Predigt und Erzählung: Der Brückenschlag Gottes (Erzählung und Ansprache), 24. Dezember 2011, Heiligabend

Pweihnachten2011redigt und Erzählung zur Christmette: Es geht um einen Mann, bei dem am  Heiligen Abend so einiges schiefging, so dass er sich von diesem Tag gar nichts mehr erwartete. Und genau darum konnte dieser Abend sich prächtig entwickeln.

 

Erzählung “mein unerwartetes Weihnachten”

“Das haben Sie ja super hinbekommen…” das Lob des Arztes beim Blick auf die Röntgenbilder  hat mich von Anfang an nichts Gutes erahnen lassen. “Ein schöner glatter Bruch … den werden wir einrichten und gipsen, dann können Sie zu den Feiertagen wieder heim”.
Er wusste ja nicht, was “daheim” bedeutet – daheim, mit einem gebrochenen Unterarm und einen höllisch schmerzenden Rücken – allein. Es war das Aus für die Feiertage.
Seit dem Herbst war ausgemacht, dass ich zu meiner Tochter und ihrer Familie fahren würde, endlich mal wieder ein schönes gemeinsames Weihnachtsfest. Alle um den Weihnachtsbaum,  die kleine Sabrina, der Tom, der schon in die Schule ging, meine Tochter, ihr Mann Robert, und ich als Opa. Und die Oma wäre irgendwie auch dabei gewesen, in unseren Erinnerungen, so wie Verstorbene uns eben nie so ganz verlassen.
Und jetzt, mit Gips und verzogenem Rücken? In meinem Zustand die 600 km weite Fahrt nach Hamburg? Nein, das war mir zu viel – das wollte ich mir nicht antun. Ich bleibe daheim!
Am Abend hatte ich telefonisch die Hiobsbotschaft durchgegeben. Fast geschäftsmäßig-kühl hat meine Tochter auf die Absage reagiert. War sie beleidigt, oder sogar froh, dass der Alte mit seinen 72 Jahren nicht kommen würde? Sie war wie so oft in letzter Zeit kurz angebunden am Telefon – machte das das norddeutsche Klima?

Am morgen darauf war schon der Vierundzwanzigste. Bereits früh am morgen Weihnachtslieder im Radio. Sonst hatte mich das immer gestört. Aber an jenem Tag war ich froh über diese Melodien – sie waren das Einzige, was in meiner Wohnung an Weihnachten erinnerte: Einen Christbaum hatte ich nicht besorgt – wozu auch, ich wollte ja über die Festtage in Hamburg sein. Keine Lichterkette, keine Weihnachskrippe, kein Plätzchenduft, keine Geschenke. Nur vier Briefumschläge mit Geld hatte ich für Kinder und Enkel vorbereitet – die lagen jetzt verwaist neben dem Telefon auf der Kommode.

Mit dem eingegipsten Arm und Schmerzen im Rücken besorgte ich dann das nötigste in der Edeka um die Ecke. Nudeln, Geschnittenes Brot und andere Lebensmittel, die man mit einem Arm halbwegs zubereiten konnte. Am Regal mit dem Christstollen stutzte ich. Er war in Cellophan eingepackt, mit einer roten Schleife umwickelt; an ihr baumelten ein Weihnachtsengel aus Keramik und ein kleiner Fichtenzweig. Der Christstollen war für mich und meine Frau immer der Inbegriff für Weihnachten. An den Feiertagen hatten wir stets Nachmittags Tee mit Christstollen gegessen – nein wir haben ihn richtiggehend zelebriert. Soll ich diese liebgewordene Tradition weiterführen, jetzt acht Monate nach ihrem Tod?

Entschlossen griff ich zum Einkaufswagen – nein es gibt keinen Christstollen – Weihnachten findet heuer ohne mich statt! Das “Frohes Fest” der Kassiererin beim Hinausgehen klang in meinen Ohren wie Hohn.
Auf dem Heimweg, mit jedem weihnachtlich geschmückten Fenster und mit jedem beleuchteten Vorgarten nahm mein Entschluss deutlichere Formen an. Adieu Weihnachtsmann, lebt wohl Adventskränze, macht́s gut, ihr hilflos an der Hauswand hängenden Nikoläuse, fahrt dahin, ihr leuchtenden Schwibbögen und blinkenden Elektrosterne. Ihr werdet nicht gebraucht – jedenfalls nicht von mir.
Mach́s gut, du Kirche mit deinem Krippenspiel und dem rührenden “Stille Nacht”. Servus, ihr Hirten und Könige aus dem Morgenland, ihr werdet euren Weg auch ohne mich finden. Ihr habt ja den Stern.

