Wie es gerade so kommt: Hier nehme ich den Predigtext des 17. Sonntags nach Trinitatis für Erntedank – der passt da nämlich auch ganz gut.
Liebe Gemeinde,
BAUER MÜLLER
Bauer Maximilian Müller hätte doch fast übersehen, einen Förderantrag für eine seiner landwirtschaftlichen Flächen rechtzeitig zu stellen. Aber dann ist es ihm doch noch rechtzeitig eingefallen, schnell ruft er beim zuständigen Amt an.
„Nein nein, Herr Müller, diesen Antrag müssen sie persönlich bei uns stellen. Bitte kommen sie zu den Bürozeiten vorbei.“
So macht das unser Bauer auch, er erscheint rechtzeitig und setzt sich vor die Tür der Amtsstube. … und er wartet, so wie das Schild an der Türe es verlangt.
Immer wieder öffnet sich diese Tür, der Sachbearbeiter eilt heraus in einem Nebenraum und kommt kurz darauf wieder zurück. Unseren Bauern würdigt er keines Blickes. Auch als er ihn einmal direkt anspricht, kommt keine Antwort vom Amtmann. So, als wäre der Bauer Luft.
Irgendwann wird es Landwirt Müller zu dumm: Er geht zur Tür, klopft kurz an und tritt ein. Dem erstaunt blickenden Sachbearbeiter erklärt er, weshalb er gekommen ist, und worum es geht.
Die Antwort lässt unseren Landwirt zusammenschrecken: “ Was kommen sie denn einfach so herein? Glauben sie, ich habe nichts Wichtigeres zu tun, als mich mit ihrem läppischen Antrag zu beschäftigen? Was wollen sie mit ihren paar Tagwerk? Ich habe für sie keine Zeit, andere Dinge sind wichtiger. Setzen Sie sich auf ihren Traktor und fahren sie wieder Heim!“
– Pause-
Die Erzählung von der kanaanäischen Frau
Können Sie sich das vorstellen; und können Sie sich denken, wie es diesem Landwirt in diesem Moment geht? Oder meinem Sie: Das ist viel zu dick aufgetragen, da ist dem Pfarrer ein bisschen zu sehr die Fantasie durchgegangen.
Ich hoffe, so etwas passiert auf unseren Ämtern nicht. Aber unser heutiger Predigttext, der nicht auf einem Amt spielt, sondern auf offener Straße in Israel, hat meines Erachtens viel mit meiner kleinen Fantasie vom Amt zu tun.
DER TEXT
Ich lese aus dem Mt-Evangelium (Mt 15, 21-28)
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.
22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.
23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.
24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!
26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Diese Geschichte ist das Vorbild für meine Erzählung aus dem Amt.
DIE FRAU
Ich stelle mir diese Frau vor, sie kommt nicht als Fan, der ein Autogramm will, oder nur ein bisschen mit ihm plaudern möchte. Sie hat einen triftigen Grund: Ihre Tochter ist schwer krank. Sie weiß nicht mehr weiter. Und das Leiden Ihrer Tochter belastet die ganze Familie, lässt sie nachts nicht schlafen und tagsüber verzweifeln.
Von Jesus erhofft sie sich Hilfe. Sie hofft, dass er da Heilung schenken kann, wo die Ärzte schon längst mit ihrem Latein am Ende sind.
Sie ist keine Jüdin, aber dennoch hat sie Vertrauen auf diesen umherziehenden Lehrer mit Namen Jesus.
Und als der Tag kommt, dass sie ihm begegnen kann, passiert das Unglaubliche: Er ignoriert sie. Kein Wort spricht er mit ihr. – Kein einziges, obwohl sie doch laut und deutlich hinter ihm her ruft: “ Erbarme dich über mich, du Sohn Davids, meine Tochter braucht dich!“.
Nicht gehört, nicht erhört zu werden, das ist eine riesige Enttäuschung.
Die Jünger haben sie schon längst bemerkt und mit Jesus gesprochen, aber Jesus will sie anscheinend nicht hören.
