller Liebe , oder besser gesagt wegen ihrer Liebe müssen sie darum ringen, dass die Kinder Recht und Unrecht unterscheiden können – und selbst für die Gerechtigkeit einstehen.

Ich glaube das ist enorm schwer. Für uns Väter ist es manchmal ein echtes Kreuz.

Pfr. Stradtner:
Genau! Das Kreuz ist der Schlüssel dazu. (Der Zollstock wird zu einem Kreuz zusammengeklappt)
Im Kreuz kommt beides zusammen:
Die Liebe Gottes zu uns, und sein Anspruch auf Gerechtigkeit.
Durch den Glauben an Jesus Christus spricht Gott uns als Sünder gerecht.
Das heißt: Er vergibt uns, auch wenn wir Fehler machen!

Seidel:
… und zugleich hält er seinen Anspruch aufrecht: Er will auch weiterhin, dass wir dem rechten Weg gehen, seine Maßstäbe für unser Leben beherzigen.

Amen

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