Eine Sommerpredigt zum Lied „geh aus mein Herz und suche Freud“ von Paul Gerhard
1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben, sich ausgeschmücket haben.
2. Die Bäume stehen voller Laub, das Erdreich decket seinen Staub mit einem grünen Kleide; Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide, als Salomonis Seid
Ansprache A
Liebe Gemeinde,
„Geh aus mein Herz und suche Freud“, es ist ein klassisches Sommerlied. Eines, das einen bei der Hand nimmt und die Schönheiten der Schöpfung zeigt. Und dabei lässt sich das Lied ungeheuer viel Zeit. Allein sieben Verse lang geht das Lied mit uns durch Gärten und Wiesen, durch Wald und über Felder.
Es ist ein großer Spaziergang, zu dem Paul Gerhard da mit uns aufbricht. Und wie ein kundiger Freud weist er uns auf die eine oder andere Besonderheit hin, die wir vielleicht übersehen haben könnten. Dieser lange Spaziergang hat natürlich auch seine Probleme: Wer singt denn schon alle 15 Verse durch? Wir Pfarrer, wenn wir das Lied verwenden, wählen meistens 3-5 Verse aus. Mehr wollen wir unserer Gemeinde oft nicht zumuten.
Dabei ist das eigentlich das Schöne: Das Lied ist ein meditativer Spaziergang, der erst die Natur bewundert, dann darauf achtet, was das in einem selber auslöst, und dann zu tiefer gehenden Gedanken weiterwandert. Aber alles mit einer schönen Leichtigkeit.
Oft kommen unsere Gesangbuchlieder so bedeutungsschwer daher, richtig gelehrt sind, sie, so dass man eigentlich nach dem Singen nochmal nachlesen möchte, was da alles Wichtiges drin formuliert ist.
Hier ist es anders, das Lied bleibt leicht, leicht zu singen, leicht zu verstehen. Mit Bildern und Anspielungen, die einen manchmal so „im Verbeigehen“ anstupsen.
Eben im Vers zwei: „Narzissus und die Tulipan, die ziehen sich viel schöner an als Salomonis Seide“ … da springt einen gleich die Bergpredigt an, wo Jesus seinen Zuhörern Mut gemacht hat, sich nicht laufend um die Zukunft zu sorgen: „warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?“
Aber der Liederdichter fängt eben an dieser Stelle nicht über Gottvertrauen zu predigen an. Er überlässt die Predigt da einmal lieber der Schöpfung. Er vertraut darauf, dass allein das Betrachten dieser wunderbaren Schöpfung schon als Impuls ausreicht, um zu erkennen, wie fürsorglich unser Gott ist.
503 5-7 Geh aus, mein Herz
5. Die Bächlein rauschen in dem Sand und malen sich an ihrem Rand mit schattenreichen Myrten; die Wiesen liegen hart dabei und klingen ganz vom Lustgeschrei der Schaf und ihrer Hirten, der Schaf und ihrer Hirten.
6. Die unverdrossne Bienenschar fliegt hin und her, sucht hier und da ihr edle Honigspeise; des süßen Weinstocks starker Saft bringt täglich neue Stärk und Kraft in seinem schwachen Reise, in seinem schwachen Reise.
7. Der Weizen wächset mit Gewalt; darüber jauchzet Jung und Alt und rühmt die große Güte des, der so überfließend labt und mit so manchem Gut begabt das menschliche Gemüte, das menschliche Gemüte.
Ansprache B
In den drei Versen, die wir jetzt gesungen haben, kommen auch wir Menschen ins Blickfeld. Mehr oder weniger direkt.
Die Hirten, die mit den Schafen über die Weiden springen. Und der Mensch als Konsument. Als derjenige, der in diesem Gottesgarten seine Lebengrundlage findet. Die Schafe als Nutztiere: Milch, Wolle und Fleisch. Der Honig der Bienen; der Wein, der Weizen. Grundnahrungsmittel und Genussmittel.
