Historien-Predigt: Heiraten anno 1914, 1. November 2004, Kirchweihmontag

Liebe Gemeinde,

wie am Kirchweihmontag üblich, werfen wir einen historischen Blick auf des Leben unserer Gemeinde. Diesmal möchte ich nicht in die Chronik der ablaufenden jahre blicken, sondern ihnen aus der Pfarrbeschreibung von 1914 vorlesen.

Eine Pfarrbeschreibung ist eine Art „Momentaufnahme“ der Kirchengemeinde. Der Pfarrer verfasst sie, um darzustellen, wie die Gemeinde gerade aussieht:
Wie groß ist sie, welcher Beschäftigung gehen die Menschen im Dorf nach, wie steht es um die kirchlichen Gebäude, wie steht es um den Gottesdienstbesuch und vieles mehr.
Dazu gehörte damals für Pfarrer Wilhelm Sebastian Schmerl auch eine Darstellung der Amtshandlungen, wie liefen Trauungen, Taufen und Beerdigungen ab?

Ich lese ihnen nun vor, was im Jahr 1914 über die kirchliche Trauung verzeichnet ist. Dabei habe ich so gut es geht den Wortlaut von damals übernomen. Nur an einigen Stellen habe ich der besseren Verständlichkeit wegen leichte Veränderungen vorgenommen:

Pfarrbeschreibung von Pfarrer Schmerl von 1914

Die Trauung- Ort und Zeit

Die Anmeldung der Trauung erfolgt durch den Bräutigam etwa acht bis zehn Tage vorher, so dass am Sonntag vor der Trauung in Hauptgottesdienst noch die Proklamation – die Ankündigung – erfolgen kann.
Besondere Ehrenprädikate, wie zum Beispiel „Jungfrau“, werden dabei nicht genannt. Nach einem Kirchenvorstandsbeschluss wird den Brautleuten das Prädikat ledig erteilt, werden nicht der eine oder der andere Partner, oder beide zusammen schon ein Kind haben. Entsprechendes gilt auch in dem Fall, dass ein Kind bereits unterwegs ist.

Als Trauungstag wird meist Dienstag oder Freitag gewählt. Nur Brautpaare, die jegliches Aufsehen vermeiden wollen, lassen sich am Sonntag, etwa nach der Christenlehre am Nachmittag trauen.
Die Trauungen finden meist zwischen drei und vier Uhr statt. Allerdings gilt:
Wenn die Braut oder der Bräutigam von auswärts abgeholt werden müssen ist es kaum möglich eine genaue Zeit vorher anzugeben.

Der Traugottesdienst

Von einer wirklichen gottesdienstlichen Beteiligung der Gemeinde kann nicht die Rede sein. Zwar sind die Emporen meist gefüllt mit Neugierigen, mit Kindern, Mädchen und Frauen. Sie kommen aber in ihrer gewöhnlichen Alltagskleidung um lediglich ihrer Neugierde zu befriedigen.

Während des Hochzeitszuges zu bis zur Kirche läuten alle Glocken.
Der liturgischen Ablauf sieht so aus:
Zuerst Eingangslied: Jesu geh voran
Dann Votum, mit einer Altarrede, so weit sie gewünscht wird
Bibelworte und Einsegnung
Ein Ringtausch ist hier nicht Brauch, ebenso wenig ein besonderer Schmuck der Kirche.
Bei unbescholtenen Paaren brennen die Altarkerzen: Auf Wunsch auch der Kronleuchter, für den jedoch einen Gebühr von 3 Mark an die Lichterkasse zu entrichten ist.
Die Braut trägt Kränzchen, der Bräutigam einen Myrtenzweig. Beides bleibt bei älteren Paaren und Witwen weg.

Die Traubibel wird normalerweise nach dem Segen vom Altar aus überreicht. Zur Finanzierung dieser Bibeln wird alle Jahre eine Kollekte erhoben. Wenn am Ende des Jahres Überschüsse verbleiben, werden sie an den Landesbibelverein überwiesen.

