Predigt: Wenn Gott seine Leiter herablässt (1. Mose 28, 10-19 ) 16. September 2001

Liebe Gemeinde,
Jakob und Esau – Sie kennen die beiden der sicher aus dem Alten Testament. – Zwillinge waren sie, aber unterschiedlich, wie man sie sich nur vorstellen konnte. Esau, der robuste Naturbursche mit dem rötlichen Haaren – der ganze Stolz seines Vaters; und Jakob, der Stubenhocker und Muttis Liebling.
Die meisten von Ihnen kennen diese Geschichte ja schon aus der Schulzeit: Jakob, der später geborene der beiden erweist sich als der gewieftere. Es wurmt ihn, dass  wegen der wenigen Minuten, sie sein Bruder eher geboren wurde, der Andere das Erbe des Vaters antreten soll. Er will nicht zu kurz kommen und entwickelt einen Plan, wie er seinem Bruder zuvorkommen kann.
Der große Bruder Esau tappt auch tatsächlich in die Falle und verkauft dem Jakob sein wertvolles Erstgeburtsrecht. Für nicht mehr als ein Linsengericht. Und dann schleicht sich Jakob geschickt verkleidet zu seinem fast blinden Vater und holt sich den einmaligen Erstgeburtssegen.

Unglaublich unverfroren diese Aktion, aber ungeheuer erfolgreich. Damit hatte er seinen Bruder ausgebootet – Vorsprung durch Technik.
Aber hat es ihm wirklich etwas gebracht? Tauchen wir kurz einmal ein, in die Geschichte. Ein paar Tage nach Jakobs Geniestreich…

Als sich Jakob an jenem Abend schlafen legen wollte, horchte er erst einige Minuten in die Stille der Nacht hinein. Er wollte sichergehen, dass kein Mensch in der Nähe war. Vor allem nicht sein Bruder Esau.
Vor ihm war er auf der Flucht. Esau hatte sich mit diesem Betrug seines Bruders nicht abgefunden. Seine Lebenspläne waren dadurch durchkreuzt, er wollte Rache. Seinen eigenen Bruder würde er umbringen, wenn wir ihn erwischen würde. Darum war Jakob auf der Flucht. Seine Mutter hatte ihnen noch rechtzeitig gewarnt, er wollte weg nach Haran, in die Heimat der Vorfahren.

Zum Schlafen legte er sich mit den Kopf dicht an einen Stein, so fühlte er sich ein wenig sicherer. Bevor er einschlief zogen noch Bilder vor seinen Augen vorbei: Seine Eltern, die er liebte. Vor allem seine Mutter, ihn immer verwöhnt hatte. Seine Ziegenherde. Auch sein Bruder, den er ja auch mochte … aber jetzt war alles ganz anders. Die Idylle war zerstört – durch seine eigene Rücksichtslosigkeit. Hätte er nur einmal richtig nachgedacht – an die anderen gedacht uns nicht nur an sich selbst.
Aber jetzt war alles zu spät.

Ich lese den Predigttext aus dem 28 Kapitel im ersten Buch Mose.

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und  du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht!
Und er fürchtete sich und sprach: Wie  heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.
Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goß Öl oben darauf
und nannte die Stätte Bethel. –

Liebe Gollhöfer,

Da soll einer Gott verstehen…
Diese Geschichte hat eine Hälfte, bei der ich gerade in dieser Woche ganz heftig nicke:
Sie zeigt mir einen Gott, der den Menschen nahe ist, die vor den Trümmern ihre Existenz stehen. Die nicht mehr aus noch ein wissen. Die nur noch von heute auf morgen denken können, weil sie sich von ihrer Zukunft gar kein Bild mehr machen können.

Wie gut, wenn dieser himmlische Vater ganz schnell seine himmlische Leiter herunterlässt, so wie bei Jakob. Und dann hoffe ich auch, dass er seine Leiter in Manhattan und Washington auf die Erde stellt. Dadurch den Menschen nahe ist, sie tröstet, Hoffnung macht und auch Wunder sehen lässt.
Und vielleicht gerade deshalb, weil ich selber so hilflos gegenüber der Katastrophe in den USA dastehe, hoffe ich es: Dass so mancher doch diese Stimme von oben hört, die sagt: „Siehe, bin mit dir und will dich behüten.“

Im Falle Jakob runzle ich aber auch ein bisschen die Stirn. Denn schließlich hat Jakob sich das alles selber eingebrockt. Natürlich, seine Mutter hat ihn mächtig verzogen und ihn vielleicht auch auf diese dumme Idee mit dem Betrug gebracht. Letztlich ist er doch selber verantwortlich für sein Verhalten. Warum bekommt er dann einfach so Gottes Unterstützung? Warum spricht Gott zu ihm so gute Worte, so eine große Verheißung, statt ihn zu verfluchen?

