Predigt: Oh Heiland reiß die Himmel auf (Liedpredigt zu EG 7) 30. November 2003, 1. Advent 2003

Lied EG 7

Liedpredigt zu „Oh Heiland reiß die Himmel auf“ von Friedrich Spee. Der Text verbindet sich mit Jes 63, 15 – 64, 3.

Liebe Gemeinde

Üblicherweise verbinden wir Lieder mit Personen. Bei „über den Wolken“ fällt mir Reinhard Mey ein, bei „aber bitte mit Sahne“ weiß ich, dass es Udo Jürgens gesungen hat; und wenn mir jemand „wind of Change“ vorspielt, weiß ich, dass es von den Scorpions ist und kann auch damit verbinden, dass das Lied angesichts der Umwälzungen in der Sowjetunion hin zu Demokratie und Offenheit verfasst wurde.
Beeindruckende Lieder haben oft ein Ereignis im Hintergrund, oder sie spiegeln ihre damalige Zeit wieder.

Ich möchte mit ihnen heute ein Adventslied aus dem Gesangbuch näher ansehen: „O Heiland reiß die Himmel auf.“ Friedrich Spee hat es verfasst. Wer war dieser Friedrich Spee?
Er lebte vor über 400 Jahren. War Sohn eines adligen Amtmannes in Kaiserswerth bei Düsseldorf. Im Alter von 19 Jahres entschied er sich für das Leben als katholischer Mönch, trat 1610 als Novize beim Jesuitenorden in Trier ein. Er studierte, lebte dabei eine kurze Zeit auch in unserer Nähe – in Würzburg. Er wurde zum Priester geweiht, und war später als Seelsorger und Theologieprofessor in Paderborn, Köln und Trier tätig.

An sich klingt dieses Leben wenig spektakulär. Wenn da nicht ein Wahn durch Deutschland gezogen wäre, der tausende von Frauen das Leben gekostet hat: Die Hexenverfolgung. Ein dunkles Kapitel deutscher Kirchengeschichte. Und in dieser Zeit war Friedrich Spee als Sonderseelsorger für genau diese Frauen eingesetzt. Er sollte die zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilten Frauen auf ihrem letzten Weg begleiten, sie auf ihr grausames Sterben vorbereiten.
Er bekommt Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten dieses Irrsinns und veröffentlicht schließlich anonym ein Buch, in dem er die Methoden und den Sinn der Hexenverfolgungen kritisiert. Sein Hauptpunkt: Das, was über den Frauen dort gefällt wird, sind keine „Gottesurteile“ sondern menschlicher Irrtum. Denn ihre Geständnisse sind zu allermeist unter grausamer Folter erzwungen. Er erkennt, hier nutzen Männner ihre Macht über Leben und Tod skrupellos aus – und tun dies auch noch angeblich im Auftrag Gottes.

Friedrich Spee hat in grausige Abgründe gesehen, und das schlägt sich auch in seinen Liedern nieder.
„Oh Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf“ , gerade vor solchen Erlebnissen erscheint mir der Ruf in einem neuen Licht. Herr komm, und halte selber die Menschen auf, die wie Wahnsinnige sich selbst das Leben zur Hölle machen.

Singen wir die ersten drei Verse.

1. O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloß und Riegel für.
2. O Gott, ein‘ Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.
3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, daß Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.

O Heiland, reiß die Himmel auf, – Es ist ursprünglich ein Schrei, der uns aus dem Alten Testament herüberschallt. Der Prophet Jesaja klagt angesichts des Elends seines Volks und angesichts der Tatsache, dass viele nicht nach Gott fragen: Ach daß du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, daß dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten.

Diesen einen Wunsch haben Jesaja vor 2500 Jahren, Friedrich Spee vor 400 Jahren und viele Christen heute gemein:
„Gott, komm einmal herunter! Mach deine Himmelstüre auf und schau dir unsere Welt ganz genau an. Aber komm bitte nicht wieder versteckt in Menschengestalt, so dass dich keiner erkennt. Komme als der, der du bist: Komm als Gott in unsere Welt, dass die Menschen dich sehen und erkennen, wie groß und mächtig du bist. Der Mund soll den Spöttern offen stehen bleiben, dem Mörder soll das Messer aus der Hand fallen, und der Regen soll das Feuer des Scheiterhaufens auslöschen. Wenn du kommst wird sich die Welt verändern. Komm, und schaffe Recht auf unserem Planeten.“

So würde ich es heute formulieren.
Es gibt vieles, da stehe ich machtlos daneben, kann dem Unrecht, dem Egoismus und der Gottlosigkeit nicht Einhalt gebieten. Da habe ich das Gefühl: Gott, da kannst nur noch du helfen. Durch deine gewaltige Macht. Dadurch, dass du Menschen ins Gewissen redest, oder indem du still und leise ein Wunder geschehen lässt.