Die Gefallenen Paare

Gefallene Paare haben keinen Anspruch auf Kirchenbeleuchtung. Sie werden auch nie vom Pfarrer am Hause abgeholt. Die Braut trägt auch kein Kränzchen, doch hat sich damit der Pfarrer nicht zu befassen. Die öffentliche Meinung ist zur Zeit noch so bestimmend, dass es eine gefallene Braut niemals wagen würde, im Kranz zur Trauung zu erscheinen. Sogar Mädchen die schon sichtbar Mutterfreuden entgegen gehen, wagen es nicht mit dem Myrtenkranz zu einer Hochzeit zu erscheinen.
Höchstens setzt sich ein besonders dreistes Mädchen etwa nach der kirchlcihen Trauung ein Kränzchen aus anderen Blumen auf, was aber von den Menschen teils verurteilt, teils bespöttelt wird.

Die Abholung am Hause

Bei wohlhabenderen Brautleuten, die unbescholtenen sind, wird der Pfarrer vor der Hochzeit, meist bei der Anmeldung derselben, vom Bräutigam gebeten, das Paar an der Hochzeit im Hause abzuholen. Dieser Brauch ist eine Kuriosität, die sich in dieser Form nicht allenthalben findet, auch hier wohl mit der Zeit zu verschwinden droht. Darum sei sie hier geschildert und sie der Vergessenheit, die sie nicht verdient, zu entreißen.

Am Hochzeitstag kommt nach Vollzug der Ziviltrauung der Bräutigam  kurz vor Beginn der kirchlichen Handlungen zum Pfarrer. Seit neuestem, wenn er besonders nobel sein will, im Zylinder. Der Pfarrer schreitet  dann zur Rechten des Bräutigams im vollen Ornat zum Hochzeitshause.
Dort ist bereits alles versammelt. Beim Betreten des Hauses kommt dem Pfarrer erst die Braut entgegen zum Willkommenesgruß. Ihr zur Seite eine Jungfrau mit einem Teller, auf dem zwei Gläser Wein stehen. Diese kredenzt das eine Glas dem Pfarrer, das andere der Braut. Der Bräutigam bekommt nichts.
Jetzt trinkt der Pfarrer einen Schluck Wein auf das Wohl der Braut mit der er anstößt. Die anderen Anwesenden stehen herum und schweigen. Nun wird der Braut ein zweiter Teller gereicht, auf dem ein weißes, viereckiges, zusammengefaltetes Seidentuchtuch und eine Zitrone liegen. Diesen Teller hält die Braut dem Pfarrer hin meist mit den stereotypen Worten:
„Herr Pfarrer wenn ich Ihnen ein Präsent machen darf?“
Der Pfarrer nimmt mit Dank die zwei Gegenstände in die Hand und trägt sie mit der Agende sichtbar bei sich.

Unterdessen sind die im Zimmer bereits anwesenden Gäste bereit zum Aufbruch. Der Pfarrer tritt unter die Schwelle der Haustür. Während die Kirchenglocken läuten kommt der Gemeindediener – zur Feier des Tages in dunkelblauer Uniform und mit breitem Säbel an der Seite und dem altbayerischen Helm auf dem Haupt.
Er ruft: „noch ein stilles Vaterunser“.
Nach einer stillen Gebetspause spricht der Pfarrer  „in Gottes Namen“, überschreitet die Schwelle, und der Zug setzt sich in Bewegung.
Der Gemeindediener geht voran, ihm folgen 2,4 oder sechs kleine Mädchen aus der Schule in weißen Kleidern mit Vergissmeinnichtkränzchen im Haar. Dann folgt der Pfarrer nach alten Brauch mit dem Bräutigam, dahinter die Braut mit ihren Freundinnen.
Bei einzelnen Brautpaaren, die etwas städtischer sein wollen, läuft der Pfarrer allein, und hinter ihm das Brautpaar Arm in Arm.
Den Beschluss machen die Männer und Frauen. Aber nie sind die Mütter des Brautpaares dabei! Auch auf dem Heimweg bewegt sich der Zug in der beschriebenen Weise. Am Hause angekommen beglückwünscht der Pfarrer das Paar gewöhnlich mit den Worten „Gott segne euren Eingang“.
Alsdann reichen die Verwandten den Brautleuten die Hand mit den immer gleichen, meist gemurmelten „Wünsch Gotts Segen zum Ehestand“

