Predigt: Ist Gott wie ein ungerechter Richter? (Lukas 18, 1-8) 11. November 2001

group of people standing on the street holding placards

Lk 18, 1-8
Sehnsucht nach Gerechtigkeit prägt dieses Gleichnis. Aber auch die Erfahrung, dass ich mich mit meinem Gerechtigkeitsbedürfnis von Gott in Stich gelassen fühle. Aber ist Gottes Gerechtigkeit manchmal ganz anders, als gedacht?

Liebe Gemeinde,
aus irgend einem Fernsehkrimi habe ich folgende Szene in Erinnerung:
Heimtückisch wurde ein Mann von seinem Feind niedergeschlagen. Das Opfer liegt schwerverletzt da, im Sterben. Der Täter ist bereits davongelaufen. Da kriecht das Opfer mit letzter Kraft an den Schreibtisch, zieht ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber zu sich herunter und kritzelt den Namen des Täters auf den Zettel. Dann bricht er tot in sich zusammen.
Warum? Wieso schreibt der Ermordete noch den Namen seines Mörders auf? Er hat ja nichts mehr davon. Er ist tot, egal ob später der Mörder gefasst wird oder nicht. Lebendig wird er davon nicht mehr.
Aber trotzdem verlangt der Ermordete mit seinem Zettel nach Gerechtigkeit. Ihm ist wichtig, dass die Tat an ihm gesühnt wird. Dass der Mörder gefasst wird. Erst dann ist die Welt wieder im Gleichgewicht, dann hat der Tote auch seine Ruhe, wie man so sagt.

Liebe Gollhöfer, ich denke, wir Menschen brauchen das Gefühl der Gerechtigkeit, damit die Welt für uns im Gleichgewicht ist. Zwar ziehen weiterhin die Planeten in Sonnensystemen die immer gleichen Bahnen, aber dennoch: die Welt ist nicht in Ordnung, wenn Unrecht zum Himmel schreit.

Um Unrecht geht es auch in unserem Predigttext. Er steht im Lukasevangelium, im 18. Kapitel.

Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie  allezeit beten und nicht nachlassen sollten,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe,  weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze?

Liebe Gemeinde,
in der Geschichte die Jesus hier erzählt geht es um eine Witwe. So genau wissen wir nicht, weshalb sie einen Richter brauchte. Vielleicht war erst vor kurzem ihr Ehemann gestorben und jemand aus der Verwandtschaft hatte sich einfach so aus dem Erbe bedient. Und sie, als Frau mit nur wenig Ansehen in der damaligen Gesellschaft, musste nun zuschauen wie sie ihr Erbe bekommt, dass ihr doch eigentlich zustand. Wahrscheinlich war sie dringend darauf angewiesen – in einer Zeit ohne Rente geschweige denn Witwenrente.

Und dann ist da dieser Richter. Darf man ihn eigentlich Richter nennen? Denn mit der Rechtsprechung hatte er es ja nicht so sehr. Vielleicht war er ein recht bequemer Zeitgenosse; und er hatte einfach keine Lust in dieser lästigen Erbstreitigkeit tätig zu werden: Die streitenden Parteien anzuhören, Zeugen herbei zu holen und ein Urteil zu sprechen. Das alles war ihm wahrscheinlich zu viel Arbeit. Darum vertröstete er die Witwe immer wieder auf später. Er, der doch eigentlich für das Recht zuständig war, kümmerte sich anscheinend herzlich wenig darum. Ein „ungerechter Richter“.

Die Witwe lässt sich aber nicht unterkriegen. Sie kämpft mit ihrer ganz eigenen Waffe: Sie nervt. Immer wieder spricht sie den Richter an – mal freundlich mal eher grantig. Das ist ihre Strategie. Steter Tropfen höhlt ja bekanntlich den Stein. Vielleicht traute sich der Richter am Schluss gar nicht mehr auf die Straße aus Angst, dass wieder diese Frau kommen könnte und ihm eine Szene macht.
Und damit geht ihre Rechnung auf: Der ungerechte Richter gibt auf und nimmt sich ihrer Sache an. Sie hat gewonnen.
Durch ihre Beharrlichkeit hat diese Witwe ein Doppeltes geschafft: sie bekommt ihr Recht und zugleich hat sie den ungerechten Richter zumindest an diesem Tag zu einem gerechten Richter gemacht.
Das ist so ein Tag, an dem dann die Welt wieder mal im Lot war. Gerechtigkeit war hergestellt, keine Rechnung mehr offen.
Das, was Jesus hier erzählt hat, ist ja ein Gleichnis. Das heißt: Da gibt es etwas zum vergleichen. Und wenn ich nicht alles falsch verstanden habe, vergleicht Jesus den ungerechten Richter mit Gott.
Das ist nicht so ganz leicht; da sträubt sich irgend etwas in mir, wenn ich sagen will: „Gott ist wie ein ungerechter Richter“.

Aber ich habe es dann doch mal probiert- so zu denken: Denn ich glaube schon, dass Gott diese Welt in der Hand hat und er Macht hat, Dinge zu verändern. Und ich glaube auch, dass Gott es gut mit uns meint. Wenn ich dann aber die Welt anschaue, sehe ich überall Ungerechtigkeiten, Lieblosigkeit, Not, Mord und Totschlag.
Also Ungerechtigkeit ohne Ende! Und wenn Gott so etwas zulässt, dann kann ich vielleicht doch behaupten: Gott ist wie ein ungerechter Richter.

