Liebe Gemeinde,
wenn es auf einen Abschied zu geht, dann werden wir Menschen manchmal besonders feierlich. Wir merken: Jetzt musst du die richtigen Worte treffen; was du jetzt nicht mehr los wirst, das bleibt ungesagt.
Die Situation aus unserem heutigen Evangelium ist auch eine Abschieds-Szene. Jesus hat seine Jünger kurz nach seiner Auferstehung nach Galiläa geschickt. Sie tun das auch und gehen auf den Berg, von dem er gesprochen hatte. Und dort oben treffen sie ihm tatsächlich: Sie, die elf Jünger, ohne den Judas.
Da stehen sie sich gegenüber: Jesus, der Auferstandene auf der einen Seite, die Jünger auf der anderen. Matthäus schreibt: Als sie in sahen, fielen sie vor nieder, einige aber zweifelten. Es hat sich also nicht sehr viel verändert. Die Mannschaft der Jünger ist auch weiterhin keinen homogenes Team der christlichen Elite – viel eher ein gemischter Haufen mit unterschiedlich starken Glauben.
Ihnen allen gibt Jesus seine Worte mit auf den Weg. Allen – denen die zweifelten und denen, die unerschütterlich Jesus bekannten. Jedes einzelne Wort scheint sorgfältig überlegt zu sein. Kurz und prägnant, ohne überflüssige Schnörkel sagt Jesus, was jetzt für die Jünger dran ist:
[16] Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. [17] Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. [18] Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. [19] Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes [20] und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28, 16-20)
Diese Abschiedworte im Matthäusevangelium haben es in sich. Mit den Inhalten könnte man locker zwei Monate lang die Predigten bestücken. Aber ich möchte es doch versuchen, jede Zeile dieser Abschiedsworte einmal in die Hand zu nehmen und ihnen einige Gedanken mitzugeben.
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“
Auf dem ersten Blick scheint Jesus hier klar zu machen, wer der Chef ist: „Ich habe hier die Macht“. Das leuchtet mir auch ein: Er ist der Sohn Gottes, er sitzt zur Rechten des himmlischen Vaters. Er könnte eigentlich machen, was er will. “ Alle Gewalt im Himmel und auf Erden“
Eine Machtfülle, die einem schon Angst machen könnte.
Und zugleich macht mich so eine Aussage auch stutzig: Wenn Jesus der absolute Herrscher und Machthaber ist, weshalb braucht er dann überhaupt diese mittelmäßige Truppe von elf Jüngern um seine Aufträge zu erledigen? Er selbst könnte das doch viel besser und zuverlässiger.
Es liegt wohl daran, dass er seine Macht anders ausübt, als wir das von Herrschern kennen. Sichtbar wird das an seinem größten Sieg … den Sieg über den Tod. Seine Macht hat er nicht genutzt um Heerscharen von Engeln herbeizurufen, um ihn vom Kreuz zu holen. Vielmehr hat er seine Kraft verwendet, um den Tod tatsächlich gegenüberzutreten, zu sterben und wieder aufzuerstehen.
Das war kein Akt der Machtausübung, sondern ein Akt der Liebe gegenüber uns Menschen.
Jesus Christus herrscht nicht mit Gewalt und Unterdrückung; er führt ein Regiment der Liebe.
Und dieses Regiment der Liebe wird sich über Himmel und Erde erstrecken, über Stadt und Land.
Seine Kraft der Liebe kann uns überall erreichen, uns begleiten und stärken.
„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, dieser Satz ist die Ausgangsbasis für das, was nun kommen soll.
„Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker“
Mit diesen Worten, dem Missionsbefehl, schickt er seine Jünger als Missionare hinaus. Sie gehen nach Jerusalem, nach Galiläa und Samaria, hinauf in den Norden, nach Damaskus, einige kommen auf ihrer Reise bis nach Rom.
Der Begriff „Missionsbefehl“ klingt ein bisschen militärisch wie „Marschbefehl“.
Aber eigentlich ist es nur logisch, dass die Jünger ausschwärmen und vom Glauben an Jesus Christus weitererzählen. Das, was die erlebt haben, was ihr Leben lebenswert und wertvoll gemacht hat, davon sollen auch andere Menschen etwas haben. Der Sieg über den Tod muss auch den anderen zuteil werden. So etwas Wunderbares darf man einfach nicht für sich behalten.
Wer so etwas Großes geschenkt bekommt, hat auch die Pflicht, davon weiter zu geben.
Sie erzählen es weiter an ihre Familien, ihre Freunde, Nachbarn … durch das ganze Land ziehen sie mit ihrer Botschaft.
Bei ihrer Mission überschreiten sie immer auch Grenzen: Zum Beispiel die Grenze des Judentums hin zum Heidentum. Dank dieser Grenzüberschreitung sind wir in Mitteleuropa überhaupt erst zum Christentum gekommen. Hätten sich damals die Jünger nicht zu den Heiden getraut, wäre ihr Glaube eine Sonderform des Judentus in Israel geblieben.
Mission gehört einfach dazu.
Natürlich kennen wir auch die Schattenseiten. Für viele Menschen ist der Begriff Mission zu einem Schimpfwort geworden. Sie denken dabei an die gewaltsame Christianisierung von Völkern, bei der es oft nicht vorrangig um Verbreitung des Glaubens ging, sondern um einen kulturellen Sieg, und politische, wirtschaftliche und manchmal auch kirchliche Interessen.
