Alle Gottesdienstbesucher erhalten je eine Muschelschale, die jedoch zerbrochen ist. In der Predigt geht es um die Bruchstücke unseres Lebens. Wie gehen wir mit unserer eigenen Unvollkommenheit um, und wie reagieren wir auf die Macken und Kanten unseres Nächsten? (Hinweise zur Praxis am Ende der Seite)
Liebe Gemeinde,
ich habe Ihnen etwas aus dem Urlaub mitgebracht. Das macht man ja so, dass man den Lieben daheim etwas mitbringt. Es sind Muscheln aus dem Mittelmeer, jede und jeder von Ihnen hat nun eine davon in der Hand. Schön! Gell?
Oder sind Sie vielleicht etwas skeptisch? Weil da etwas nicht stimmt? Haben Sie auch so eine kaputte Muschel erwischt? Wo was fehlt, wo etwas abgebrochen ist? Das ist ja blöd! Also … mit einer schönen Muschel ohne Macke könnte man ja etwas anfangen, da hätte jeder von uns eine Idee. Aber so kaputt, zerbrochen … da fällt einem so schnell nichts ein.
Begegnung mit meiner Muschel
Da hilft es bestimmt, wenn ich mir meine Muschel mal ein bisschen genauer ansehe! Und Sie sehen sich Ihre genauer an … vielleicht gibt es da doch noch einiges zu entdecken!
Das Gute zuerst: Auch wenn da so einiges an meiner Muschel kaputt ist, abgebrochen ist oder fehlt: Es ist eine Muschel und ich hatte keine Probleme, die Muschel als solche zu erkennen. Die typischen Merkmale sind auf jeden Fall noch da. Muschel bleibt Muschel – auch wenn da ein beachtliches Stück abgebrochen ist.
Überhaupt: Warum achte ich so sehr auf das, was fehlt? Warum lenke ich meine Aufmerksamkeit so sehr auf das Defizit, so sehr auf das, was da fehlt? Viel schöner ist es doch, auf das zu sehen, was an meiner Muschel da ist, und was an ihr schön ist.
Denn da gibt es ja durchaus einiges zu entdecken! Ich betrachte die Beschaffenheit der Oberfläche, die Form, die Farben, das Muster. Drehe sie um … die glatte Innenseite … vielleicht ist sie vom Sand schon leicht rauh-geschmirgelt. Auch wenn sie zu Millionen an den Strand gespült werden, auch wenn an meiner etwas abgebrochen ist: Die Muschel in meiner Hand ist ein Einzelstück … so wie jeder der Milliarden Menschen auf diesem Planeten ein Einzelstück ist.
Ich lege mir diese unvollendete Schönheit auf die Hand und stelle mir vor: Wie hat sie wohl ausgesehen, als sie noch ganz war? In meiner Phantasie denke ich mir das fehlende Stück dazu. Ich ergänze die Form, stelle mir vor, wie das Muster dort weitergegangen ist.
Mancher von Ihnen hat vielleicht ein sehr kleines Bruchstück von Muschel – da braucht man dann ein bisschen mehr Kreativität, um sich vorzustellen, wie der Rest, wie die ganze Muschel ausgesehen hat.
Meine Macken und meine Zerbrochenheit
Und doch sehe ich auch immer wieder ihre Macken und das, was da weggebrochen ist. Naja, da ist meine Muschel auch nicht anders als ich als Mensch.
Macken … die kenn ich auch. Wo ich angeschlagen bin. Manchmal nur ein Wewehchen, manchmal eine Verletzung, die nur langsam ausheilt – oder mitunter gar nicht verschwindet. Auch mit der Erfahrung, dass körperliche Verletzungen schneller vergessen sind als seelische.
Aber auch so mancher Drücker, den ich schon immer habe, der einfach zu mir dazugehört. Meine seltsamen Eigenheiten – Macken eben.
Dass da richtig etwas weggebrochen ist – das ist nochmal etwas anderes. Wenn etwas fehlt, was eigentlich dazugehört, damit man sich „ganz“ und vollständig fühlt.