Das Festmahl

Der Pfarrer geht alsdann nach Hause um nach Ablegung des Amtskleides – entsprechend der nochmals beim Weggehen erfolgten Einladung – mit Frau zum Festessen zu erscheinen. Bei seinem Eintritt ins Zimmer erhebt sich alles in Ehrerbietung von den Sitzen. Man erwartet, dass der Pfarrer ein Tischgebet spricht, meistens am Anfang und am Schluss, auch pflegt er während der Mahlzeit einen Trinkspruch auf das Brautpaar auszubringen. Unter dem Mal findet dann und wann eine kleine Erheiterung zum Beispiel durch ein anwesendes redefertiges Mädchen statt. Gegen Ende der Mahlzeit erscheint eines der bedienenden Mädchen mit einem Teller um den alten, aber immer gern gehörten und belachten Witz zu machen: „Die Köchin hat sich am Wasserständer die Schürze verbrannt und ich bitte um Gaben, dass sie sich eine neue Schürze machen kann.“

Nach dem Ende des Essens, das an eine einfache Mägen starke Ansprüche stellt, verlassen die meisten Gäste des Zimmer, um etwa die Hälfte die Brautgeschenke und die anderen das Dorf zu besichtigen, in dem sie dann in langen Reihen spazierengehen.
Das Brautpaar ist bei den Pfarrersleuten sitzen geblieben, die sich nunmehr entfernen. Nach dem Weggang des Pfarrers wird es dann auch lustig: Bier, Kaffee und Kuchen, Brantwürste und Kraut, Zigarren und Tanz folgen dann in bunter Reihe bis in den Morgen. Doch ist der Pfarrer von Exzessen der Hochzeit bisher nichts zu Ohren gekommen.

Abendlicher Auftritt am Pfarrhaus

Am Abend mit Eintritt der Dunkelheit erscheint dann das Brautpaar mit vollem Schmuck im Pfarrhaus. Wenn dem Pfarrer nicht schon – was bei einheimischen Brautpaaren oft der Fall ist  – vor der Hochzeit Kuchen geschickt wurde, bringt ihn die Braut mit. Aber jedesmal erscheint der Bräutigam mit einer Weinspende, die in der Regel noch in altfränkischen Zinnkannen geboten wird. Leider machen sich allmählich auch statt der Zinnkannen protzige Glaskrüge breit, die man für nobler hält und das herrliche alte Zinn fällt  jüdischen und anderen Händlern zur Beute, die dann massenhaft die Häuser abklopfen.
Die Braut bekommt an diesem Abend auch noch ihren Kirchenstuhl angewiesen und das Brautpaar, bei dem der Pfarrer eingeladen war, wird mit dem Starkenbuch, einen beliebten Gebetbuch beschenkt.

Soweit die Pfarrberschreibung aus dem Jahre 1914

Ansprache

Liebe Gemeinde,

es gäbe viele Dinge, die es zu den Beschreibungen von Pfarrer Schmerl aus dem Jahr 1914 zu sagen und zu fragen gäbe. Man könnte den ganzen Vormittag damit verbringen. Aber dann hätten wir hier eher Geschichtsunterricht als Gottesdienst. Darum möchte ich mich auf eine Wahrnehmung konzentrieren, die sich durch die ganze Beschreibung hindurchzieht.

Hochzeit wie auf Schienen: Ritual pur

Ich habe beim Lesen das Gefühl: Diese Hochzeiten liefen wie auf Eisenbahnschienen.
Alles geht seinen exakten Gang, ohne Abweichungen. Jeder weiß, was zu tun ist, welchen Satz er wann wem zu sagen hat, welches Tablett wer wem geben muss. Wenn der Pfarrer kommt, geht ein Ruck durch die Menge; wenn er geht, darfs lustig werden … und … und… und.

Alles scheint vorgegeben zu sein. Sogar das Lied am Anfang ist immer das gleiche. Besonders viel Spielraum für die eigenen individuellen Ideen gab es hier offensichtlich nicht. Immerhin konnte der Bräutigam entscheiden, ob er einen Zylinder trug, oder es sein ließ.

Vergleicht man das mit heute, dann merkt man, was sich alles verändert hat:
Als Dorfpfarrer setze ich mich mit einem Brautpaar oft schon Monate vorher hin und wir reden miteinander über ihre Vorstellungen und Erwartungen von Ehe und von dem Traugottesdienst. Wählen Lieder und Bibeltexte aus, investieren gemeinsam mehrere Stunden, um das Passende zu finden.
Woanders wird der Pfarrer sogar gebeten, mit in einem Fesselballon zu steigen, um dort die Tauung durchzuführen.

