Predigt: Wie groß muß der Glaube sein, damit Wunder geschehen? (Markus 9, 17-27 ) 26. September 1999

Liebe Gemeinde,

in der letzten Woche starb Raissa Gorbatschowa, die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten der UDSSR, Michail Gorbatschow. Sie war schon länger an Leukämie erkrankt, nun in Deutschland in Behandlung. Ihr Mann, war an ihrer Seite. Der einst mächtigste Mann der Sowjetunion, der mit Perestroika und Glasnost Weltgeschichte geschrieben hat, war hier machtlos, wie jeder Andere. In dieser Zeit des Bangens und Hoffens sagte er in einem Interview: „vielleicht wird uns auch der Herrgott nicht vergessen. In solchen Fällen fängt man an, auch über Gott nachzudenken.“ – Soweit das ZitatDer einstige Führer eines Staates, für den Religion als „Opium fürs Volk“ angesehen und bekämpft wurde, fragt in dieser Situation nach Gott. – ganz leise nur.

Kein großes Bekenntnis, kein bergeversetzender Glaube kommt hier zum Vorschein. Eher nur ein Hauch von Glaube, ein bisschen Hoffnung auf Gott.

„Vielleicht wird uns auch der Herrgott nicht vergessen…“

Reicht das?

– Wie groß muss er denn sein, der Glaube, damit ein Wunder geschieht?

– Wie klein darf er den sein, damit es noch „Glaube“ ist?

Diese Frage möchte ich dem heutigen Predigttext stellen. Einer Wundergeschichte aus dem Markusevangelium, im 9. Kapitel.

Einer aus der Menge antwortete: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, daß sie ihn austreiben sollen, und sie konnten’s nicht. Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riß er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist’s, daß ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, daß er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.
Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! Als nun Jesus sah, daß das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! Da schrie er und riß ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, so daß die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.

Liebe Gemeinde,

eine wuchtige Geschichte, in der viel passiert.

Ich sehe ein Kind, das ist krank, mit einer Krankheit, die die Eltern in die Verzweiflung treibt. Der Sohn ist besessen von einem sprachlosen Geist, der ihn immer wieder anfallartig niederwirft. So beschreibt es der Vater. Der war bei den Jüngern Jesu, sie sollten das Kind heilen, und haben es auch versucht. Aber vergeblich. Und Jesus scheint den Grund zu kennen: „Ungläubiges Geschlecht“ beschimpft er seine Anhänger. Ihnen fehlt der Glaube, um das Kind zu heilen. Ohne Glaube geht nichts.

Ich sehe einen Vater, der verzweifelt Jesus anfleht: „Wenn du was kannst, dann hilf uns“. „Wenn du was kannst“. Sprücheklopfer, dubiose Heiler hat der Vater schon zu oft erlebt. Sein Vertrauen ist erschüttert. Die Begegnung mit den unfähigen Jüngern hat ihr übriges getan. Und als Jesus ihm zum Glauben aufruft, schreit er unter Tränen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Ein scheinbar widersprüchlicher Satz. – Wie viel Glaube steckt wohl in einem solchem Schrei?

Im Konfirmandenkurs habe ich danach gefragt. Eine Konfirmandin zog leicht die Nase hoch, zögerte und sagte „nicht viel, oder?“ –

Reicht so viel Glaube für ein Wunder?

Jesus zeichnet verantwortlich für den bekanntesten Satz der ganzen Erzählung: „alle Dinge sind möglich dem, der glaubt“. Eine vollmundige Versprechung. Alles soll möglich sein, wenn man nur glaubt! – Aber Jesus verspricht es nicht nur, er gibt nicht nur die Parole aus, nein – er steht auch selber dafür ein: Er heilt das Kind. Jesus befiehlt dem Geist – der Macht, die das Kind quält – er befiehlt der Krankheit, den Jungen zu verlassen. — Und es geschieht.

So einen Glauben möchte ich haben. Das wäre es! Ein Glaubensheld zu sein, der alles kann. Ein vollmächtiger Gottesknecht. Zu kleinen und großen Wundern fähig; mit einem Glauben der alles zu verändern mag.

Ich habe gefragt: Wie groß muß der Glaube sein, damit Wunder geschehen.Und was habe ich dieser Wundererzählung gesehen?

– Einen Jesus der sagt „alle Dinge sind möglich dem, der glaubt“, und sich darüber ausschweigt, oder Glaube groß oder klein sein darf.

– Jünger habe ich gesehen, denen der Glaube fehlte. „Un-gläubig“ hat Jesus sie genannt.

– Und diesen Vater, der sein letztes bisschen Glaube zusammenkratzt, das grade ausreicht zu einem „ich glaube, hilf meinem Unglauben“.

— und das Wunder ist geschehen…

Vielleicht habe ich falsch gefragt. Geht es etwa gar nicht um „viel“ oder „wenig“ Glauben?

Was ist denn „Glaube“ eigentlich?

Ich möchte ihn einmal so beschreiben: Er hat wenig mit dem KOPF zu tun, viel mit dem HERZEN, und sehr viel mit den FÜßEN:

– Worauf stehe ich?

– Was ist das Fundament meines Lebens?

– Ist Gott der Grund meines Lebens?

Glaube heißt für mich: Ich baue mein Leben auf Gott, weiß mich in seiner Hand und erwarte, dass letztlich von ihm kommt, was ich zum Leben brauche.