Man traut sich so etwas kaum auszusprechen denn schließlich haben wir es ja nicht mit irgend einem pflichtvergessenen Amtsgerichtsrat in Ansbach zu tun, sondern mit dem Herrscher der Welt.
Aber die Erfahrung kennen wahrscheinlich viele von ihnen: dass man sich fragt warum Gottes dies oder jenes zulässt.
– Das ist doch nicht gerecht, wenn diejenigen, die sich auf krummen Wegen durch Leben mogeln den besseren Schnitt machen, als die Ehrlichen.
– Das ist doch nicht gerecht, wenn der eine Besoffene riskant überholt, und der zufällig entgegen kommende Familienvater dessen Dummheit mit dem Leben bezahlt.
– Das ist doch nicht gerecht, wenn kleine Kinder in Afghanistan verhungern, weil die Erwachsenen Krieg führen.
Da bleibt dann meist nur die Frage nach dem „Warum“, die öfters dann der Pfarrer abbekommt. Aber man könnte gerade mit diesen Gleichnis im Hinterkopf durchaus auch sagen: Gott, dass ist doch ungerecht, schaffe doch endlich Recht!
So. Wenn ich schon Gott mit den ungerechten Richter vergleiche, dann kann ich mir überlegen, was wohl passieren wird, wenn dieser Richter endlich mal Recht schafft.
Dann geht es nämlich um viel mehr als um eine Bestrafung von irgendwelchen Übeltätern. Denn das sieht man schon an der Todesstrafe in Amerika: Die Hinrichtung eines Mörders hinterlässt bei Vielen einen unangenehmen Nachgeschmack und macht das Opfer auch nicht wieder lebendig. Was fehlt, ist, dass die Opfer ins Recht gesetzt werden. Aber da sind wir Menschen ganz schnell am Ende unserer Möglichkeiten
Die Gerechtigkeit, die Gott herstellen wird, hat eine andere Qualität. Dann geht es darum, dass die Welt wieder ins Gleichgewicht, ins Lot, kommt. Ohne Ungerechtigkeiten.

~ Wenn Gott Recht schafft, wenn er diese Welt ins Lot bringt, dann werden Menschen wieder einander als Gottes Ebenbild achten. Jeder den andern höher als sich selber.
~ Dann sind Mensch und Natur in Einklang, dann wird bebaut und bewahrt, nicht ausgebeutet und gequält.
~ Dann werden auch wir Menschen mit unserm Gott in Einklang sein, dann wird Gottes Wille auch unserer sein – wir seine Kinder.
Das ist dann das „Reich Gottes“, das Jesus angekündigt hat.
So, wie Gott Gerechtigkeit herstellt, so wächst auch dieses Reich Gottes unter uns.
Liebe Gemeinde, unser Predigttext sagt uns ja ziemlich unverblümt, was unsere Aufgabe ist: Wir sollen unentwegt Gott in den Ohren liegen. Ihn darum bitten, dass er sein Reich unter uns aufbaut und Gerechtigkeit schafft.
So, wie diese Witwe. Sie wusste: Ich muss diesen Richter dazu bekommen, dass er sich meiner Sache annimmt, sonst habe ich keine Chance. Darum hat sie ja nie aufgegeben, obwohl sie lange vergeblich gebettelt hat. Und schließlich wurde sie ja auch erhört.

Ich glaube, dass wir Menschen auch nur durch Gott die Möglichkeit haben, diese Welt wieder im Lot zu haben. Er muss Gerechtigkeit herstellen – sein Reich unter uns aufbauen. Unsere Aufgabe besteht offensichtlich darin, Gott solange zu nerven, bis er es dann wirklich vollends tut.
Und auf dem Weg zu diesem großen Ziel wird Gott auch kleine Schritte mit uns gehen und Gerechtigkeit im Kleinen unter uns herstellen. Auch, wenn die Welt im ganzen noch nicht im Lot ist.

Unsere alltäglichen Leiden an dem, was wir für nicht gerecht empfinden, werden wir auch weiter tragen müssen und auch vor Gott reklamieren dürfen. Wie die Witwe – immer wieder. Schon allein deshalb weil es eben wehtut, mir keine Ruhe lässt wenn ich mich immer wieder fragen muss: „Warum ich, womit habe ich mein schweres Schicksal verdient?“
Der Witwe hat es sicher keinen Spaß gemacht, immer wieder den Richter bitten zu müssen. Und zu keinem Zeitpunkt hat sie geahnt, wann sie ihr Gegenüber endlich weich gekocht hatte. Die Erlösung kam dann ja ganz überraschend.

Wir Christen sind im Wartestand.
Das ist eigentlich kein schöner Zustand, weil man so wenig in der Hand hat. Aber drei Dinge, denke ich, kann man aus diesem Gleichnis mit heimtragen.

1.: Gott zieht sich den Schuh des ungerechten Richters an und sagt uns: Die Gerechtigkeit kommt erst noch, ihr braucht diese Welt nicht – mir zuliebe – schöner und gerechter reden, als sie eben ist. Ich habe noch einen Plan mit euch Menschen.
2.: Gottes verspricht uns, sein Reich, die gerechte Welt aufzurichten. In der wird auch alle Ungerechtigkeit von heute aufgehoben sein, auch dort wo die Mordopfer nicht mehr die Namen ihrer Täter aufschreiben konnten.
3.: Wir haben dabei eine wichtige Rolle, indem wir Gott immer wieder in den Ohren liegen und bitten Gerechtigkeit zuschaffen, gerade da, wo wir Unrecht sehen und eigentlich machtlos sind. Da können wir rufen: dein Reich komme.
Amen


Bitte beachten Sie: Der Predigttext ist im Zuge der Perikopenrevision ab 2018 nicht mehr dem Drittletzten, sondern dem Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr zugeordnet
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