Mit dem Mut der Verzweiflung wirft sie sich schließlich Jesus in den Weg, direkt vor seine Füße auf dem Boden und fleht ihn um Hilfe an.
Aber was sie hören muss, ist eine Abfuhr, wie sie schlimmer kaum sein kann:
„Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nimmt und es vor die Hunde wirft“.
Liebe Gemeinde,
Eine tiefere Demütigung kann ich mir eigentlich kaum vorstellen. Und ich überlasse es lieber Ihrer Fantasie darüber nachzudenken, wie 99% aller Menschen darauf reagiert hätten, mit Worten oder mit Taten.
Aber das Erstaunliche bei dieser Frau ist: Sie gibt nicht auf.
Sie gibt Jesus eine Antwort „Aber doch fressen die Hunde von den Krümeln, die vom Tisch Ihrer Herren fallen“. Ich glaube, dieser Satz ist nicht einfach eine schlagfertige, witzige Antwort. – Wer kann nach so einem Tiefschlag, wie sie ihn gerade eingesteckt hat auch noch witzig antworten?
EIN HOFFNUNGSBILD
In ihrer Antwort wird sichtbar, dass sie mit Blick auf Jesus ein sagenhaftes Bild der Hoffnung im Kopf hat:
Da ist einer, der hat uns Menschen so viel zu bieten, dass alle satt werden können.
Nicht nur die, die zu seiner Familie gehören. Sondern auf seinem Tisch ist so viel zu finden, dass allein von den Krümeln, die davon herunterrieseln auch noch alle anderen satt werden können. So eine Fülle hält dieser Herr bereit.
Und sie ist sich sicher: Von diesem Herrn, der den Menschen so viel Gutes geben kann, von dem kann auch ich für mein Leben etwas erhoffen.
ERNTEDANK
Jetzt, am Erntedankfest, feiern wir auch ein Stück weit die Fülle, die Gott uns schenken kann.
Das Wachstum auf unseren Feldern, in unsern Gärten, aber auch unser Ertrag im Stall, das gelungene Miteinander in der Familie oder der Erfolg im Beruf sind Teil dieser Güte Gottes, viele kleine Krümel, Zeichen seiner Liebe zu uns.
Das können wir nicht einfordern, bestellen oder vor Gericht einklagen. Das ist ein Geschenk. Manchmal fällt es größer und manchmal etwas spärlicher aus. Auch das gehört zu einem Geschenk: Die Größe und den Umfang kann man nicht so einfach selber bestimmen.
Und was unsere Gemeindeglieder hier vorne am Taufstein zusammengestellt haben ist ein Spiegelbild dessen, was Gott uns schenkt. Ein Zeichen unserer Dankbarkeit.
Das Wunder
Diese Frau, die sich Jesus in den Weg stellt, hat dieses Bild der umfassenden Fülle Gottes vor ihren Augen: Dort, bei ihm, kann ich finden was ich brauche. Das sagt sie diesen Jesus mit ihrem Satz von den Hunden und den Krümeln. Und ihr Vertrauen wird nicht enttäuscht: Jesus erkennt den Glauben, der in ihren Worten steckt und verspricht ihr die Erfüllung ihres Wunsches – die Heilung ihrer Tochter. Das Wunder geschieht.
Eigentlich erstaunlich: Ihre Tochter wird von einer schweren Krankheit geheilt, und in dieser Geschichte wird das als Krümel bezeichnet, der vom Tisch der Güte Gottes fällt. Eine Wunder-Heilung, die einem Mädchen die Gesundheit wiedergibt, seiner Mutter und Ihrer Familie eine neue Lebensperspektive ermöglicht … als Krümel.
Auf der einen Seite macht es mir Mut, von Gott wirklich Großes zu erhoffen und zu erbitten.
Auf der andern Seite mahnt mich das aber auch zur Bescheidenheit. Vielleicht nehme ich meine persönlichen Wünsche manchmal viel zu wichtig; andere Menschen haben viel dringendere Nöte als ich.