– Lebensträume, die abhanden gekommen sind;
– ein Lebenspartner, von dem man Abschied nehmen musste, oder nach dem man sich vergeblich sehnt;
– Verluste, die man erleidet; bei denen man spürt: Es ist nicht mehr so wie früher.
Diese Zerbrochenheit erlebt und fühlt jeder anders. Mancher hat große Verluste zu beklagen, so dass ihm mehr abhanden gekommen ist, als überhaupt noch übrig ist. Für Andere ist da nur ein bisschen was am Rand abgeplatzt.
So, wie der Sand, die Wellen, die Steine ganz unterschiedlich auf die einzelnen Muscheln einwirken, so hat auch jeder einzelne von uns seinen Lebensweg, seine individuellen Höhen und Täler, Triumphe und Niederlagen.
Muschel bleibt Muschel – Mensch bleibt Ebenbild Gottes
Und doch erkenne ich eine Muschel sofort als Muschel – selbst wenn sie noch so zerbrochen und abgeschliffen ist.
Genauso bleibe ich Mensch, Geschöpf und Ebenbild Gottes, egal, wie zerbrochen und verbogen ich mir manchmal vorkomme. Auch wenn immer wieder tief in mir die Zweifel nagen: „Du bist nicht so, wie du sein solltest. Du bist nicht der, der du gerne wärst“ – Ich bin dennoch ein Kind Gottes – bei dem Gott auf den ersten Blick erkennt: „Der … ja, der gehört zu mir.“
Nicht anders war das mit Jesus, der auf alle Menschen offen zugegangen ist: Gerade auf die, denen Andere gesagt haben: „Ihr seid keine vollwertigen Menschen. Ihr Kranken, ihr Sünder, ihr Zöllner, ihr Samaritaner, bei euch ist so viel kaputt, ihr seid so zerbrochen und verbogen – Abschaum, Gesocks“.
Da kommt Jesus mit den Augen des Muschelsammlers, der die ganze Muschel sieht, auch da, wo nur noch Bruchteile daliegen. Der die Schönheit des Einzelnen erkennt, auch wenn sie für unsere Augen verloren gegangen ist.
So wie ich meine zerbrochene Muschel vorhin im Gedanken ergänzt habe, so sieht Jesus den ganzen Menschen. Er sieht auch das, was uns verloren erscheint.
Vielleicht kann ich mir so die Rechtfertigung des Sünders vorstellen: Gott sieht mich durch die Augen Jesu, sieht natürlich die Zerbrochenheit, die Dellen und Kratzer, aber er sieht eben mehr! Sieht das Ganze, weil Jesu Blick nicht an meinen Bruchkanten endet, sondern er mich vor Gott ganz erscheinen lässt. – So, wie ich sein sollte – als Kind und Geschöpf Gottes – das ist sein Blick, der mich vor ihm leben lässt. Gott sei Dank.
Der Blick auf den Nachbarn
Das Ganze sehen, auch da, wo es gar nicht da ist, das will mir nicht so recht gelingen. Die Muschel in der Hand meines Nachbarn, da klappt es schon, mit etwas Phantasie, diese wieder rund und ganz zu sehen. Das hinzuzudenken, was fehlt und was angeschlagen ist.
Aber beim Menschen, der diese Muschel in seiner Hand hat, will mir das nicht so einfach gelingen:
Ihn so zu sehen, wie er gedacht ist. Nicht an den Ecken und Kanten, Schwächen und Macken aufzuhören, sondern mehr zu sehen! Den ganzen Menschen, das Ebenbild Gottes, das er doch eigentlich ist.
Gott, wie gerne hätte ich diese Fähigkeit – diesen Blick, den Jesus offenbar hatte. Den chronischen Grantler zu sehen – und dann zu erkennen, dass da eigentlich ein Anderer dahintersteckt, den liebhaben und annehmen kann.
Obwohl, wie habe ich das bei den Muscheln gemacht?