Als es Abend wurde, in meiner Wohnung, musste ich mich zwingen, wenigstens eine Lampe einzuschalten. Zu gerne hätte ich im Dunkeln die kommenden Festtage überdauert. Ich saß da, grübelte über düstere Gedanken, deren ich mich heute schäme.

Wahrscheinlich war ich ein wenig eingedöst, jedenfalls kam es mir vor, wie im Traum. Als diese ältere Frau aus der Nachbarschaft plötzlich an der Tür klingelte, mit einem Weidenkorb in ihrer dürren Hand. Sie sprach von Nachbarn, die ihr von meinem Unfall berichtet hatten und dass sie jetzt, wo ihre Kinder und Enkel heimgefahren waren, mir einfach einen kleinen Weihnachtsgruß vorbeibringen möchte.
Obwohl ich doch eigentlich alleine bleiben wollte, bat ich sie herein. Aus ihren Korb heraus entfaltete sie auf meinem Couchtisch ein weihnachtliches Picknick: Tee in einer Thermoskanne, Spritzgebäck, Lebkuchen. Sie sprach nicht viel, aber ich erinnere mich daran, dass sie vorschlug, ich solle sie in die Christmette begleiten – die ist um 22 Uhr – bis dann. So war sie gekommen und wieder verschwunden.  Wie einst die Engel über den Hirten am Himmel.

Wie verzaubert kam ich mir vor. Probierte einige Plätzchen und goss mir Tee ein. Im Schein der Stehlampe, die mir vorkam, wie ein Christbaum höherer Ordnung, genoss ich den nachklingenden Charme dieser unerwarteten Begegnung.

Das Telefon überbrachte mir den nächsten Besucher. Ja, meine Tochter hat mich an diesem Abend in besonderer Weise besucht. Als die Kinder im Bett waren und ihr Mann Robert in die Gebrauchsanweisung des Digitalkamera vertieft war, hatte sie zum Telefon gegriffen. So nah, wie an diesem Abend, was sie mir seit ihrer Kindheit nicht mehr gewesen. Ich spürte wieder die Zuneigung und Wärme in ihrer Stimme, ihr Worte spiegelten das Vertrauen einer erwachsenen Frau in ihren alt gewordenen Vater. Auch den besorgten Unterton in ihrer Stimme spürte ich und war dankbar darüber. Mit der Gewissheit, meiner Tochter wichtiger zu sein, als ich oft vermutete legte ich am Ende den Telefonhörer zur Seite.

In der Christmette, zu der mich diese Frau Wankel tatsächlich abgeholt hatte, umfing mich ein Weihnachtsgefühl, wie ich es noch nicht erlebt hatte. Heraus aus meiner kleinen ungeschmückten Wohnung, hinein in einen vom Kerzenschein warm schimmernden Kirchenraum. Diese Stunde hatte nichts triumphales, selbst der Chor wirkte in seinem Gesang zurückhaltend. Auch der Pfarrer machte nicht viele Worte – sprach von diesem Jesus, der in die schlichte Einfachheit der Menschen hineingeboren wurde. Erzählte von der Krippe, zu der zuallererst Stroh, Ochs und Esel gehörten – nicht aber Gold, Weihrauch, Myrre oder Lametta.
Auf den Heimweg war ich kein guter Gesprächspartner – ein Gedanke des Gebets im Gottesdienst kreiste in meinem Kopf: “Gott, du bist uns auch im Elend nah”. – Vielleicht auch im Elend eines verwitweten Alten, der beschlossen hat, Weihnachten ausfallen zu lassen? –

An diesem Abend war ich mir sicher: Hinter meiner Wohnungstür wartete mein Stall von Bethlehem, ungeschmückt, und unvorbereitet für den großen Gast.
Den holte ich aus dem Karton, in dem meine Frau im letzten Januar die Krippe verstaut hatte: Ein kleines daumennagelgroßes Jesuskind aus Kunststoff. Ich holte ein sauberes, weißes Taschentuch aus meiner Kommode und faltete es zu einem kleinen Kissen. So legte ich diesen kleinen großen Gast auf das Nachtischkästchen neben meinem Bett.

Danke Jesus, dass du an Weihnachten nun doch bei mir eingekehrt bist.

Ansprache

Liebe Gemeinde,
dass Weihnachten gerade da passiert, wo es einer ausfallen lassen will.
Da steht im Wohnzimmer noch die halbleere Thermoskanne – aber kein Baum.
Die Krippe liegt immer noch im Karton auf dem Dachboden, nur das kleine Jesuskind liegt auf dem Nachtischkästchen, gewickelt in ein Stofftaschentuch.
Weihnachten heißt: Gott kommt zu uns Menschen – in diesem Kind.
Da, bei diesem Mann ist es passiert – dass er spürt, wie Gott ihn nahekommt; ihm nahekommen kann, weil in diesem Jahr Platz für so eine Begegnung ist.

