Liebe Gemeinde,
an Weihnachten feiern wir, dass Jesus zu uns in die Welt kam. Und ganz selbstverständlich denken wir an den Stall von Bethlehem, die Hirten, an Maria und Josef. Wir können es uns auch kaum anders vorstellen. Dabei müsste das gar nicht so sein: Von den vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes erzählt nur Lukas von der außergewöhnlichen Geburt im Stall. Die übrigen drei fanden andere Begebenheiten wichtiger, zum Beispiel Matthäus, der von den Weisen aus dem Morgenland berichtet.
Ganz anders kommt Johannes in seinem Evangelium daher: „Weshalb soll ich über Jesu Geburt schreiben? Erstens haben Matthäusn und Lukas in ihren Evangelien vor mir schon alles gesagt. Und Zweitens ist die Geburt eines Kindes in Bethlehem sowas von normal, da verschwende ich doch kein wertvolles Papyrus. Viel wichtiger ist es doch, zu sagen, was da für ein Mensch gekommen war!” – sprachs und begann sein Evangelium mit einem Hymnus, einem Loblied über des Sohn Gottes, den er so ähnlich irgendwo mal gehört hatte:
Predigttext: Johannes 1, 1-14
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen. 6 Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. 7 Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. 8 Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht. 9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. 10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. 11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind. 14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Jesus als das Wort ist mehr als ein Sandwichmann
Was da steht, klingt wirklich ganz ganz anders: Keine Hirten, kein Stall, vor allem kein kleines Baby. Sondern Johannes stellt uns gleich den erwachsenen Jesus in den Raum – und zwar als das Wort Gottes, das in die Welt kam. Ein Wort, das durch unsere Welt läuft. Das, was Gott sagt, was Gott will, was Gott verspricht, steht nicht zwischen zwei Buchdeckeln, sondern bekommt Beine … und läuft mitten zwischen den Menschen herum.
Kennen sie die Sandwich-Männer? Die gibt es manchmal noch in Großstädten: Leute, die sich vorne und hinten ein Werbeplakat auf den Körper gebunden haben und so als wandelnde Werbetafeln unterwegs sind. Unterbezahlte Leute, die auf den Straßen herumlaufen, für einen Foto- oder Handyladen oder ein Konzert Werbung machen. Wer sie genauer fragt, was es mit dem beworbenen Handyvertrag auf sich hat, erntet nur ein Schulterzucken: „Da hab ich keine Ahnung, ich trag ja bloß das Plakat spazieren!”
Nicht unähnlich geht es uns Menschen ja manchmal mit dem geschriebenen Wort Gottes. Da finden wir Erzählungen, einzelne Sätze oder Regeln, die wir nicht so ganz verstehen. Da steht man da, schaut mit fragendem Blick die Buchstaben seiner Bibel an und kommt nicht weiter. Und die zuckt mit den Schultern und teilt mir mit: „Bedaure, ich bin ein Buch, ich kann nicht reden und es dir erklären. Blättere in mir herum und versuche, mich zu verstehen, mehr kann ich nicht für dich tun”.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit – Jesus ist mehr als ein Sandwichmann mit aufgedrucktem Bibeltext. Mit ihm kam das Wort Gottes so auf die Erde, dass es sich selber erklärte. Ganz anschaulich und lebendig. Und wer etwas nicht verstand, der konnte nachfragen und bekam eine Antwort. Und manchmal sah diese Antwort ganz anders aus als das, was die Menschen sich erwartet hatten. Die Streitgespräche, die Jesus mit den Schriftgelehrten geführt hat, zeigen das.
Gott ist Kommunikation
In Jesus kam das Wort Gottes in die Welt und erklärte sich selbst. Gott kommt zu den Menschen, um mit ihnen direkt zu reden. – Ein Gott zum diskutieren!
Vielleicht ist es uns schon so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr darüber staunen können: Dass Gott sich aufmacht, mit uns in Kommunikation zu treten, dass wir ihm nicht egal sind, dass er in der Person von Jesus für uns zu einem verstehbaren menschlichen Gegenüber wird – das ist alles andere als zu erwarten.
Wie oft muss ich als kleines Menschlein erleben, dass andere Menschen es nicht für nötig erachten mit mir zu reden; weil sie bedeutend, prominent oder einfach nur hochnäsig sind. Und viele wissen, wie blöd das ist, im Vorzimmer abgefertigt zu werden, weil das hohe Tier keine Zeit oder keine Lust hat, mit mir ins Gespräch zu kommen.
