„Heiligung“ – Ein Begriff, der – so schön er klingen mag, uns auch immer wieder überfordert. Die Geschichte von Michel aus Lönneberga ist da ein erster Schritt zur Entkrampfung.
Michel, der kleine Heilige aus Lönneberga
Der kleine Michel Svensson aus Lönneberga bekommt von seiner Mutter einen Eimer voller weicher Kirschen mit dem Auftrag, diese auf dem Komposthaufen zu vergraben. Was er nicht weiß: Sie sind die Abfallprodukte von Mutters Kirschwein-Produktion und darum natürlich auch ein recht hochprozentiger Brei. Michel schaut sich die Kirschen an, wundert sich, dass man sie so einfach wegwerfen soll und nascht davon. Er findet Gefallen daran und füttert damit die Hühner, das Hausschwein und auch sich selber. Bis schließlich alle besoffen durch den Katthult-Hof kugeln.
Die meisten wissen, wie diese Geschichte von Astrid Lindgren weitergeht: Michels Vater kommt der ganzen Sache auf die Schliche und nimmt seinen Sohn mit zu einer Versammlung der Guttempler, wo er einen heiligen Eid schwört, sich in Zukunft des Alkohols zu enthalten und alles dazu zu tun, andere vor den Gefahren des Alkohols zu bewahren. Als geläuterter Mensch macht er sich zu Hause dann daran, Mamas frischen Kirschwein-Vorrat Flasche für Flasche zu zerdeppern …. schließlich hat er ja geschworen, die Menschen vor dem Alkohol zu bewahren.
Paulus rückt uns auf die Pelle
Liebe Gemeinde,
ist er nicht süß, unser Michel als Lönneberga, ein kleiner Heiliger ist er geworden, setzt sich für eine gute und nüchterne Welt ein. Ich finde das toll!
Zumindest solange er sicher zwischen den Buchdeckeln des Kinderromans bleibt. Anders s ähe es aus, wenn er tatsächlich hier erscheinen würde, runter in unseren Keller stapft und unseren gepflegten Weinvorrat in einen Scherbenhaufen verwandeln würde. Dann wäre Schluss mit lustig. „Heiliges Leben, großartige Vorsätze, das ist schon ok, aber bitte Abstand halten. Man muss es ja nicht übertreiben”
Schön wäre es, wenn wir auch unseren Predigttext sicher zwischen den Buchdeckeln unserer Bibel wegsperren könnten. Denn Paulus rückt uns Menschen nämlich mindestens genauso auf die Pelle, wie der Michel aus Lönneberga. Und er macht nicht im Weinkeller halt, sondern schaut sogar bei uns im Schlafzimmer vorbei und wirft einen Blick in die Geschäftsbücher und Kontoauszüge.
Ich lese ihnen einmal vor, was Paulus hier der Gemeinde in Thessalonich schreibt:
[1] Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet. [2] Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. [3] Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht [4] und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, [5] nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. [6] Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. [7] Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. [8] Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt. (1. Thessalonicher 4, 1-8)
Der Krampf mit dem Begriff der Heiligung
Heiligung – dieses altertümliche Wort verwendet Paulus immer wieder in diesen Zeilen. Das gibts in unserem Sprachgebrauch so gut wie gar nicht mehr. Es wirkt antiquiert und überholt. Also hätten wir guten Grund, alles, was damit verbunden ist, wieder zurückzuscheuchen zwischen die beiden Buchdeckel der Bibel: „Ist von damals, war ja für die Thessalonicher geschrieben, hat ja nichts mit uns zu tun.” Buchklappe zu, Paulus tot, und schon habe ich wieder meine Ruhe:
Niemand redet mir rein, in meinen Weinkeller, in mein Schlafzimmer, in mein Geschäftsgebaren, in meinen Umgang mit der Schöpfung, in meine Konflikte mit meinen Geschwistern, in meinen Raubbau an der eigenen Gesundheit, in meine Erziehungsmethoden …. oder wo sonst noch dieser Paulus irgendwelche Forderungen angemeldet hätte.
Aber damit machen wir es uns dann zu leicht. Natürlich, mit dem Begriff Heiligung tun wir uns nicht leicht, weil er unglaublich anspruchsvoll, möglicherweise weltfremd klingt; und der begriffliche Weg vom Heiligen zu Scheinheiligen bietet sich ja förmlich an, und dann ist das Thema gänzlich vorbei.
Ist das Zufall? Dass man sich dem Thema kaum nähern kann, ohne mit einem der Extreme zusammenzustoßen:
Entweder absolut unantastbare „Heilige”, imposante Persönlichkeiten, im Vergleich zu denen ich mir absolut mickrig vorkomme und gar nicht erst versuchen brauche, mir eine Scheibe abzuschneiden.