Wobei es für unsere Zeit etwas ungewöhnlich erscheint, dass der Wein als Getränk hochgelobt wird, das Stärke und Kraft bringen soll. Da haben wir heute eine etwas differenzierte Perspektive. Oder Paul Gerhard hat tatsächlich nur den Traubensaft gemeint … ich bin mir unsicher. Denn täglich Traubensaft trinken war damals im 17. Jahrhundert wohl kaum möglich. Da gabs keinen Tetrapack und keine Konservierungsmittel.
Es war halt eine andere Zeit, in vielen Hinsichten. Denn ein bisschen schaut da, so finde ich, uns so ein Paradies-Motiv entgegen: Adam und Eva werden in den Garten Eden gesetzt, und alles ist schon da. Die Äpfel am Baum, die Früchte der Erde, die Fische im Wasser. Aus dem allen darf sich der Mensch ernähren. Es ist schon da! Gott hat es so eingerichtet. Wir haben eine Welt überantwortet bekommen, die darauf eingerichtet ist, dass auch wir als Geschöpfe unseren Platz haben. Unser Auskommen.
Das spiegelt sich hier wider. Es ist schon alles da! Du brauchst dich eigentlich nur dessen bedienen. Du bist ein Teil vom Ganzen. Klar, dein Brot musst du im Schweiße deines Angesichts essen – aber es ist da. Ein Geschenk Gottes.
Heute haben wir oft ein ganz anderes Selbstverständnis. Wir reden nicht umsonst von „Lebensmittelproduktion“ und haben in vielen Bereichen eine industrielle Landwirtschaft.
Wir machen uns unser Essen.
Wir sind kreativ und entwickeln immer bessere Methoden in der Landwirtschaft.
Aber unterm Strich können wir Wachstum nicht machen. Sind wir abhängig von Sonne, Regen, der Arbeit der Bienen und vielen anderen Faktoren, die wir erst über die Jahrhunderte verstanden haben.
Wir bleiben die letzten in der Nahrungskette. Und das macht uns nicht zu den Königen oder zur Krone der Schöpfung. Sondern wir sind die, die von allen abhängig sind. Die Pflanzen brauchen uns nicht, die Bakterien brauchen uns nicht. Die Insekten brauchen uns auch nicht. Aber wir brauchen die!
Paul Gerhard ist aber kein grüner Prediger, er ist wieder nur mit seinen Versen da, und lenkt uns auf die Wunder der Natur. Zum Beispiel erinnert er uns daran, dass der Weinstock eigentlich so ein zartes Pflänzchen mit dünnen Ästchen ist, und doch so ein gehaltvolles Produkt zur Verfügung stellt.
503 9-11 Geh aus, mein Herz
9. Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du’s uns so lieblich gehen auf dieser armen Erden: Was will doch wohl nach dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse werden, und güldnen Schlosse werden!
10. Welch hohe Lust, welch heller Schein wird wohl in Christi Garten sein! Wie muss es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim mit unverdrossnem Mund und Stimm ihr Halleluja singen, ihr Halleluja singen.
11. O wär ich da! O stünd ich schon, ach süßer Gott, vor deinem Thron und trüge meine Palmen: So wollt ich nach der Engel Weis erhöhen deines Namens Preis mit tausend schönen Psalmen, mit tausend schönen Psalmen.
Ansprache C
Themenwechsel! Oder doch nicht?
Bis zum achten Vers spaziert der Liederdichter durch unsere Gärten, also unsere Welt. Und jetzt wechselt die Perspektive. So, als würde er nach seinem langen Spaziergang stehen bleiben, tief durchschnaufen und zum Himmel schauen. Wie wird Gottes Garten da oben sein, wenn ich einmal gestorben bin?
Paul Gerhard hält sich zurück mit abenteuerlichen oder spekulativen Bildern. Es klingt für mich eher so, als wäre der Himmel vor allem voller Musik: Engel singen, und auch er selbst sieht sich da schon mitsingen, wenn es einmal so weit ist.
Er macht keinen Hehl daraus, dass er lieber dort, als hier wäre. Ist da eine Todessehnsucht verborgen? Das hätte mich grundsätzlich nicht gewundert. Denn Paul Gerhard hat in seinem Leben so einiges durchgemacht. Seine Kindheit war vom Horror des 30jährigen Kriegs geprägt. Drei seiner vier Kinder musste er beerdigen und seine Frau starb nach nur 13 Jahren Ehe. Und als Pfarrer erlebte er, dass ihm die Mächtigen übelst mitspielten.
