Info zum Format:
„30 Minuten Advent“ ist ein Format das ich 2021 gestartet habe. Eine Andacht, die nur eine halbe Stunde dauert, und viele traditionelle Elemente einfach mal weglässt. Dafür kommen andere Kanäle ins Spiel: Youtube-Impulse, Geschmackserfahrungen und manches mehr. Jede Andacht hat ein Thema, das an unsere Advents- und Weihnachtserfahrungen anknüpft.
Ablauf:
Vorspiel
Begrüßung mit Einführung ins Thema
Aktion – Spekulatius und Zimtsterne verteilen und erschnuppern
Lied: Fröhliche Weihnacht überall
Gedanken zum Adventsduft
0124 1-45 Tragt in die Welt nun ein Licht
Video: Poetry Slam von Sehnsuchtswort (Monika Lusky)
Gebet, Vaterunser
Segen
Begrüßung mit Einführung ins Thema
Wer von Ihnen hat denn schon Plätzchen gebacken? Es ist ja schon ein Haufen Arbeit.
Ewiges Gefummel, gerade, wenn man Plätzchen aus mehreren „Bauteilen“ zusammenfügt … mit Marmelade oder Nutella zwischendrin.
Aber es ist wunderbar, wenn man es geschafft hat. Wenn die Pracht ansehnlich auf dem Tisch liegt und behutsam in die Plätzchendose verfrachtet wird. Und das Schönste: Nach so einer Back-Aktion duftet das ganze Haus nach Plätzchen, nach Vanille, und all dem, was man mit reingerührt hat.
Wenn der Plätzchenduft das Haus erfüllt, dann ist das Weihnachtsfest ein ordentliches Stück näher gerückt.
Heute möchte ich mit ihnen ein bisschen dem Weihnachtsduft auf die Spur kommen. Der Duft, der sich ja auch in manchen Weihnachtsliedern niedergeschlagen hat – zum Beispiel „fröhliche Weihnacht überall“. Wo der Weihnachtsduft durch jeden Raum wabert.
(Aktion – Spekulatius und Zimtsterne verteilen und erschnuppern)
Gedanken zum Adventsduft
Weihnachtsduft in jedem Raum ….
Für viele Menschen ist ein feiner charakteristischer Weihnachtsduft in der Lage, es so richtig Advent oder Weihnachten werden zu lassen. Viel mehr, als es ein ganzer Haufen von Lichterketten es könnte.
Düfte sind da wahre Zauberer. Denn Gerüche haben eine einzigartige Fähigkeit, in unserem Gehirn Emotionen und Erinnerungen auszulösen. Das liegt daran, dass der Riechkolben im Gehirn – also die Schaltstelle zwischen Nase und Hirn – direkt mit dem limbischen System verbunden ist, das für Emotionen und Gedächtnis zuständig ist. Wenn wir einen bestimmten Duft wahrnehmen, wird dieser im Gehirn mit einem bestimmten Erlebnis, einem Ort oder einer Emotion verknüpft, die wir in der Vergangenheit mit diesem Duft assoziiert haben.
Noch lange, bevor wir analytisch aussprechen können: „Das duftet hier nach Vanille und Kardamon“, hat unser Kopf wachgerufen wo und wann wir diesen Geruch einmal ganz besonders – oder auch zum ersten Mal – wahrgenommen haben. Diese Verbindung ist oft so stark, dass ein einziger Geruch ausreicht, um uns in eine völlig andere Welt zu katapultieren.
Plätzchenduft versetzt mich regelmäßig in die Küche meiner Eltern. Vor fast 50 Jahren. Ich sehe den Gasherd, die angekokelten dicken Topflappen. Und wie im Film sehe ich, wie meine Mutter die fertigen Plätzchen aus dem Ofen zieht. Und später darf sie mit Eigelb bestrichen und mit ein paar Zuckerstreuseln garnieren. Immer umweht vom Duft der Butterplätzchen.
Vor hundert Jahren erschien in Frankreich ein siebenteiliger Roman: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Berühmt wurde der Roman durch eine ganz besondere Szene: Dort löst der Geschmack einer Madeleine – ein kleines Sandkuchengebäck – die in Tee getaucht wird, beim Erzähler eine Flut von Kindheitserinnerungen aus. Vor seinem inneren Auge entfaltet sich Stück für Stück die Welt von damals auf. Detailreicher als man jemals bewusst sich zurückerinnern könnte.
Ich möchte ihnen einige Zeilen daraus vorlesen. Es beginnt damit, dass Marcels alte Mutter ihm vorschlägt, eine Tasse Tee zu trinken:
„Ich lehnte zunächst ab, aber dann entschied ich mich um. Ich weiß nicht warum. Sie brachte mir ein kleines, ovales Sandkuchen, eine sogenannte Madeleine, das wie eine Jakobsmuschel geformt war. Als ich einen Löffel Tee mit einem Stück Madeleine trank, überkam mich ein überwältigendes Gefühl der Freude. Es war ein Gefühl, das ich nicht erklären konnte, aber es machte mich sehr glücklich.