Aber darf der Missbrauch einer guten und wichtigen Sache wie der Mission dazu führen, dass sie plötzlich nicht mehr salonfähig ist? – Das kann es ja nun wirklich nicht sein.
Mission ist Auftrag von uns Christen. Und da möchte ich nicht nur an ferne Länder denken. Glaube will auch daheim weitergegeben werden:
– Wenn wir als Eltern nichts von unserem Glauben weitergeben, unseren Kindern nicht durch unser alltägliches Leben zeigen, dass der Glaube einen Wert fürs Leben hat, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn sie uns in späteren Jahren sagen: „Mit Jesus und Gott kann ich einfach nichts anfangen“.
– Und wo ich im Freundeskreis oder bei den Arbeitskollegen ein Geheimnis daraus mache, das ich öfter einmal in die Kirche gehe, da bin ich alles mögliche, aber kein Missionar.
= Wir Christen sind der Brief Gottes an die Welt. Und wir werden gelesen, auch ohne dass wir dabei den Mund aufmachen. Unser Leben kann viel verraten, oder eben auch verschweigen.
“ Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“
Die Taufe gehört zum Christsein dazu. Zur Zeit der ersten Christen machte man durch die Taufe deutlich: Ich will zu dieser christlichen Gemeinde und zu diesem Gott dazugehören.
Mit der Taufe begann ein neues Leben. Von da an gehörte man dazu, zur Gemeinde der Christen, die für sich wusste: Durch Jesus Christus gewinnt unser Leben eine neue Perspektive, für die Gegenwart und fürs Leben nach den Tod.
Wie taufen nun schon seit Jahrhunderten die Kinder. Damit nehmen wir sie sozusagen bei der Hand mit hinein in die Gemeinde der Christen. – Ohne dass sie erst einmal ja oder nein dazu sagen können.
Das ist nicht unproblematisch. Und es gibt Stimmen, die mit guten Argumenten dafür plädieren, dass wir nicht die Kinder, sondern erst die Erwachsenen taufen, die sich frei entscheiden können.
Heute morgen werden wir dieses Problem nicht lösen. Aber wenn ich diesen Missionsbefehl auch als Auftrag für Eltern ansehe, geht mir ein neues Licht auf:
Da wird mir nämlich aufgetragen: Tut das eure dazu, das eure Kinder zu Jüngern werden, tauft sie und lehrt sie halten alles was Christus euch befohlen hat. Da kann die Taufe der kleinen Kindern durchaus einen Platz haben.
„Und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“
Jesu Gebote halten. Dieser Auftrag hat innerhalb unserer evangelischen Kirche wohl unterschiedlichste Formen angenommen.
– Da gibt es die einen, die sehr genau wissen, was für Christen erlaubt und verboten ist. Manche möchten mir sogar vorschreiben, welche Art von Musik ich als Christ hören darf, und ob ich lange oder kurze Haare tragen muss. Das eine ist christlich, und das andere ist verwerflich und weltlich.
– Und gibt es auch die anderen, die sagen mir: „Ich bin doch evangelisch, da ist doch alles erlaubt, oder? Sonst könnten wir gleich katholisch werden.“
Ich bin mir sicher: Beide Meinungen liegen deutlich neben dem, was Jesus eigentlich in der Bibel lehrt. Allein in der Bergpredigt hat er uns ausreichend viele Regeln für unser Leben mitgegeben. Wenn wir sie beherzigen, haben wir sicher genügend zu tun und müssen uns nicht über Haarlängen oder Musikstile streiten.
Wenn wir aber glauben, alles sei erlaubt, weil Martin Luther irgendwie alle Gebote abgeschafft hätte, dann haben wir weder Luther noch Jesus Christus wirklich verstanden. Sicherlich haben wir evangelische einen etwas andern Zugang zu Gottes Geboten als unsere katholischen Glaubensgenossen.
Aber dass die Gebote für uns gelten, steht in beiden Konfessionen absolut außer Frage.
Nur habe ich die Befürchtung: Wir evangelische sind häufig sehr sehr kompromissbereit. Auch im Gegenüber zu kompromisslosen Verfechtern einer Lebenshaltung, die sagt: „Ich darf eigentlich alles machen, solange ich Lust dazu habe“. Und mit solchen Kompromissen – oft im Zeichen der Liebe – manövrieren wir uns Zug um Zug dahin, dass wir unser eigenes christliches Profil aufgeben.
Und da macht uns Jesus einen deutlichen Strich durch die Rechnung: „Und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe!“
“ Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“
Dieser letzte Satz bindet alles noch einmal zusammen. Er erscheint mir wie eine Schnur um dieses Bündel von Aussagen in Jesu Abschiedsworten, die die Jünger auf diesem Berg gehört haben.
– Ich habe alle Macht hat er gesagt … und die Jünger sind zusammengezuckt
– Macht zu Jüngern alle Völker … und elf Männern die sich noch nie weiter als 80 Kilometer von Jerusalem entfernt hatten, wurde schwindlig
– Tauft sie auf den Namen des dreieinigen Gottes … und mancher bekam Bauchschmerzen, bei der Überlegung wie man so eine wachsende Gemeinde überschauen könnte
– Lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe … da wurden sie auf einmal stumm und erkannten ihre eigenen Schwächen
– Siehe, ich bin gleich alle Tage, bis ans Ende der Welt … da atmeten sie auf, weil sie wussten: Wir sind nicht allein mit unserem Auftrag. Jesus selbst wird uns begleiten, stärken und korrigieren. Bis wir am Ziel unseres Lebens angelangt sind, in Gottes neuer Welt.
Amen