Zwei Antworten kann ich Ihnen anbieten:
Antwort Nr. 1: Gott schaut eben zuallererst auf das, was wir benötigen statt auf das, was wir verdient haben. So etwas nennt der Fachmann Gnade.

Antwort Nr. 2: Die zweite Antwort ist der Fortgang der Geschichte vom Jakob:

Als er die Augen aufmachte, war sie weg, die Leiter. “ War das wirklich – oder war das nur ein Traum gewesen, dass Gott mit ihm gesprochen hatte?“ Angestrengt versucht Jakob sich zu erinnern. Die Leiter bis in den Himmel, war sie wirklich dagewesen? Abdrücke im Sand sah er jedenfalls keine.

Er setzt sich auf und lehnte sich mit den Rücken an diesem Stein an dem er Schutz gesucht hatte. Ganz langsam geht er seine Erinnerungen durch. Sortiert sie – und merkt: diese Verheißung, die er da gehört hatte unterscheidet sich von seinen jugendlichen Fantasien wegen derer er Esau betrogen hatte.
Nachkommen und Zukunft hat Gott ihm in dieser Nacht versprochen. Andere sollen durch ihn gesegnet sein und Gott will ihn nie verlassen. Das hat eine andere Qualität als Jakobs Wünsche nach Reichtum und Ansehen.
Ganz allmählich wird sich Jakob bewußt: Das war Gottes Stimme, er hat seine Leiter zu ihm herabgelassen um sein Leben neu zu sortieren. Und auch um an seiner Seite zu bleiben.

Liebe Gemeinde,
die Verheißung, die Gott dem Jakob in dieser Nacht gemacht hatte, war nicht einfach eine Bestätigung: „Mein Lieber, alles war bisher in Ordnung, mach weiter so, dann wirst du seine Ziele schon erreichen“.
An diesem Stein hat Gott ihm seine Hilfe, seinen Segen zugesagt, aber hat ihm auch deutlich eine Richtung gewiesen:
– Ja, durch dich werde ich meine Verheißung an deinen Vater Jakob verwirklichen. Meine Verheißung; aber nicht unbedingt deine eigensinnigen Pläne.
– Ja, ich werde bei dir sein und dich behüten, und weil ich dir helfe, brauchst du auch keine krummen Dinger drehen.

Für Jakob war diese Begegnung mit Gott ein Meilenstein in seinem Leben. So wichtig war ihm diese Begegnung, dass er diesen Stein zu einem Steinmal aufrichtet und als Zeichen für seine religiöse Bedeutung mit Salböl begießt: Hier hat Gott meinem Leben eine neue Richtung gegeben. Hier ist Gott mir begegnet, darum nenne ich diesen Ort Beth-El: Haus Gottes.

Jakobs Leben verändert sich. Nicht komplett, aber in vielen Kleinigkeiten.
Auch wenn Gott ihm gesagt hat, „ich bin mit dir, ich will dich behüten“, ist bei ihm nicht alles glatt gelaufen. Schon bei der nächsten Station seines Lebens wird er von seinem Schwiegervater böse ausgeschmiert. Wurde selber einmal Opfer eines Betrugs.
Seine Familie wuchs, sein Wohlstand auch.
Es kam der Tag, an dem er seinen Bruder wieder gegenüber stand; er erfuhr, wie wertvoll es sein kann, Vergebung zu erfahren, sich wieder die Hand zu reichen, zu umarmen.
Er kehrte zurück in das Land seines Vaters, das Land, das Gott ihm und seinen Nachkommen geben wollte.
Auch danach kamen Zeiten, in denen alles wieder auf dem Spiel stand. Aber letztlich zeigte Gott, dass er zu seiner Verheißung stand.

Segen bedeutete für Jakob nicht, dass ihm alles in den Schoß fiel.
Gottes Segen sah man darin,
~ dass Gott ihm auf seinem Weg begleitete.
~ dass Gott ihm aufhalf, wenn er am Boden lag,
~ dass Gott ihm wieder auf den richtigen Weg zurückhalf.
– Pause –

Viele Jahre später, als alter Mann, kam Jakob noch einmal zurück nach Bethel. Zu dieser Stelle, an der er im Traum die Himmelsleiter gesehen hatte.
Und als es dunkel wurde, blickte er sich nicht mehr ängstlich um wie damals, als er vor Esau geflohen war. Vielmehr blickte er im Gedanken zurück auf sein Leben. Dabei entdeckte er immer mehr Punkte, an denen er Gottes Nähe gespürt hatte. Merkte, wie Gott ihn einen guten Weg geführt hatte – auch durch so manches dunkle Tal hindurch.

Und als ihm die Augen zufielen, hörte er die Stimme Gottes – wie zur Bestätigung: Jakob, aus dir wird ein großes Volk hervorgehen, Israel werdet ihr heißen. –
So wie ich es versprochen habe.  Auf mein Wort kannst du vertrauen.

Amen

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