Weil er in der Einsamkeit spürt, wie wichtig es ist, ein Gegenüber zu haben. Weil weder Jinglebells, noch Trubel und Gespräche, und auch kein Geschenkeberg den Blick auf das vernebeln, worum es an Weihnachten wirklich geht.
Der Brückenschlag Gottes zu uns Menschen.
Der Himmel öffnet sich, und Gott lässt sich auf unsere Welt ein,
wird Mensch wie wir –
und ist zugleich doch ganz anders –
bringt als Geschenk die Dimensionen des Himmel mit herüber in unseren Kosmos.

Der Brückenschlag ist 2000 Jahre her – die Brücke steht immer noch.
Nur lautet die Frage heute: Herrscht da noch Verkehr?
Geht da noch was hin und her?
Oder haben wir diese Brücke schon längst zugestellt und verstopft?
Nicht nur mit Tannenbaum und Amazon-Paketen, sondern auch mit einem überbreiten Selbstbewusstsein, dass wir selber alles können … und machen … und wissen … und verantworten.

Liebe Gemeinde,
diese Brücke, die Gott da an Weihnachten zu uns geschlagen hat, ist eine, die nicht furchtbar breit ist. Da kommen leise Töne zu uns herüber , die kleinen Fingerzeige, die Wunder, die sich erst auf dem zweiten Blick offenbaren. Signale Gottes, die es schwer haben, inmitten eines so wuchtigen und farbenprächtigen Festes wahrgenommen zu werden. Da kommen wir wohl nicht darum herum, uns einmal hinzusetzen, zu lauschen und genau hinzusehen.
Nicht nur an Weihnachten.

Wie wäre es, wenn ich einmal den Mut finde, mit diesem Gott zu reden? In der Stille eines Waldspaziergangs ein Gespräch mit meinem Schöpfer wagen. Einen inneren Dialog zu beginnen, mein Herz auszuschütten, mitsamt meinen Fragen und Zweifeln. Ganz offen ohne Denkverbote. Und zu sehen, ob sich in diesem scheinbaren Monolog doch neue Gedanken entwickeln; neue Perspektiven; manche Antwort .Vielleicht komme ich dann tatsächlich mit dem Bewusstsein zurück: Es war doch mehr, als nur ein Selbst-Gespräch – ich glaube, da kam heute so mancher Gedanke über diese schmale Brücke von Gott.  Auch wenn ich es nicht beweisen kann. Auch wenn ich es niemanden erzählen werde, weil ich nicht möchte, dass man mich für völlig naiv hält. Es hat sich gelohnt – diese stille Reise an die Brücke, die seit Weihnachten zu uns herüberreicht.

So manchem ist gerade an Weihnachten das Herz schwer, weil er merkt, dass da jemand fehlt. Vielleicht das erste Weihnachten ohne den verstorbenen Partner oder Familienangehörigen.  Weihnachten als Familienfest lässt die Lücken, die der Tod gerissen hat schmerzlich sichtbar werden. Wo feiert der, den wir da beerdigt haben? Wie sieht es da aus, bei ihm?  Mir tut es gut, darauf zu vertrauen, dass es diesen Weg – diesen Brückenschlag – hinüber in Gottes Reich gibt. Dass das Grab nicht der Endpunkt ist. Und wenn ich mich meiner Hoffnungen nicht schäme, male ich mir im Geist ein Bild davon, wie es dort ist. In hellen warmen Farben. Die Traurigkeit über den Verlust ist immer noch da, aber es fühlt sich ein wenig anders an, wenn ich um diese Brücke weiß, die Jesus Christus für uns eröffnet hat.

 

Liebe Wilhelmsdorfer, Brunner Hohholzer,

behalten Sie die Brücke in Auge! Das Kind in der Krippe erinnert uns daran: Wir sind hier nicht allein. Wir sind unserem Schöpfer nicht egal .Wir haben einen, der sich um ums sorgt,
… und der sich immer wieder Sorgen macht, wenn er sieht, was wir so alles anstellen, wenn wir ihn, Gott, aus den Augen verloren haben.
Doch er bricht diese Brücke nicht ab. Sie bleibt da.
Die  Brücke der leisen Fingerzeige
die Brücke der stillen Mahnungen
die Brücke der Nähe Gottes
die Brücke der Hoffnung.

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

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