Oder die „Scheinheiligen”, die fromm tun aber in Wirklichkeit mehr Abgr ünde und Dreck am Stecken haben, als man selbst. Richtiggehende Anti-Typen, mit denen man nichts zu tun haben möchte.
Leben, wie es dem Glauben entspricht
Liebe Gemeinde,
vielleicht tun wir uns leichter, wenn wir den alten Begriff „Heiligung” übersetzen in Worte, die alle verstehen, und die nicht förmlich dazu einladen missverstanden zu werden. Denn die Sache ist ja eigentlich ganz einfach. Paulus sagt: Denkt daran, euer Leben so zu führen, dass es eurem christlichen Glauben entspricht. – Fertig. So einfach ist das.
Oder besser gesagt: Ab jetzt wirds anstrengend.
Denn: „Einfach” habe ich es, wenn ich das Thema wegen eines altertümlichen Begriffs vom Tisch wischen kann. Dann ist Ruhe und ich kann machen, was ich will.
Aber wenn in klaren modernen Begriffen gesagt wird: „Es gehört zum Christsein dazu, dass ich mein Leben in allen Bereichen so führen will wie es dem Glauben entspricht.” Dann ist das eine echte Herausforderung, weil ich dann nichts ausklammern oder wegwischen kann:
Alles muss auf den Prüfstand und muss sich die Frage gefallen lassen:
Ist das, was du da tust im Einklang mit dem christlichen Glauben?
Entspricht dein Liebesleben der Botschaft der Nächstenliebe, die zuallererst die Bedürfnisse des Anderen im Blick hat?
Wenn du auf deinen Kontoauszug schaust, fühlst du den reichen Kornbauern des Gleichnisses Jesu in dir, der sich selbstzufrieden zurücklehnt und sagt, jawoll ich habe ausgesorgt, mein Geld ist mein Glück?
Wenn du in deinen Terminkalender schaust, müsstest du Gottes Einladung auch ablehnen, wie im Gleichnis vom großen Abendmahl, wo einer der Gäste sagt: Bedaure ich kann nicht kommen, ich habe dies und jenes gekauft, das muss ich jetzt erstmal besehen, ich kann leider nicht kommen, bitte entschuldige mich.
Wenn du deinen Streit mit Nachbarn, Geschwistern und Kollegen betrachtest, musst du dann beim Vaterunser die Luft anhalten, wenn es heißt „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern”, weil du denen nicht so einfach vergeben willst, aber doch gerne Gottes Vergebung in Anspruch nehmen würdest?
Über-Forderung und Vergebung
Liebe Gemeinde,
diese Liste könnte man jetzt locker um ein paar Dutzend Punkte erweitern. Einen Lebensbereich nach dem anderen dahingehend abklopfen, ob wir hier dem Glauben, Jesu Liebesgebot und den Geboten Gottes entsprechend handeln.
Es gibt ja keinen Bereich, den man von Gottes Anspruch ausnehmen könnte.
Und irgendwo hat da wohl jeder seinen wunden Punkt.
Und ich hoffe, Sie sind selbstkritisch genug, dass Ihnen inzwischen auch mancher Punkt eingefallen ist, wós bei Ihnen manchmal hakt. Das sind ja oft auch Bereiche oder Themen, wo man schon länger mit sich und seinen Gott am kämpfen ist.
Klar: Die Forderung des Paulus Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung ist ganz klar eine Über-Forderung. Das werden wir nie perfekt hinbekommen, und auch Paulus gibt an anderer Stelle offen zu, das er auch immer wieder dran scheitert.
Aber er winkt jetzt nicht mit der Vergebung für unsere Sünden, denn das wissen wir ja sowieso alle, sondern er will motivieren.
Er gibt nicht auf, danach zu streben, sein Leben im Einklang mit seinem Glauben zu gestalten. Ihm ist wichtig: Nicht aufgeben, weil man es nicht schafft; sondern: Weiterversuchen, weil man es noch nicht geschafft hat.
Da finde ich Pauluś Einleitung zum Predigttext wunderschön. Weil er da nicht mit der Forderungskeule kommt, sondern wie ein Trainer sagt:
Liebe Mitchristen von Thessalonich (oder von Gollhofen): Wir wollen euch dran erinnern: Gebt nicht auf, und versucht so zu leben, wie es dem Herrn Jesus entspricht. Wir wissen, ihr macht das schon gut, sehr gut sogar; aber bleibt dran, ihr werdet es sicher noch besser hinbekommen.
Schöner als Paulus kann mańs gar nicht formulieren, drum sage ich:
Amen