Plötzlich hatte ich eine lebhafte Erinnerung. Der Geschmack des Kuchens erinnerte mich an meine Kindheit. Meine Tante Leonie hatte mir als Kind oft ein ähnliches Stück Madeleine in ihrem Tee angeboten.
Mit diesem Geschmack kehrte alles zurück: das Haus meiner Kindheit, der Garten, die Straßen, die Menschen. Es war, als hätte ich ein altes Fotoalbum gefunden. Die einzelnen Bilder – das Haus, der Garten, die Menschen – wurden immer deutlicher und lebendiger.
Plötzlich stand ich wieder in meinem alten Zuhause. Ich konnte die Luft riechen, die Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren, die Stimmen meiner Familie hören. Die Erinnerung war so intensiv, so lebendig, als wäre alles erst gestern geschehen. Jedes Detail, das ich einst für vergessen gehalten hatte, trat nun klar und deutlich hervor.
Es war, als ob eine Tür in meiner Vergangenheit aufgestoßen wäre. Die Madeleine war der Schlüssel zu diesem Schatzkästchen voller Erinnerungen.“
Über mehrere Seiten geht das nun weiter. Nach dem Autor bzw. nach de Gebäckstück spricht man bis heute vom „Proust-Effekt“ oder „Madeleine-Effekt“. Also das Phänomen, dass Düfte als Türöffner zu längst vergessenen Erinnerungen dienen können.
Vielleicht ist genau deshalb Weihnachten so reich an Düften.
Der Duft von Gebäck. Vom Plätzchen bis zum Spekulatius.
Der Geruch von Kerzen. Wenn sie brennen, oder auch der charakteristische Geruch, in den Sekunden, nachdem man sie ausgeblasen hat.
Das Aroma aus dem Wald: Adventskranz und Weihnachtsbaum.
So viele Ankerpunkte für Erinnerungen und für Gefühle. Und zugleich ist es auch eine Art Generationenvertrag:
Wenn unsere Kinder und Enkel diese Advents- und Weihnachtswelt erleben. Mit all ihrer Spannung und Hoffnung, den Lichtern und Ritualen. Wenn diese Bilder sich verknüpfen mit den adventlichen Düften … dann hat auch die nächste Generation genügend Futter für ihre Erinnerungen.
Damit in vielen Jahrzehnten – auch wenn wir dann gar nicht mehr da sein wereden – beim Duft der Plätzchen sich ganz natürlich auch Erinnerungen entfalten, gefüllt mit dem, was sie mit uns einmal erlebt haben.
0124 1-45 Tragt in die Welt nun ein Licht
Überleitung Poetry-Slam (Sehnsuchtswort; Monika Lusky)
Der Madeleine-Moment, von dem ich vorhin gesprochen habe, ist eine Unterbrechung. Die Welt, der Alltag, das Gewusel, der Frust: Das alles hat jetzt Pause. Weil etwas anderes kommt, den Platz des Alltags einnimmt.
So eine Unterbrechung braucht unser Advent. Weil es sonst nur ein Rumorganisiere ist, und das Eigentliche gar nicht zum Tragen kommt. Ich habe einen Text von Monika Lusky gefunden, der das ganz schön beschreibt:
VIDEO
Gebet
Heiliger Gott,
wir sind auf dem Weg zum Weihnachtsfest. Auf dem Weg zum Stall von Bethlehem.
Begleite du uns auf diesem Weg durch so manche Ablenkung und Stress hindurch.
Durch Weihnachtseinkäufe und Plätzchenbacken.
Halte in uns die Sehnsucht nach dir wach.
Das Freuen auf das, was Jesu Geburt uns zeigt: Du kommst zu uns. Immer wieder neu
Hinein in unser Dunkel, unsere Sorgen, unsere Angst.
Du kannst es in uns hell machen.
Darauf wollen wir vertrauen.
Amen
Hinweis zum Text von Marcel Proust.
Der Schreibstil von Proust zeichnet sich durch enorm lange und gewundene Sätze aus, die schon beim Lesen große Disziplin erfordern. Bei einem „Testlauf“ habe ich gemerkt, dass sie beim Vorlesen für Zuhörer nur schwer nachzuvollziehen sind. Darum habe ich in der Andacht den Text paraphrasiert. Auch das im Original an sich schöne Bild der sich auf dem Wasser entfaltenden Origami-Landschaften habe ich schweren Herzens aufgegeben.
Den Originaltext finden Sie beispielsweise hier: https://web.archive.org/web/20150205021458/http://www.dmpg.de/marcel_proust/zitate/zitate.html#madeleine
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