Predigt zu den neuen violetten Paramenten in unserer Wilhelmsdorfer Hugenottenkirche. Im Gottesdienst war auch die Künstlerin Andrea Thema zu Gast, die später selbst zum Entwurf und zur Herstellung der Paramente das Wort ergriff.
Teile der Predigt wurden von verschiedenen Sprechern des Kirchenvorstandes gehalten – wie sie auch die zentralen Gedanken der theologischen Diskussionen innerhalb des Kirchenvorstands wiederspiegeln. Die Gottesdienstbesucher haben zur Predigt die unten abgebildete Bildkarte mit der Gesamtansicht und zwei Detailausschnitten in die Hand bekommen.
A: Einführung zum Motiv: Der Dorn auf violettem Grund
Liebe Gemeinde,
unsere Kirchenvorsteher haben sich schon länger mit dem Gedanken getragen, die Paramente, die seit vielen Jahrzehnten Altar und Kanzel schmücken, durch neue Exemplare zu ersetzen. Denn einigen von ihnen hat der Zahn der Zeit schon mächtig zugesetzt. Und nun haben wir den Schritt zu etwas Neuem gewagt – und hier sehen Sie, das Ergebnis: Unser neues violettes Parament.
Violett, die Farbe der Besinnung, der Verwandlung. Sie ist in der Kirche die Farbe der Passionszeit, des Buß- und Bettags und der Adventszeit. Also eine verhaltene, stille Farbe, und zugleich ist sie intensiv und kraftvoll.
Das ist die Grundfarbe unserer beiden Paramente. In dieses Violett aus Loden ragt jeweils ein Eck aus gefilzter Wolle in gemischten Violetttönen. Hier von unten nach oben, dort von oben nach unten. Begleitet von einer goldenen Spur, die sich an einer Seite an dieses Dreieck anschmiegt und über die Spitze hinaus die ganze violette Fläche durchwandert.
Soweit die Beschreibung dessen, was jeder erkennen kann.
Spannend wird es, wenn wir darauf blicken, was im Kopf des Einzelnen daraus wird. Denn Paramente sind Kunstwerke – und als solche sind sie offen für uns als Betrachter. Offen für unsere Interpretation, offen für unsere inneren Bilder, sie so ein Kunstwerk auslöst.
Darum kann man dieses Parament nicht erklären … aber wir können als Kirchenvorsteher, Pfarrer und Vikar davon erzählen, welche biblischen Bilder, welche Glaubensfragen dieses Parament bei uns wachgerufen hat.
B1: Der spitze Dorn der Dornenkrone
Das, was in die dunkle violette Fläche hineinragt, ist für mich ein heller Dorn. Von der Form her erinnert es mich an einen großen Dorn, wie ich ihn an Rosen oder manchen Sträuchern finden kann. Schneller, als mir lieb ist, fällt mir da die Dornenkrone Jesu ein.
So sehe ich zunächst einmal ein Parament, das mich in der Passionszeit an die Dornenkrone Jesu erinnert. Ein Dorn von den vielen, die Jesus auf seinem Kopf getragen hat, schiebt sich hier ins Bild. Ein Zeichen des Leidens Jesu, seines Todes am Kreuz.
Aber da ist ja noch dieser goldene Faden an dem Dorn. Der will so gar nicht zur grauenvollen Leidensgeschichte Jesu passen.
Oder doch? Es ist ja eine Dornen-Krone! Als „König“ wollten ihn die Soldaten verspotten; darum die Krone. „INRI“, Jesus von Nazareth, König der Juden haben sie an sein Kreuz geschrieben – und dabei haben sie eine Wahrheit ausgedrückt, von der sie nicht die leiseste Ahnung hatten. – Dass Jesus wirklich ein König ist.
Jetzt im Advent singen und sprechen wir davon: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ (Ps 24, 7) haben wir im Introitus gesungen, und im letzten Lied unseres Gottesdienstes werden wir auch davon singen. – Und wir kennen auch andere königliche Weihnachtlieder: „Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst. Tochter Zion, freue dich,
jauchze laut, Jerusalem“ (EG14/ Sacharia 9,9)
Die Krone gehört zu Jesus als dem Herrn der Welt . Und der goldene Faden lässt sie auch dort als Königskrone sichtbar bleiben, wo diese Krone zur Dornenkrone wird.
