Themen-Predigt „Vergiss die Gastfreundschaft nicht“ (Hebräer 13,2) zum Monatsspruch Juni 2018, 10. Juni 2018

Die Predigt zum Monatsspruch für Juni 2018 lässt den Blick über das biblische Thema Gastfreundschaft schweifen, mit Begegnungen die manchmal mehr sind als nur mit-menschlich.

Liebe Gemeinde,
ein Satz ist es, um den es heute in der Predigt geht: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.” (Hebräer 13,2) – Er ist zugleich der Monatsspruch für diesen Juni.
„Gastfrei” schreibt Luther – und meint damit wohl, offen zu sein gegenüber Gästen und Fremden. Das Wort, das in unserer griechisch verfassten Bibel steht, ist „xenophilia”, also die Freundlichkeit und Liebe gegenüber dem Fremden – also dem gegenüber, der eigentlich nicht bei mir daheim ist. Wir übersetzen das heute meist mit Gastfreundschaft.

So ein bisschen irritiert mich dieser Satz in der Bibel. Warum musste man sich damals gegenseitig ermahnen, gastfreundlich zu sein? Denn in meiner Vorstellung war im damaligen Orient die Gastfreundschaft etwas Selbstverständliches. Überall hört man davon; bis heute wissen Leute von der großen Gastfreundschaft im bestimmten Ländern zu berichten. So ein bisschen vermute ich auch, dass die Gastfreundschaft über Jahrhunderte eine notwendige gesellschaftliche Überlebensstrategie war: Was macht ein Wanderer in einem unwirtlichen Gebiet in den Wüstenregionen Israels, wenn ihn keiner aufnimmt, ihm Wasser und etwas zu Essen gibt? Weit und breit kein Imbiss, kein Gasthaus – irgendwo liegen ein paar von der Sonne ausgebleichte Rinder-Skelette. Der hat ja keine Chance.
Also erscheint mir für die damalige Zeit Gastfreundschaft als eine wichtige Tradition, die man gerne anbietet und über die man heilfroh ist, wenn man sie einmal selbst benötigt und angeboten bekommt.

Aber vielleicht male ich mir das auch ein bisschen arg romantisch-rosa aus. Denn unser Bibelvers setzt sich ja recht energisch dafür ein, dass man Gastfreundschaft ausübt: „Gastfrei zu sein vergesst nicht” – das ist ja eine klare Mahung. Und weil wir Menschen auf Ermahnungen manchmal etwas störrisch bis allergisch reagieren, legt der Hebräerbrief noch nach: „denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.” – Sie merken: Da wird auch ein bisschen geworben!

Mensch, das wäre doch etwas, wenn du da jemanden bei dir aufnimmst. Für einen Abend, für ein paar Tage. Du kennst ihn kaum, und es passiert auch nichts Spektakuläres. Gute Gespräche, vielleicht in paar Irritationen, weil der Andere eben anders tickt … ja und dann, wenn er wieder weg ist, dann merkst du: Irgendwie war das schon eine besondere Begegnung. Manche Gesprächsfetzen gehen dir noch im Kopf rum. Dein Horizont wurde erweitert, mehr als du dir das gedacht hättest. Der Gast hat nichts zurückgelassen, aber doch ist da etwas geblieben. Ein Gefühl der Verbundenheit, der Eindruck durch diese Begegnung beschenkt worden zu sein.

Ist das damit gemeint? Mit dem Besuch der Engel? Ich kann mir das durchaus vorstellen.
Darüber hinaus finden wir in der Bibel einige Male ganz besondere Situationen der Gastfreundschaft. Abraham und Sara zum Beispiel. Drei Männer besuchen dieses Paar, das seit Jahren vergeblich verzweifelt auf Nachwuchs wartet. Und es wird erzählt wie diese drei von Abraham großzügig bewirtet werden. Und beim Lesen stolpert man darüber, dass davon die Rede ist, dass Gott in diesen Gesprächen vor dem Zelt des Abraham mitredet, und ihnen die Geburt des langersehnten Sohns ankündigt. Und wenig später wurde diese Ankündigung wahr. Gespräche, die mehr sind, als das, was sie auf dem ersten Blick waren. Weil sich in dieser Begegnung mit dem Fremden neue Horizonte eröffnet haben. Neue Lebensperspektiven kamen hinzu – man fasste Mut zu Veränderungen …
Wer weiß, was gewesen wäre, wenn Abraham die drei Männer abgewiesen hätte? Hätte es eine zweite Chance gegeben? Wir wissen es nicht.

