Predigt: Manchmal braucht man einfach Abstand (Lukas 22, 39-46) Gründonnerstag, 2. April 2015

Jesus in Gethsemane: So viel geschieht an diesem Tag vor Karfreitag. So viel ist gefordert. Da reißt sich Jesus los und  sucht im Garten die Einsamkeit. Was ist zu erwarten in den stillem Minuten unter den Olivenbäumen – wenn gleichzeitig im Kopfkino bereits die eigene Kreuzigung läuft?

(Lesung des gesamten Predigttextes bereits als Evangelienlesung)

Eigentlich ist es eine ganz besondere Fähigkeit, mit der wir Menschen beschenkt sind: Wir können Geschehnisse erleben und fühlen, obwohl sie noch gar nicht passiert sind. Wer hat das noch nicht erlebt, dass er an den Tagen vor einem großen Fest bereits von Vorfreude durchströmt ist. Im Kopf entstehen Bilder und Szenen: Wie es sein wird, wenn die Gäste kommen und man sie in den Arm nimmt. Der Kaffeeduft der festlichen Tafel steigt mir schon jetzt in die Nase. Das Stimmengewirr, der dominante Klang von Tante Emma, die unentwegt von ihrem Enkel schwärmt – diese ganze kleine Welt mit all den Bildern, Gerüchen und Gefühlen entsteht in meinem Kopf, ist unglaublich präsent da, förmlich spürbar – schon lange bevor der erste Besucher an meiner Türe klingelt.
Aber wie ist das, wenn ich weiß: Morgen wird man mich mit brutalsten Mitteln zu Tode foltern? Peitschen werden meine Haut aufreißen, Nägel meine Hände durchbohren – an einem Kreuz werde ich hängen, um Atem ringen, und sehnlichst meinen Tod herbewünschen? Da ist das wohl nicht anders: Die Qualen fangen schon viel eher an, schon der Gedanke an das, was da auf mich zukommt, schnürt mir die Kehle zu.
„Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen“ Im Garten Gethsemane war das alles schon präsent in Jesu Kopf, ein Horrorfilm im Kopfkino – der Jesus schon Stunden vor der Kreuzigung das alles bereits innerlich durchleben lässt. Der Karfreitag ist schon am Donnerstag abend ganz gegenwärtig und wirft seine düsteren Schatten der Angst und Panik weit voraus.

Nur übersehen wir das bei der Erzählung vom Gründonnerstag sehr leicht, denn sie ist so vollgestellt mit vielen Personen und Szenen: Die schlafenden Jünger, die Verhaftung, das schäbige Verhalten des Judas und das verletze Ohr des Malchus, dass wir fast Jesus aus dem Blick verlieren – der dort seinen Tod bereits in dieser Stunde schon einmal durchlebt.

Wenn es zuviel ist, muss man Platz machen, muss man raus. Und genau das geschieht ja auch in der Erzählung. Im Laufe dieses bends schafft sich Jesus den Freiraum, den Abstand, den er braucht:
Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger. Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt! Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder.

Jesus braucht Abstand. Er reißt sich von den Jüngern los . Er braucht Platz und Ruhe für sich selbst.
Es gibt Zeiten und Momente, da ist die Nähe der Anderen einfach zu viel. Es ist keine Frage von Symphathie, Liebe oder Überdruss, wenn jemand erkennt: Ich brauche jetzt einfach mal Abstand.
Abstand,
keine Zuschauer,
keinen, dem ich mich mitteilen muss,
keinen, für den ich in diesem Moment Verantwortung übernehmen muss.
Frei von allem, was tagtäglich auf uns einströmt und um unsere Aufmerksamkeit wirbt. Einfach nur bei mir selbst sein – zu mir selbst kommen – und darin auch Gott zu begegnen.