Ich hab geschaut, wo sind die schönen, markanten Linien und Rillen? Welches prächtige Muster verleiht dieser Muschel die Struktur? Welche angenehme, runde Form ist zu erkennen – da, wo nichts abgebrochen ist? Und von diesen schönen Entdeckungen aus, habe ich dann mein Bild von der zerbrochenen Muschel vor meinem inneren Auge fertiggemalt. Vom entdeckten Guten auf das schließen, was da mal war, wo jetzt die Lücke oder Delle war.
Mein Bild des Anderen von dem herleiten, was in an Gutem entdecke.
Bei der Muschel gelingt es – aber wie oft male ich mein Bild eines Menschen ausgehend von dem, was mich an ihm stört, was an ihm nicht in Ordnung ist? Seine Schwächen und Schattenseiten werden plötzlich maßgeblich, von ihnen schließen wir auf den Rest. Wen wundert es, wenn dabei nur furchterregende Bilder entstehen?
Einen Menschen sehen, wie eine zerbrochene Muschel. Dankbar sein für das Schöne, wertvolle, die guten Momente – und seien sie noch so mickrig. Hinter ihnen steckt das, was Gott an Gutem in uns hineingelegt hat. Sie sind das eigentliche. Und von dort aus den Menschen versuchen zu verstehen, erkennen welches Muster, welche Begabungen und Charakterzüge Gott ihnen verliehen hat – auch wenn so manches verlorengegangen ist, möglicherweise unwiederbringlich. Das wäre doch was!
Wir leben in einem Land in dem sich Menschen angesichts der zu uns strömenden Flüchtlinge immer vehementer wechselseitig als bescheuerte Gutmenschen beziehungsweise hässliche Nazis beschimpfen. Wo man Kinder, deren Eltern im Bombenhagel der eigenen Regierung gestorben sind, als Schmarotzer tituliert. Wo man Fürth mit tausenden Polizisten zum Hochsicherheitstrakt machen muss, nur weil 22 Leute aus Fürth und Nürnberg heute gegeneinender Fußball spielen.
In so einer Welt zu sagen: Mache dir dein Bild des Anderen nicht ausgehend von seinen Fehlern und Schwächen, sondern von dem Guten, das Gott in ihn gelegt hat. Wenn wir das versuchen, müssen wir uns nicht wundern, wenn man uns für ziemlich blauäugig und dumm hält.
Aber das war vor zweitausend Jahren auch nicht anders, als sich Jesus ausgerechnet bei einem widerlichen Zöllner zum Essen eingeladen hat. Da haben sie den Kopf geschüttelt und sich aufgeregt – nur der Zöllner nicht – denn für ihn hat sich dadurch endlich sein Leben verändert: Weil endlich einer nicht nur seine Macken und Kantengesehen hat.
Amen
Es ist sinnvoll (eigentlich unerlässlich), dass jeder Besucher eine Muschel mit Bruchstück in die Hand bekommt.
Die eleganteste Lösung ist es, im Urlaub am Strand selbst welche zu sammeln. Muschel-Fragmente ja in der Regel ausreichend vorhanden. Dabei kann man dann darauf achten, dass man schöne Muscheln mit markanten Mustern auswählt. Man möchte ja keinen „Abfall“ in Händen halten. Wir haben zu zweit etwa 2 Stunden gebraucht, um ca. 170 Exemplare an der Adria zu finden.
Eine alternative Lösung, ist es, intakte Muscheln zu kaufen und diesen dann entsprechend mit Hammer oder Zange aufzubereiten.
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Lieber Kollege,
habe die Woche fleißig Muscheln an der Nordsee gesammelt und werde sie morgen nach dem Urlaub mit dieser tollen Predigt verteilen.
Vielen Dank für die schönen Worte und guten Gedanken.
Ich habe die Seligpreisungen noch dazu genommen und natürlich alles auf unsere Gemeinde und 2021 abgeändert.
Viele herzliche Grüße aus der Südwestpfalz,
Verena