Predigtreihe Schöpfung
Mit meinen NachbarskollegInnen zusammen haben wir mal wieder eine Predigtreihe gestartet. Jeder betrachtet einen anderen Aspekt des Themas Schöpfung. Bei mir gehts um die Frage der nicht ganz perfekten Schöpfung.
Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?(…) Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. (Mt 6, 26-29)
Liebe Gemeinde, so hört es sich an, wenn Jesus seinen Zuhörern von der Vollkommenheit unserer Schöpfung predigt. Da kommt man glatt ins Schwärmen.
Wie oft beneide ich die scheinbare Leichtigkeit des Lebens der Vögel. Sie machen sich nicht wegen jeder Kleinigkeit verrückt. Sie leben einfach in den Tag hinein, und scheinbar fehlt es ihnen an nichts.
Herrlichkeiten
Wie gerne denke ich zurück, wie beeindruckend es ist, in den Bergen zu wandern. Unten im Tal könnte ich stundenlang das gewaltige Panorama bewundern, das sich da vor mir auftut. Und oben auf einem Gipfel, genieße ich den weiten Blick. So weit über allem fällt einfach mal für ein paar Minuten manche alltägliche Sorge von mir ab. Über allem schweben, und spüren, was wirklich groß – und was eigentlich klein und gar nicht so bedeutsam ist.
Ja, da verstehe ich, weshalb in der Bibel die Schöpfung so oft gelobt wird. Sie ist so voller Leben, erscheint so positiv und von Hoffnung erfüllt. Jedes kleine Tierkind – vom Rehkitz bis zum Ferkel – rührt uns an. Hat eine Botschaft: Das Leben siegt. Jeder warmrote Sonnenaufgang ruft mir entgegen: “Los gehts, ein neuer Tag beginnt.”
Aber ich kenne es auch anders: Die Sonne geht langsam auf, während ich im Auto sitze und grade schon auf dem Weg zum ersten Termin des Tages bin. Und ich weiß schon jetzt, was alles noch auf dem Programm steht. Ein schwieriges Gespräch, vor dem mir graut. Später eine Sitzung und die Vorbereitung für den Schuluntericht im Lockdown …. Was hilft mir der schönste Sonnenaufgang, wenn ich schon ahne: Das wird heute nicht mein Tag – ich kämpfe mich durch, aber mehr ist heute nicht zu erwarten. Und von der Leichtigkeit des Vogels ist nichts zu spüren.
Abgründe
Ja, und vielleicht hat der Vogel heute auch keinen guten Tag. Es könnte sein, dass ihn diesmal die Katze am Futterhäuschen erwischt. Auch das gehört zu unserer Schöpfung! Der Löwe reißt das junge Reh. Der Eisbär frisst sein Junges. Ein Virus bringt Abertausenden den Tod.
Auch das ist Teil dieser Schöpfung!
Kommen und abschiednehmen. Werden und vergehen.
Das gehört schon immer zu dieser Welt, in der wir leben.
Wenn der Vogel den Wurm frisst, bring das mich nicht unbedingt aus der Fassung. Wenn die Katze eine Stunde lang mit der halbtoten Maus spielt, fühlt sich das schon anders an. Und wenn ich erlebe, dass ein Mensch den Kampf gegen eine heimtückische Krankheit verlieren könnte, geht es mir an die Substanz.
Ja – das gehört zum Leben auf diesem Planeten offensichtlich dazu – aber hat sich Gott das wirklich so gedacht? Wie passt das zusammen mit den Lob der wunderbaren Schöpfung? Ein Lob, das wir ja nicht nur in der Bibel finden, sondern seit Jahrhunderten auch immer wieder in herrliche Kirchenliedern besingen?
Liebe Gemeinde
So schön diese Schöpfung ist: Sie ist nicht perfekt – sie war es nie. Schon auf den ersten Seiten der Bibel ist von den Dornen und Disteln die Rede, die uns das Leben mühsam machen. Und auch vom Tod, der unser Leben stets bedroht.
Sie ist voller Licht und Schatten, diese Schöpfung.
Sie ist von Gott gemacht – und an allen Orten finden wir die Fingerabdrücke eines Gottes, der groß ist und Großes schafft, und zugleich mit ganz viel Liebe zum Detail am Werk ist. In ihr kann ich viel von Gott erkennen, davon bin ich überzeugt.
Diese Schöpfung um uns herum, ist geschaffen von Gott, sie ermöglicht uns überhaupt das Leben, aber sie ist nicht Gott. Darum muss ich auch nicht alles schönreden, was dort geschieht. Sie ist genauso wie ich als Mensch nicht perfekt. Und wir würden uns freuen, wenn irgendwann einmal manches anders laufen würde.
Der Prophet Jesaja beschreibt das mit einem phantastischen Bild: Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. (Jesaja 11, 7-8). Hoffung auf eine Welt ohne diese Schattenseiten, ohne die tägliche Bedrohung unseres Lebens und unseres Glücks.