Gott macht das ganz anders: Er hat uns Menschen bewusst als Gegenüber geschaffen; hat uns die Fähigkeit zur Sprache gegeben, damit wir ein grandioses Werkzeug haben, um miteinander und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und beim ihm lauert keine Vorzimmerdame, sondern Jesus, der uns beigebracht hat, Gott mit „Vater” anzureden. Und Kinder brauchen normalerweise keine Terminvereinbarung, um mit dem Papa reden zu dürfen.
Gott ist Kommunikation; oder wie Johannes er schrieb:. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort Gott sei Dank, dass wir Worte haben, um zu hören, was von Gott gesagt wird, und um ihm im Gebet selber zu sagen, was uns wichtig ist.
Wenn das Schweigen zu laut wird
Liebe Gemeinde, man braucht keim Kommunikationstheoretiker sein, um die zwei Schwachpunkte der Kommunikation zu nennen, denn die kennen wir alle:
Erstens: Der eine hört nicht hin.
Zweitens: Der andere sagt nichts mehr.
Beide sind schlimm, und beiden kennen wir auch aus dem Umgang mit Gottes Wort.
Das Drama Nummer eins fasst Johannes in eineinhalb Sätzen zusammen: Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden
Es ist das alte Spiel, dass einer sich abmüht, dem andern etwas wichtiges mitzuteilen, aber der hört nicht hin, zeigt sich desinteressiert und gelangweilt. Und vor lauter arrogantem Nicht-Hinhören verpasst er dann das, was wirklich wichtig war.
Wir pflegen oft auch so eine Kultur des Nicht-Hinhörens. Was soll Glaube, Kirche, Christentum schon an wichtigem zu sagen haben? Lass die reden, wir machen unser Zeug, wie wir wollen. Verrückte Welt: Gott, der es eigentlich nicht nötig hätte, geht einen gewaltigen Schritt auf die Menschen zu, um ihnen zu helfen; und wir sind oft so schnöselig und zieren uns, mit unserem Leben zu antworten. Klar, so kann die Kommunikation mit Gott nicht gelingen.
Dabei verheißt Johannes ja etwas wunderbares: Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden
Da wäre noch der zweite Problempunkt: Wenn der, der reden soll, nichts sagt.
Wenn Gott schweigt, wenn wir Fragen haben, aber keine Antwort zu h ören ist.
„Warum musste das passieren?”
„Warum trifft es immer meine Familie?”
„Weshalb verbessert sich meine Situation nicht?”
„Wie kann Gott das zulassen?”
„Was habe ich getan, dass es mir jetzt so ergeht?”
Fragen, die Menschen in eine Stille hineinrufen, wo sie sich erhoffen, dass einer antwortet – und zwar nicht nur mit feinen Worten, sondern auch mit einer machtvollen Tat, die das Leiden beendet, die offnen Wunden schließt. Aber da erleben wir Menschen unseren Gott oft seltsam still, f ühlen uns allein und hängengelassen. Das ist nicht einfach, und als Pfarrer weiß ich, dass kluge Erklärungen nicht das sind, was wirklich gesucht wird. „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns”, die Ant-Wort ward Fleisch und wohnte unter uns! Eine mögliche Antwort ist dieser Jesus selbst, der ja auch tiefes Leid erlebte, am Kreuz auch die W-Frage stellte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?”
Vielleicht ist das eine andere Form von Antwort: Dass Gott selbst mitten im Leiden schon dabei ist; er unsere Fragen und unseren Schmerz kennt. Was er uns voraus hat, ist die Erfahrung, dass nach Verzweiflung und Tod zuletzt die Auferstehung das letzte Wort hat.
Liebe Gemeinde,
die Evangelisten Matthäus und Lukas haben uns die Geburt Jesu sehr anschaulich und nahegehend überliefert. Ich bin froh über diese Berichte, die und helfen, ein inneres Bild von diesem geschehen zu bekommen.
Dem Johnannes, der ganz ohne Krippe und Wickelkind auskommt, dem verdanken wir an Weihnachten etwas anderes: Das Erkennen, dass mit der Geburt Jesu die Kommunikation zwischen Gott uns Mensch eine ganz neue Qualität bekommen hat.
Amen