DER JÜNGER
Ich möchte unseren Blick noch auf eine ganz andere Person in dieser Geschichte lenken.
Wie erging es wohl den Jüngern? Darüber kann man eigentlich nur spekulieren, aber anhand unseres Predigttextes habe ich mir einen ausgesucht, dessen Gedanken ich ein bisschen ausgesponnen habe.
Philippus, einer von den Zwölfen, war zunächst genervt. Diese Frau lief schon eine geschlagene halbe Stunde hinter ihnen her und wollte mit Jesus reden. Aber sie alle waren vom anstrengenden Tag geschafft und wollten einfach weiter in die nächste Stadt, um dort in einer Herberge zu übernachten. Es ist furchtbar, wenn Leute nicht wissen, wann Schluss ist. Man kann doch unserem Meister nicht den ganzen Tag auf die Nerven fallen. Da könnte ja jeder kommen. Und außerdem war sie auch noch eine Kanaanäerin, die hatten sonst mit uns Juden doch auch nichts zu tun.
Aber trotzdem: die Frau, die hinter ihnen herlief, erzählte ihnen auch ihre Lebensgeschichte, von Ihrer Tochter, die einen bösen Geist hatte, der sie immer wieder ohnmächtig zuckend als Häuflein Elend auf dem Boden warf. Da musste Philippus an seine kleine Nichte denken, sechs Jahre war die alt, die war aber gesund – Gott sei Dank. Und so langsam wurde das Herz dieses Jüngers weich … die fremde Frau mit ihrem schweren Schicksal tat ihm Leid.
Je weiter sie so gingen, umso mehr wunderte Philippus sich über Jesus. Sonst hatte er doch auch für jeden Menschen ein offenes Ohr, hörte zu, war geduldig. Freundlich gegenüber Freunden und Gegnern. Aber dass er diese arme Frau so ignorierte …
Philippus packte einen weiteren Jünger bei der Hand und marschierte an die Spitze des Zuges zu Jesus: “ Jesus, höre diese Frau doch wenigstens an, sie schreit schon die ganze Zeit und will keine Ruhe geben.“
Diese Fürsprache war das mindeste, was er als Jünger für diese Frau tun konnte.
Was daraufhin passierte gab dem Jünger Philippus einen Stich ins Herz: Zuerst diese Abfuhr ihm gegenüber, und dann diese barschen und harten Worte gegen diese arme Frau. Philippus wäre am liebsten im Boden versunken: Dabei hatte er es doch nur gut gemeint, als er bei Jesus für sie eingetreten war. Und dann so etwas. In diesem Moment schämte er sich für seinen Herrn und schlich von Jesus weg hinter zu den Jüngern am Ende des Zugs, dort wo man nicht hörte was vorne passierte. So verpasste er auch die übrigen Worte der Frau und von Jesus dort vorne.
Am Abend in der Herberge hat er dann doch alles noch erfahren und freute sich über die unerwartete Wendung, über die Heilung der Tochter.
Und lange dachte er noch darüber nach, wo seine eigene Rolle in dieser Geschichte ist.
Er dachte zurück an seine guten Absichten, als er bei Jesus Fürbitte für diese Frau gehalten hat.
Er fühlte noch, wie maßlos enttäuscht er war, als er den Eindruck hatte, seine Bitte hätte nichts geholfen. Wie er sich dabei ertappt hatte, dass er mit seinem Herrn haderte
Und er spürte eine warme Zufriedenheit in seinem Herzen, weil er wusste, dass es doch gut ausgegangen war.
So sehr er auch grübelte, er schaffte es nicht hinter das Geheimnis Jesu zu kommen, weshalb manche Bitte erhört wurde, manche nicht.
Zugleich aber reifte in Philippus die Gewissheit:
Auch beim nächsten Mal würde er Jesus um das bitten, was ihm wichtig ist. Selbst wenn er wieder nicht wüsste, ob er erhört würde.
Aber die Cance der Hilfe Gottes möchte er nicht verschenken, denn von dessen Tisch fallen täglich viele Krümel seiner Barmherzigkeit.
Amen