Und auch Paulus schreibt davon, dass unsere Schöpfung unter ihrer eigenen Vergänglichkeit ächzt. (Römer 8, 22f). Ja, dieser Schöpfung geht es unterm Strich auch nicht anders als mir selbst.
Vieles bleibt Geheimnis
Warum ist das so? Wäre es nicht viel gerechter, viel besser, wenn das Leben auf unserem Planeten nicht voller solcher Abgründe und Ungerechtigkeiten wäre? Hätte das Gott nicht anders einfädeln können?
Im Buch Hiob geht es in dieser Hinsicht wirklich zur Sache. Seitenlang wird dort – angesichts von Hiobs brutalem persönlichen Schicksalsschlag – hin- und her diskutiert. Über die Frage, ob es gerecht ist, wenn Gott diese Welt mit all diesen Problemen so zulässt.
Letztlich kommen alle schlauen Überlegungen zu ihrem Ende, als Gott selbst in die Diskussion eingreift und sich ausführlich zu Wort meldet. Er nimmt sich Hiob zur Brust: “Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist! Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Messschnur gezogen hat? Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt? (…) Bist du zu den Quellen des Meeres gekommen und auf dem Grund der Tiefe gewandelt? (…) Kannst du der Löwin ihren Raub zu jagen geben und die jungen Löwen sättigen, wenn sie sich legen in ihren Höhlen und lauern in ihrem Versteck? Wer bereitet dem Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und irrefliegen, weil sie nichts zu essen haben?(Hiob 38)
Die Botschaft ist überdeutlich: Mensch, du willst Gott erklären, wie es richtig ist, und hast doch nicht einmal andeutungsweise eine Ahnung von der Komplexität dieser Welt.
Wie was zusammenhängt.
Wo bestimmte Dinge ihren Grund oder ihr Ziel haben – du bist nicht in der Lage, es zu erfassen. Alles ist viel viel vernetzter und komplizierter, als du es dir vorstellen vermagst. Du wirst damit leben müssen, dass dir viele Dinge – manchmal auch dein eigenes Leben – ein Rätsel bleibt.
Meine Stellung im System
Liebe Gemeinde, seit Hiob sind bald zweieinhalb Jahrtausende vergangen. Und in dieser Zeit haben wir Menschen schon so manche dieser inneren Zusammenhänge der Schöpfung verstanden. Wie sehr alles ein System ist. Wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Dass in so einem komplexen System alles eine Rolle spielt
Der Mensch – unser Klima – die Gleichgewichte in der Tier- und Pflanzenwelt. Und doch ist uns trotz aller Forschung vieles rätselhaft. Wir haben Theorien, aber ob sie wirklich stimmen? Es liegt in der Natur der Wissenschaft, dass neue Erkenntnisse manchmal alles auf den Kopf stellen können, und man von vorne beginnen muss, neu zu denken.
Und so ein bisschen habe ich das Gefühl, dass Gott uns dabei zuschaut und lächelt – weil wir mit all unserem Wissen doch nur an der Oberfläche mancher tiefen Geheimnisse kratzen.
Und dabei haben wir noch längst nicht die Frage nach dem “Warum” und “Wozu” bestimmter Dinge ansatzweise erfasst. Aber die werden wir dann doch nicht IN der Schöpfung finden können, sondern BEI unserem Schöpfer. Wenn ich in der Schöpfung suche, weshalb ich am Leben bin, und wozu mein Leben gut ist, dann werde ich eine recht bescheidene biologische Begründung finden. Und ich ahne, dass die mich nicht wirklich befriedrigt.
Aber wenn ich bei meinem Schöpfer nachfrage, wozu es mich gibt … dann wird es sicher eine spannende Reise. Mit keiner einfachen – sondern bestimmt einer komplexen Antwort, die aus vielen kleinen Bausteinen besteht.
Wenn ich mich umschaue, wo Menschen auf meine Freundschaft und meine Unterstützung bauen können, da ahne ich, dass das wohl auch ein Stück meines “wozu gibt es mich?” sein könnte.
Wenn ich mal wieder in den Bergen unterwegs sein kann, und dann mir rausrutscht: “Mein Gott, ist das schön” – dann ist vielleicht dieses Dankeschön an Gott schon ein Grund weshalb es diese Berge und auch mich gibt. Denn, war es nicht so, dass Gott den Menschen in den Garten Eden setzte, damit dieser diese Erde bebaut und bewahrt – und dass er ein Gegenüber für Gott ist?
Ja, dass kann ich immer sein. Einer, der ein Gegenüber für Gott ist – mal bin ich dankbar und manchmal auch unzufrieden. Aber die Beziehung bleibt. Ich kann mit ihm reden, ihm meine Hoffnungen, Sorgen und Fragen ausdrücken.
Und er kann sich manchmal über mich freuen und öfter wird er sich über mich ärgern – aber er weiß ja, wie er mich geschaffen hat: Als Teil seiner Schöpfung. Nicht perfekt, aber von Herzen geliebt.
Amen
Zusätzliche Info: