„Nimm dir das Leben … und lass es nicht mehr los“ – Die Ballade von Udo Lindenberg ist wunderbar nachdenklich, ehrlich und ist letztlich eine Hymne, die Mut macht, das Leben mit all seinen hellen und dunklen Seiten anzunehmen.
Info: Hinweise zum Projekt „Hitradio Region Ost“ finden Sie am Ende der Seite
Liebe Gemeinde,
um ein Lied von Udo Lindenberg soll es heute gehen. Lindenberg gehört ja so zum Urbestand des deutschen Rock. Als ich noch in den Windeln lag, brachte er seine ersten Schallplatten heraus. Ich bin sozusagen mit ihm aufgewachsen, aber ehrlich gesagt konnte ich nie etwas damit anfangen. Es war nicht meine Musik, die Texte sagten mir als Teenager nichts und sein Gehabe als Rocker´mit Sex Drugs, Rock´n Roll … für einen Alexander, der im behüteten Frankenwald groß geworden ist, war das eine komplett fremde Welt.So gingen die Jahrzehnte ins Land, ohne dass ich mich mit Musik von Udo Lindenberg genauer beschäftigt hätte. Inwischen ist er 75 Jahre alt, wohnt schon seit ewigen Zeiten im Hotel Atlantic in Hamburg und führt ein Leben als Alt-Rocker, nicht wirklich im Ruhestand, aber schon etwas ruhiger.
Ja, aber dann hat mich vor 2 Jahren jemand gefragt, ob wir als Kirchenkabarett bei einem Abend mitmachen würden, der sich ganz und gar den Liedern von Udo Lindenberg widmen würde … also war meine Neugierde geweckt und so kam ich dazu, dass ich dieses Lied entdeckt habe, das ich jetzt einmal mit Ihnen anhören möchte:
“Das Leben” (Lied)
In dieser Ballade scheinen sich zwei alte Herren zu treffen. Zwei hammerharte Typen, die aber schon in die Jahre gekommen sind. Die Power von früher ist nicht mehr da. Vielleicht haben manche Exzesse der vergangenen Jahrzehnte auch ihren Tribut gefordert. Ein Herzinfarkt überstanden, die Leberwerte sind auch nicht so toll. Beim Treppensteigen warst du auch schon mal schneller oben – ohne schnaufen.
Udo Lindenbergs Kumpel hat Federn gelassen. Nicht nur körperlich: “Die Welt da draußen macht dich fertig. Du sagst, du hast genug.” Da ist einer an seinen Grenzen. Vielleicht ist die Welt wirklich immer verrückter geworden, immer anstrengender, immer herausfordernder. So dass man irgendwann die Nase voll hat.
Oder liegt es daran, dass man selber einfach immer weniger hinterher kommt? Weil die eigene Fähigkeit, sich an diese Veränderungen anzupassen einfach geschrumpft ist? Vielleicht sind auch einfach die Energiereserven zu Ende? Weil alles nur noch endlos mühsam und anstrengend erscheint. Und man fragt sich, was soll das alles?
Nimm dir das Leben
Und lass es nicht mehr los
Denn alles was du hast
Ist dieses eine bloß
Der Refrain spielt mit Worten. “Nimm dir das Leben!” … und in der kleinen Pause danach stockt einem der Atmen. Was singt er da? …bis es weitergeht: “und lass es nicht mehr los”.
Er singt gegen den Frust an, gegen das Gefühl, des Lebens überdrüssig zu sein. Auch wenn du nur noch Fragen hast, wenn dir alles zu viel ist, die Energie nicht mehr reicht, schau dir dein Leben genau an. Es ist zerbrechlich, es ist schwierig und oft mühsam; aber du hast nur dieses eine. Es ist einzigartig. Und wenn es einmal weg ist, dass ist es weg. Also, lass es dir nicht durch die Finger gleiten, sondern kralle dich dran fest. Denn wenn es dir – wie auch immer – abhanden kommt, ist es schwer, es wieder zurückzubekommen.
Liebe Gemeinde, das Lied ja noch einen zweiten „Vers“, der noch mal einen etwas anderen Blickwinkel hat:
Wir sind doch keine Automaten
Wir sind ein Wunder – du und ich
Lass die andern weiterhetzen, weiterhetzen – wir nich‘.
Vom Tim Benzko, der gegenüber Lindenberg fast schon die Enkel-Generation ist, stammt ein Lied mit einen Titel, der ganz ähnlich klingt: „Ich bin doch keine Maschine!“ Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und ich will leben, bis zum letzten Atemzug.