B2: Der eigene goldene Faden an den dornigen Wegen des Lebens
Beim Blick auf den Dorn und diesen goldenen Faden werden aber auch Erinnerungen an die eigenen dornigen Wege wach. Leidenswege, die man selbst zurücklegen musste. Wege, gesäumt von Dornen, Schmerz, Verlusten.
Aber manchmal blickt man darauf zurück und entdeckt die Momente, die einen zarten goldenen Schimmer haben:
– Da war jemand, der mich begleitet hat, getröstet, der einfach da war.
– Ich habe in all dem Schweren, das ich durchmachen musste, doch die Hilfe Gottes gespürt.
– Ich durfte in den Zeiten der Verzweiflung und Ausweglosigkeit dann doch einem neuen Anfang finden.
Da glänzt er, der goldene Saum an meinem Lebensweg. Die Spur meines Gottes, der mir zwar den dornigen Weg nicht erspart, aber dafür auch im Leiden nicht alleine lässt.
Paul Gerhard hat es in einem seiner bekanntesten Lieder in Worte gefasst:
Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann. (EG 361)
B3: Der Dorn, der die Welt bewegt
Wer sich auf eine Parkbank setzt, bei der ein dorniger Busch schon ein paar Ableger durch die Ritzen geschoben hat, der erfährt durch die Dornen eine überraschend große Motivation zur Bewegung. Da springt man auf und muss sich überlegen, wo man sich denn nun gefahrlos hinsetzen kann. Ein Sprichwort sagt: Auch eine kleine Reißzwecke kann einen großen Hintern in Bewegung bringen.
Das winzig kleine Kind in der Krippe von Bethlehem, das ist der kleine unscheinbare Dorn, der diese ganze Welt in Bewegung versetzt hat. Mit der Geburt des Gottessohnes beginnt eine neue Zeit – das Reich Gottes bricht an – alles dreht sich.
Alte Regeln, bisherige Gewissheiten werden fraglich, weil dieser Jesus als Stachel diese Welt in Bewegung bringt.
Wo man bisher tapfer seine Feinde bekämpfte sagt er: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5,44)
Wo Menschen dachten, ihre guten Taten würden sie vor Gott gerecht machen und in den Himmel bringen, da mussten von Jesus lernen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25)
Als wir die beiden Paramente betrachtet haben, haben wir genau diese Bewegung entdeckt: Beide Teile – oben und unten – sind zu einander gedreht! Was an der Kanzel links ist, ist am Altar rechts, was am Altar oben ist, ist an der Kanzel unten.
Und dazwischen, als Punkt, in dem sich alles spiegelt, steht unser Kreuz mit Jesus Christus. Er ist der Dreh- und Angelpunkt. An ihm hängt alles. Er ist es, der alles neu gemacht hat.
C: Dornen und Flammen
Ein letzter Gedanke, den wir aufgreifen wollen: Wenn ich diesen gefilzten Dorn vom Nahen betrachte (rechts auf der Foto-Karte können Sie das tun) erscheint mir das Muster so, als könnten das auch Flammen sein. Ein Feuer das hier brennt. Und so wandern meine Gedanken weit nach vorne in unserer Bibel zur Geschichte von Mose, der Gott in einem brennenden Dornbusch begegnet:
„Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt“. (2. Mose 3,1-3)
Der brennende Dornbusch – der Ort, an dem Mose Gott begegnet. Der Ort, an dem sein Leben eine wichtige Wendung nimmt. Ein Ort, an dem etwas geschieht, was er sich nicht erklären kann – aber erlebt, dass das Unerklärbare ganz konkrete und spürbare Auswirkungen auf sein Leben hat.
Da ist diese Geschichte ein Paradigma für unseren Gottesdienst: Denn auch da bleibt diese unerklärliche Lücke. Dass da etwas ist, etwas geschieht, war unser Verstehehen übersteigt. Wir können uns vieles nicht wirklich erklären; aber wir können es erleben, annehmen, für unser Leben fruchtbar werden lassen. Mit Mose hierher kommen: „Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt“
… die wundersame Erscheinung besehen, dass hier mit menschlichen Worten das Wort Gottes in die Herzen der Menschen kommt.
… die wundersame Erfahrung besehen, dass in einfachem Brot und Wein Menschen die unmittelbare Nähe von Jesus Christus spüren.
… das wundersame Ereignis erleben, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bildung und Altersstufe als eine Gemeinde miteinander verbunden sind.
… die wundersame Kraft erleben, die Menschen hier spüren und mit in ihren Alltag nehmen.
Amen