Aber: als er „Geh aus mein Herz“ 1653 verfasst hatte, erlebte er wohl die besten Jahre seines Lebens. Da lief noch alles gut.
Und: Auch die späteren Lieder von ihm zeichnen sich dadurch aus, dass er trotz aller Lasten seines Lebens und dieser Welt immer wieder sich und anderen Mut macht: Das Gute zu sehen. Dankbar zu sein. Hoffnung zu haben, weil Gott es gut mit uns meint.
Paul ist ein Mensch, der sein Leben auf Aufgabe ansieht. Ein bisschen so, als wäre er eine Pflanze in Gottes Garten, die eben auch eine spezielle Bestimmung hat. Davon singen wir in den nächsten Versen 12 bis 14.
503 12-14 Geh aus, mein Herz
12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch hier trage dieses Leibes Joch, auch nicht gar stille schweigen; mein Herze soll sich fort und fort an diesem und an allem Ort zu deinem Lobe neigen, zu deinem Lobe neigen.
13. Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt, dass ich dir stetig blühe; gib, dass der Sommer deiner Gnad in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe, viel Glaubensfrüchte ziehe.
14. Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben. Verleihe, dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben, und Pflanze möge bleiben.
Ansprache D
Ja, mich selbst als Pflanze Gottes in seine Schöpfung einreihen. Das entfaltet Paul Gerhard in diesen drei Versen. Er ist ein bisschen Palme, ein bisschen Eiche, eine bisschen Sonnenblume und auch ein bisschen Apfelbaum. Bilde ich mir ein.
Eine Palme entdecke ich, wo er von der Last auf seinen Schultern spricht. Vielleicht Sorgen und Kummer, gesundheitliche Beschwerden, oder vielleicht die schlimmen Erinnerungen an die Kriegszeit. Die bedrücken ihn. Dem kann er sich nicht entziehen. Darum ein bisschen wie eine lange Palme, die unter der Last der Kokosnüsse sich biegt, aber nicht bricht.
Wohl auch weil er tiefe Wurzeln geschlagen hat. Wurzeln des Vertrauens. Wurzeln, die mit jeder guten Glaubenserfahrung tiefer in den Boden hinabgewachsen sind. Wurzeln, die mit jeder überstandenen Krise dicker und fester wurden. Ein bisschen hat das auch etwas von einer deutschen Eiche. Aber die steht vielleicht für Paul Gerhards Selbstbild etwas zu stolz und zu unerschütterlich da. Da hat er im Leben zu viel Gegenwind bekommen.
Als doch eher Palme? Denn die geneigte Palme passt ja auch zum menschlichen Dasein. Eben weil ich mich vor Gott als Schöpfer verneigen möchte: Ihm gehören die Ehre und mein Loblied.
Oder vielleicht ein Apfelbaum. Denn ihm ist wichtig, dass das eigene Leben Früchte trägt. Denken wir zurück an die Vorstellung: Ich bin ein Teil vom Ganzen. Eine Pflanze in Gottes Garten. Eine Pflanze die fröhlich blüht. Die man gerne betrachtet, bei der man zustimmend nickt und sagt: Ja, es ist schön, dass diese Pflanze hier bei uns wächst.
Schön, dass du da bist! Das sollten wir uns öfter sagen, wir Bewohner von Gottes Garten!!
Auch weil wir uns immer etwas geben können.
Von Glaubensfrüchten spricht Paul Gerhard. Ob er die Früchte des Geistes meint, von denen Paulus schreibt? Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung? Das sind ja eher Tugenden – vielleicht wie so Blüten, die die Grundlage dafür sind, das Gutes daraus entsteht. Damit mit meinem Dasein in diesem Garten andere beschenkt werden durch mein Leben, durch mein Handeln und Reden.
Was will man mehr? „Verleihe, dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben.“
Amen
Hinweis: Zu diesem Lied gibt es auch eine Predigt zum Konfirmationsjubiläum: https://www.pastors-home.de/?p=3040