Sie merken: Da gibt es einen weiten Bogen zwischen einem starren Ritual damals und einem mitunter sehr individuell gestylten Event heute.
Gibts da ein „besser“ und ein „schlechter“? – Ich glaube das ist kaum zu beurteilen; zu unterschiedlich sind die Zeiten.
– Was gleich geblieben ist, ist das Bedürfnis der Menschen: Sie suchen nach einem Ritual, das sie auf den Weg in die Ehe begleitet und ihnen den Segen Gottes zuspricht.

Der Wert des Rituals

Ich bin überzeugt: Damals wie heute ist die Trauung zweier Menschen ein Ritual. Eine Feier, bei der bestimmte Dinge einfach dazugehören: Der feierliche Einzug, das Eheversprechen, das Zusammensprechen der beiden und Gebete.
Selbst ganz moderne Paare wünschen sich diese alten rituellen Elemente. Das gehört für sie einfach dazu.

Vor 20 Jahren war – teilweise auch unter Pfarrern – dieser Begriff verpönt: „Ritual“ klang nach dem überkommenen Muff von tausend Jahren. Mit sowas wollten viele nichts mehr zu tun haben. Weg mit so starren Konventionen!

Inzwischen ist es zu einer Neubesinnung gekommen. Man hat entdeckt, wie wichtig Rituale sind. Nicht nur die Großen, sondern auch die kleinen.

– Das Tischgebet.
– Der Gute-Nacht-Kuss für die Kinder.
– Die Art und Weise, wie man als Mutter seine Kinder am Morgen in die Schule verabschiedet.
– Der Frühjahrsputz
– Der Segen am Ende des Gottesdienstes.
– Die Form, in der man in der Familie den Heiligen Abend begeht.
– Natürlich auch Taufe, Trauung und Beerdigung

Rituale sind Handlungen, die man immer wieder in gleicher oder ähnlicher Weise vollzieht. Und gerade in ihrer Verlässlichkeit geben sie Halt, Heimat und Sicherheit.
Rituale – wenn sie lebendig gehalten werden und nicht zu bloßen Form erstarrt sind – tun einem Menschen gut.
Und vielleicht brauchen wir in einer immer verworrener und undurchschaubarer werdenden Welt mehr denn je solche Oasen der Stabilität.

Die Besonderheit bei uns Christen

Es gibt inzwischen jede Menge von Büchern zu diesem Thema.
Da werden Rituale für Kinder oder für die ganze Familie vorgeschlagen, Rituale fürs lernen in der Schule oder für die gute Kooperation in der Arbeit.

Wir merken: Als Kirche haben wir kein Monopel auf Ritual. Im Internet habe ich auch schon von Freidenkern Vorschläge für Rituale zur Hochzeit und Beerdigung gefunden. Ganz zu schweigen von der legendären Jugendweihe der DDR, die man anstelle der Konfirmation aus dem Boden gestampft hat.

Und da wurde mir so langsam deutlich, wo das Besondere an unserem Handeln als christliche Gemeinde ist: – Nehmen wir die Trauung als Beispiel –

Wie irgendwelche Hochzeitsredner auch machen wir deutlich: Hier beginnt einer neuer Lebensabschnitt.
Wie Andere auch versuchen wir dem Paar Anregungen und Perspektiven für die Zukunft mitzugeben.
Wie Nichtchristen auch haben wir Symbole, die deutlich machen, was hier passiert: Das „Ja“ der Eheleute oder der Tausch der Ringe.

Bei einer Frage wird es aber richtig spannend: Wenn ich frage: „Und wer wird euch dabei in Zukunft begleiten?“
Da bleiben die Atheisten nämlich stumm,  oder faseln was von „guten Wünschen“.
Als Christen kennen wir da andere Worte: „Der lebendige Gott segne und behüte euch“ – und das sind mehr als nur Worte. Da wird eine Wirklichkeit spürbar, die nur der erfahren kann, der Glauben hat. Und das ist ungeheuer viel Wert: Das ist man als Brautpaar nicht alleingelassen, mit seinen Hoffnungen und Befürchtungen, sondern man darf sich seinem Gott anvertrauen und auf ihn Hoffen.

Liebe Gemeinde,

und da merke ich, wie nah wir uns stehen – die Gemeinde damals und heute:
Das Leben in unserem Dorf vor 100 Jahren und das heute hat sich enorm verändert.

An der Feier der Hochzeit haben wir es heute gesehen.

Was aber gleich geblieben ist, ist der zentrale Punkt unseres kirchlichen Lebens:
Wir rechnen damit, dass Gott uns begleitet. Mit seiner Liebe, mit seinen Wegweisungen und seinem Segen.

Amen

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