Obwohl wir Menschen auf Gemeinschaft angelegt sind – und wir als Christen immer wieder betonen, wie wichtig Gemeinschaft, wie bedeutend das miteinander ist: Für so manches braucht man einfach Abstand, die Einsamkeit, die Erfahrung allein mit sich selbst konfrontiert zu sein. Einsamkeit als Freiraum, manches Wichtige genau in der Geschwindigkeit zu bedenken, die ich dafür brauche. In ein Gespräch mit sich selbst einzutreten, ein Gespräch das oft lange braucht, bis es in Gang kommt, weil mache Ebenen meiner Persönlichkeit so selten zu Wort kommen, dass sie ein bisschen länger brauchen, bis sie sich aus der Deckung wagen. Bis sie einstimmen in den Dialog, der da in mir passiert. Mit den verschiedenen Stimmen und Stimmungslagen in mir selbst, mit der Stimme meiner Lebenssituation, mit der ich womöglich zu kämpfen habe. Und mit mancher leisen Stimme, von der ich oft nicht genau weiß, woher sie,  woher mancher gedanklicher Impuls gekommen ist, ob es Gottes Stimme ist? – Wer weiß.

Jesus hat das von Beginn an geübt. 40 Tage war er in der Einsamkeit der Wüste bevor er sich von Johannes taufen ließ und seine Jünger um sich scharte.
Und auch später finden wir Erzählungen, die davon schreiben, wie sich Jesus in die Einsamkeit zurückzog.
Und schon früh haben sich in der Christenheit Strömungen gebildet, die den Rückzug in die Einsamkeit in besonderer Weise als wichtig für ihr Leben und ihren Glauben angesehen haben.

Aber zurück zu Jesus in den Garten Gethsemane.
„Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ – Selten ist mir Jesus in seinen Worten so menschlich, so nahe: Man spürt buchstäblich seine Angst, die Panik vor dem, was da an Furchtbarem auf ihn zukommt. Da ist der Sohn Gottes eben wahrer Mensch, da wird ganz deutlich, was es heißt: Gott wird Mensch – eben auch mit unseren menschlichen Ängsten und Sorgen, mit der Angst vor dem Sterben, dem Leiden und  dem Tod  – obwohl er doch auch Gott ist, der weiß, dass dies sein selbstgewählter Weg ist. Sein Weg, mit dem er endgültig dem Tod die Macht entreißen wird.
Aber um den inneren Kampf kommt Jesus nicht herum.

„Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.“ In der Einsamkeit passiert etwas. Ein Engel, ein Bote Gottes, eine Kraft vom Himmel.
Stärkung! – Kein Engelskommando, das ihn aus dieser Situation herausrettet.
Stärkung für den schweren Weg. Das ist wohl auch das, was wir uns von unseren Rückzügen und stillen Zeiten erhoffen können. Keine Lösung aller Probleme, nicht das spektakuläre Wunder – sondern Stärkung für den schweren Weg.
Auch wenn aus der Stille, dem Gebet und dem inneren Abstand durchaus wunderbare Erkenntnisse, Problemlösungen und neue Perspektiven erwachsen können – und darüber sind wir froh und dankbar! – Jesus in Gethsemane lehrt uns, dass es auch Wege gibt, die gegangen werden müssen – und dass wir da froh sein können, wenn wir für diesem Weg Stärkung erhalten.

Auf dem Altar stehen Brot und Saft.
Das Abendmahl versteht sich auch als Mahl der Stärkung auf dem Weg.
– Eine Erinnerung an Jesu Weg, den er für uns gegangen ist.
– Eine Vergewisserung in der Gegenwart. Dass ich nicht alleine bin: Ich stehe im Kreis derer, die mit mir auf dem Weg des Glaubens unterwegs sind.
– Und auch ein Blick nach vorne: Ein Mahl, von dem Jesus sagt: Das will ich später mit euch in meinem himmlischen Reich feiern.

So wollen wir heute in Erinnerung an Jesu letztes Abendmahl mit seinen Jünger dieses besondere Mahl feiern.
Amen

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