Es ist nicht nur ein Thema der Alten: Der Eindruck, laufend funktionieren zu müssen. Immer alles schaffen, immer Leistung bringen, immer freundlich sein. So, als wäre der Sinn meines Lebens, ein perfekt funktionierendes Zahnrädchen im Räderwerk dieser Gesellschaft zu sein. Und wenn du diesen Job gut machst, bis du ein gutes Zahnrad, und wenn du nicht funktionierst, fragt man dich: Wozu bist du denn eigentlich da? Wo ist deine Existenzberechtigung?
So etwas kann Menschen kaputt machen.
So etwas kann Menschen ihr Lebensrecht absprechen.
Was machen wir mit den Menschen mit Behinderung?
Wie gehen wir mit Leuten um, die einfach nicht als Zahnrädchen geeignet sind. Weil sie anders ticken, als ein Großteil der Bevölkerung?
Können die weg? Müssen die passend gemacht werden?
Oder müssen wir vielmehr unser System anpassen, dass eben diese Menschen genauso ihren Platz und ihre Würde erhalten?
Es ist ein Dilemma! Unsere Gesellschaft ist immer darauf angewiesen, dass wir zusammentun, zusammenarbeiten, dass jeder seinen Teil an Aufgaben übernimmt. Viele Bereiche unserer Gesellschaft würden nicht funktionieren, wenn es nicht Menschen gäbe, die bereit sind, Zahnrädchen zu spielen. Beruflich und als Ehrenamtliche in Vereinen, Kirchen, Hilfsorganisationen. Wir könnten einpacken.
Und zugleich dürfen wir nicht den Blick auf den Wert des Einzelnen vergessen.
Wir sind doch keine Automaten
Wir sind ein Wunder – du und ich.
Wir sind ein Wunder … den Gedanken finde ich auch in den Psalmen! „Denn du, Gott, hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Psalm 139, 13-14)
Das ist der Kern! Ich bin ein Geschöpf Gottes. Er hat mich so geschaffen, wie ich bin. Und ich will glauben, dass alle meine Stärken, wie auch meine Schwächen zu mir dazugehören. Von Gott so in mich hineingelegt. Dass ich genau so bin, das ist das Wunder.
Einfach Leben dürfen!
Eine Krankenschwester hat mir kürzlich erzählt, wie es war, als sie einen Patienten, für die Entlassung vorbereitet hat. Zweieinhalb Monate lang war er in der Klinik. Lange war es fraglich, ob er überleben würde. Wegen Corona durfte er seine Familie die ganze Zeit über nicht sehen. Nun war es soweit: Diese Schwester hat ihn rasiert, die Haare ein bisschen zurechtgestutzt, hat die vorhandenen Kleidungsstücke so zusammengesucht, dass er richtig gut ausgesehen hat … für diesen Moment, in dem er endlich die Mauern des medizinischen Gefängnisses verlassen konnte. Er durfte zurück ins Leben – dieser Moment war vielleicht das größte Fest seines Lebens.
Nimm dir das Leben
Und lass es nicht mehr los
Greif‘s dir mit beiden Händen
Mach‘s wieder stark und groß
Wenn mir mal wieder alles zuviel wird. Wenn mal wieder alles nervt, dann will ich mich daran erinnern: Dass Gott uns ein wundervolles und einmaliges Geschenk gegeben hat.
Ein Geschenk voller Überraschungen! Da denke ich noch einmal an den Psalm, aus dem ich vorher schon vorgelesen hatte: Da finden sich auch diese Zeilen:
Als ich gerade erst entstand, hast du mich schon gesehen. Alle Tage meines Lebens hast du in dein Buch geschrieben – noch bevor einer von ihnen begann!
Gott scheint einen Plan mit meinem Leben zu haben. Ob ich seinen Plan immer verstehe? Da bin ich mir nicht so sicher.
Aber mir vorzustellen, dass Gott einen guten Plan hat, und vielleicht hinter der nächsten Kurve im Leben schon etwas ganz besonderes auf mich wartet, allein das macht mir Mut, auch in den anstrengenden Zeiten, weiter nach vorne zu gehen.
Amen
Nicht nur Kirchenlieder beschäftigen sich mit Fragen rund um Glauben, Gott und das Menschsein. Egal ob Schlager oder Rocksong: Manchmal hört man im Radio ein Lied, das die eigenen Fragen, Zweifel und Hoffnungen musikalisch auf den Punkt bringt.
Wir haben uns in der „Region Ost“ des Dekanats zusammengetan und stellen als vier KollegInnen Lieder vor, die etwas zu sagen haben. Dazu hat jede/r sich ein Lied ausgewählt, das er/sie zum Thema der Predigt gemacht hab und besucht damit nacheinander die verschiedenen Gemeinden im Osten unseres Dekanats. Die Predigtreihe findet im Zeitraum von Januar bis März 2022 statt
DIe Lieder der Reihe:
Leonard Cohen: There is a crack in everything |
Peter Gabriel: Book of love |
Wolfgang Buck: Eich hams iebersehng |
Udo Lindenberg: Das Leben |