Diesen Wunsch, diese Hoffnung, habe ich immer wieder mal – und spreche das auch vor meinem Gott aus. Manchmal mit verzagten Herzen eher als Klage mit nur geringer Hoffnung erhört zu werden. Immer wieder aber auch mit so einer inneren Gewissheit: Ich habe doch einen großen Gott, der schon vieles verändert hat. Und auch diesmal hoffe ich, dass Gott hilft … dass die Türen, die ihn aufhalten möchten samt Schloss aus den Angeln gerissen werden – wenn er kommt.

Singen wir die Verse 4+5
4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
5. O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.

„Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloß und Riegel für“ und wer gerne entsprechende Kinofilme anschaut, kann sich das richtig plastisch vorstellen: Krachend fliegt die Himmelstür aus den Angeln, ein unbeschreiblich helles Licht strahlt uns entgegen und mit festem, entschlossenem Schritt tritt Gott heraus. Als eine Gestalt, gegen die der Kinoheld Terminator wie eine lumpige Playmobil-Figur wirkt.

Liebe Gemeinde,
unsere Welt ist aber nicht Hollywood. Unsere Probleme werden nicht von Gott nach unseren Drehbuch-Wünschen gelöst. Wir haben eine Welt, in der das Elend und das Unrecht offen sichtbar und bedrängend im Raum stehen. „Jammertal“ nennt Friedrich Spee unsere Welt: Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.

Natürlich: Die Welt ist nicht nur Jammertal. Ich finde immer wieder Schönes und Gutes in diesem Leben; und ich genieße es oft genug, auf dieser Welt zu sein.  Ich möchte nicht in ein Klagelied einstimmen, das unsere Welt schlechtredet und als ein einziges Tal des Leidens beschreibt.
Aber doch merke ich schmerzlich: Vieles ist nicht so, wie es sein sollte oder sein könnte. Denn ich weiß ja auch, dass ich hier in Deutschland zu denen gehöre, denen es im Vergleich zu Millionen anderen Menschen auf der Welt unglaublich gut geht.

Aber wahrscheinlich ist die Diagnose „Jammertal“ aus unserem Lied auch heute noch eine passende Beschreibung mancher Zustände auf unserer Erde. Oft genug sieht man das Elend der Welt ganz ungeschminkt. Und selbst wenn uns manches heute sehr schön, elegant und auf Hochglanz poliert vorkommt: Hinter edler Fassade gibt es oft viel Bejammernswertes.

In den beiden Versen, die wir gerade gesungen haben ist Friedrich Spee bescheidener geworden als in den ersten Zeilen. Nicht mehr vom Tore-sprengenden Gott ist die Rede. Vielmehr schreibt er: „Lass deine Sonne über uns aufgehen, sonst sitzen wir in der Finsternis“.
Ist das die kleine Lösung angesichts großer und scheinbar unüberwindbarer Probleme?
Dass wir wenigstens einen Lichtstrahl am Horizont sehen? Kann es sein, dass es uns in eigentlich ganz schlimmen Situationen oft schon deutlich weiterhilft, wenn wir die Perspektive haben, dass sich etwas verändern kann und eines Tages auch verändern wird. Auch, wenn sich faktisch noch nichts verändert hat, kann ich wie durch ein Wunder wieder aufatmen und neuen Mut fassen.

Singen wie die letzten beiden Verse: V 6 und 7.

6. Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.
7. Da wollen wir all danken dir, unserm Erlöser, für und für;
da wollen wir all loben dich zu aller Zeit und ewiglich.

Liebe Gemeinde,

manchmal kann man sich nur wundern: Wenn ich mir die beiden letzten Verse anschaue, habe ich den Eindruck, sie widersprechen sich völlig. Im sechsten Vers die Klage über das Elend und der Hilferuf. Im siebten Vers ein Jubelgesang. – Wie gibt´s den so etwas?
Manchmal ist die Lösung ganz einfach: Der siebte Vers stammt gar nicht von Friedrich Spee! Er wurde erst später von einem anderen Liederdichter hinzugefügt. Offenbar hat es ihm nicht gefallen, dass das Lied mit dem sechsten Vers so ganz ohne „Happy End“ aufhörte.
Aber wäre das nicht ehrlicher gewesen? Friedrich Spee hat es ja so erlebt: Das Happy End, die Rettung aus dem Jammertal steht noch aus. Der Ruf nach dem Gott, der in diese Welt hereinkommt, der Ordnung und Gerechtigkeit herstellt ist ja bis jetzt ohne die erhoffte Antwort geblieben.
Lediglich ein Lichtsaum ist am Horizont zu sehen – die Gewissheit, dass Gottes Liebe zu den Menschen eines Tages für alle sichtbar werden wird. Dass eines Tages tatsächlich die Tür zum Himmel auffliegt und die ganze Erde von diesem strahlenden Licht erhellt und erwärmt wird. Das ist auch unsere Hoffnung im Advent: Wir hoffen nicht auf das kleine Christkind, sondern auf den großen Christus, der zusammen mit Gott dem Vater diese Welt erneuern wird.

Amen

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