Wer glaubt, der gründet sein Leben auf Gottes guten Willen für ihn.

Wer glaubt hat darum eine offene Tür in seinem Leben, durch die Gott in sein Leben tritt und es verändern kann.

Wo ein Mensch diese offene Tür für Gott hat, durch die der Allmächtige eintreten darf, da sind dann auch alle Dinge möglich. – So verstehe ich diesen Satz Jesu: „alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“ – Wo Gott im Spiel ist, da ist eben nichts unmöglich.

Vielleicht sind die Jünger Jesu mit ihren Heilungsversuchen gescheitert, weil sie diese offene Tür zu Gott verschlossen hatten. Wollten sie im Vertrauen auf eigene Vollmacht den Jungen heilen? Immerhin sind sie ja Jesu ausgewählte Jüngerschar. Haben sie vergessen: Nicht die Glaubenshelden vollbringen die Heilung, sondern Gott selber.

Wie ist das mit dem Vater, hat er den Glauben, der den Jüngern fehlt? Er ist verzweifelt, am Ende, hat fast keine Hoffnung mehr. Er wirft sich Jesus fast förmlich an die Brust und schreit: „Wenn du was kannst, dann erbarme dich und hilf uns“.

Das ist ein anderer Text als „so nimm denn meine Hände“. Da spricht kein Glaubensheld, sondern einer der sich an Jesus als letzten Strohhalm klammert. Und gerade darin steht seine Tür für Gottes Handeln sperrangelweit offen.

Es ist paradox: Der Glaube, der nach Jesu Worten alles möglich macht ist keine Leistung. Es ist ein „sich klammern an Gott“. -„ Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ bringt das auf den Punkt.

Tatsächlich: Das Unvorstellbare wird wahr: Das Kind des Mannes wird von dem Dämon befreit.

Es ist für uns heute schwierig, von Dämonen zu sprechen. In medizinischen Begriffen fassen wir die Krankheit des Kindes heute wohl unter Epilepsie. Für uns eine Krankheit mit medizinischen Ursachen.

Aber ich möchte diesen antiken Begriff nicht einfach beiseite legen. Dämonisch – das heißt: hier ist etwas bedrohlich, unheimlich, außerhalb meiner Macht.

– Die Krebskrankheit von Raissa Gorbatschowa war für sie und ihren Mann sicherlich eine bedrohliche Macht, die nach ihrem Leben griff.

– Eltern erleben die Epilepsiekrankheit ihres Kindes manchmal auch als „dämonisch“: Die Angst vor einem neuen Anfall – man weiß nie, wann er kommt, man ist hilflos.

– Für mich haben mache gesellschaftlichen Entwicklungen auch etwas dämonisches: „Soziale Kälte“- immer mehr Menschen und Unternehmen sind nicht mehr bereit, auf andere Rücksicht zu nehmen. Das läßt mich erschaudern. Und ich weiß: ich kann da nur machtlos zuschauen.

Hilft Gott hier? Werden Krebskranke und Epileptiker gesund, wenn sie auf Gott ihre ganze Hoffnung setzen? Wird die soziale Kälte gebannt, wenn ich auf Gott vertraue?

Ich kann es ihnen nicht in die Hand versprechen.

Aber noch weniger ist es mir möglich „nein“ zu sagen.

Vielleicht kennen sie selbst Erzählungen von Wundern, von Heilungen, mit denen niemand gerechnet hat. Es gibt sie.

Manchmal steht davon in der Zeitung.

In denke aber, viele Wunder geschehen im Verborgenen: Da ist die Frau, die schwerkrank in ihrem Klinikbett Gott um Hilfe anfleht – und sie wird gesund. Für sie ist es ein Wunder Gottes. Aber sie wagt es nicht, ihren Freunden zu sagen. Denn sie ahnt deren Antwort: „das haben die Ärzte doch toll hingekriegt, das hätte keiner gedacht“.

Wunder haben nicht immer ein Etikett mit dem Schriftzug Sensation darauf.

Wo Gott durch die offene Tür den Glaubens in ein Leben tritt, da ist alles möglich – auch, dass man krank bleibt. Wir können kein Wunder durch unseren Glauben bewirken. Es ist Gottes Geschenk.

Eltern sitzen betend vor den Betten ihrer leukämiekranken Kinder und – kein Wunder geschieht. Das ist eine Erfahrung, die auch glaubende Christen erleben müssen.

Vielleicht … gibt es noch eine andere Form von Heilung durch den Glauben. Denn Glaube heißt: Ich weiß mich in Gottes Hand. Vielleicht kann ich mich in dieser Hand Gottes geborgen fühlen, selbst wenn ich nicht gesund werde.

~ Vielleicht gewinne ich eine neue Sicht meiner Situation, wenn ich mich an Gott klammere.

~ Vielleicht tröstet mich dieser Gedanke der Nähe Gottes.

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ so lautet unser Wochenspruch.

Dieser Glaube ist nicht der der unerschütterlichen Glaubenshelden,

es ist der Glaube, der seine Hoffnung auf Gott richtet. Und sei diese Hoffnung mit noch so zittriger und schwacher Stimme geäußert.

Dieser Glaube hält die Tür offen für Gottes Handeln, das unser Leben heil machen will.

Er kann uns heil machen, indem er uns Lasten abnimmt,

oder indem er uns Kraft gibt sie zu ertragen.

Amen

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