Gott und Engel zu Besuch?
Dieser Gedanke zieht sich durch die Bibel hindurch bis in das Neue Testament. Ich denke an Jesu Worte: (Mt 25) “Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen” – und die Angesprochenen können sich nicht erinnern, ihn je zu Gast gehabt zu haben – und er antwortet: “Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.”

Gastfreundschaft – liebe Gemeinde, das ist mehr als eine freundliche, mitmenschliche Geste oder eine soziale Verpflichtung. Das hat viel damit zu tun, wie wir uns selbst verstehen, wie wir unseren Glauben deuten. Wenn jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist, ein von ihm geliebtes Geschöpf, dann gehört die Offenheit ihm gegenüber zum Glauben dazu. Dann ist Gastfreundschaft, wie die Nächsten- und Feindesliebe, eine grundlegende Aufgabe für uns Christen.

Eigentlich!
Denn schon in biblischen Zeiten war das nicht immer so einfach. Da hat man sich offenbar auch hie und da schwer getan. Man erkennt es daran, dass an einigen Stellen die Christen entsprechend ermahnt werden. Von Petrus bis Paulus: Alle erinnern daran, wie wichtig es ist, Gastfreundschaft zu pflegen. Offenbar klappte das nicht immer.

Wen wunderts? Uns geht es ja oft nicht anders.
Das fängt schon im Kleinen an. Da steht jemand, den ich kenne, in der Türe. Er will nur kurz was besprechen. Da fällt mir ein: Die Wohnung ist unaufgeräumt, überall liegt was rum. Der Esszimmertisch – also da, wo man sich jetzt schnell mal zusammensetzen könnte – stapeln sich grade alte Zeitungen und ein halb geöffnetes Paket, das die Post vorhin gebracht hat. Außerdem habe ich in 15 Minuten wieder einen Termin. Mist – also bitte ich den Gast nicht herein, sondern fertige ihn an der Türe ab.
Noch tiefer sitzt die Angst, dass Gastfreundschaft missbraucht wird. Wenn da einer mit einem Zettel “suche Arbeit im Garten” vor der Türe steht. Da meint man es gut – aber nach einer Stunde kommt der Capo und verlangt 100 Euro für eine Stunde Rasenmähen.

Gastfreundschaft hat es nicht leicht. Manchmal muss man sich einen Ruck geben. Offen zu sein, für die Fremden, wie auch für die nicht ganz so Fremden. Denn heutzutage ist manchmal der eigene Nachbar schon gefühlt vom anderen Planeten.

„Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.”

“Vergiss die Gastfreundschaft nicht” sagt meine Bibel. Und manche Gastfreundschaft vergesse ich wirklich nicht. Nämlich die, dir mir selbst widerfahren ist.
Da kommst du in ein Haus, willst eigentlich nur deine Tochter, abholen, die dort zum Kindergeburtstag war. Da bugsiert man dich in die Küche, mit einer Bewegung wird der ganze Krempel auf dem Tisch zusammengeschoben, dass Platz wird, für zwei Gläser … “ich hab da grad einen Silvaner offen … vom Kindergeburtstag ist noch ein Eckchen Pizza übrig.” Da kommt der Mann des Hauses rein, man redet von den Kindern, von beruflichen Sorgen, weil sein überstandener Schlaganfall manches mühsam macht.
Eine halbe Stunde, die allen gut getan hat.
Gastfreundschaft.
Einander wahrnehmen und ernstnehmen.
Nähe spüren – Nähe, die keinen langen Anlauf braucht, weil die offene Haustür noch so viel mehr geöffnet hat.

“Vergiss die Gastfreundschaft nicht” – ja, das wäre wirklich schade, wenn wir die vergessen würden.

Amen

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