Predigt: Paulus und meine Aktien beim lieben Gott (Galater 5, 1-6) 5. November 2000, Reformationstag

Liebe Gemeinde,

Er sitzt noch immer an seinem Schreibtisch. Es ist inzwischen dunkel geworden. Zwei Öllampen spenden eher schlecht als recht einen schwachen Schimmer. In seiner rechten Hand die Schreibfeder. Die Tinte an ihrer Spitze ist schon wieder eingetrocknet.
Paulus, der Apostel, grübelt schwermütig: Warum? Warum lassen sie sich nur so leicht von anderen Leuten im Glauben irre machen? Damals, als er die Christen in Galatien verließ, hatte er ein gutes Gefühl gehabt. Diese Frauen und Männer in Kleinasien hatten verstanden, worum es beim christlichen Glauben ging. Sie hatten sich taufen lassen. Einige besonders Fähige unter ihnen hatte er gebeten, als Gemeindeälteste für die Einheit der Gemeinde zu sorgen, und das Evangelium weiter zu verkündigen. So hatte er es bei fast allen seiner neu gegründeten Gemeinden gemacht.

Was dann passiert ist, das hätte er sich in seinen verrücktesten Phantasien nicht vorgestellt. Und wenn nicht einer der Gemeindeleiter, Simon, zu ihm nach Ephesus gekommen wäre, hätte er nie etwas davon erfahren. Jedesmal, wenn Paulus daran denkt, ballt er seine Hände: Als hätten sie darauf gewartet, dass Paulus die Galater verlässt, sind Missionare aus Jerusalem in diese neuen Gemeinden gekommen und haben nach-missioniert: „Ja ihr lieben Bekehrten, wir freuen uns, das ihr Christen geworden seid. Aber Paulus hat vergessen, euch das wichtigste zu sagen: Um zu Gott zu gehören fehlt euch noch etwas: Ihr müsst die Gebote des Mose halten und die Männer müssen sich beschneiden lassen, wie es alle Juden tun. – Sonst habt ihr bei Gott keine Gnade.“

„Nein nein nein“ schreit Paulus durch sein Arbeitszimmer. „Das kann nicht wahr sein. Wie oft habe ich euch unverständigen Galatern gepredigt, dass allein der Glaube an Christus rettet. – Aber was soll ich euch noch schreiben, damit euch das endlich klar wird!“
Wie im Reflex taucht er seine Feder in die Tinte. Vier Seiten hat er schon geschrieben. Aber er ist noch nicht zufrieden. Man kann es ihnen nicht oft genug vorhalten. So setzt er noch einmal an:

Wir hören aus dem 5. Kapitel des Briefes an die Galater:
Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Liebe Gemeinde,
in seinem Brief, auch in den Zeilen des Predigttextes kämpft Paulus. Er kämpft gegen die Galater und eigentlich ja für sie. Und er hat nicht die allerbesten Karten.

Die Missionare aus Jerusalem fordern viel: Eigentlich die Bekehrung zu einem Judenchristentum: Die Beschneidung der Männer und das Einhalten aller jüdischen Gesetze.
Dafür bieten sie auch einiges: Vollmundig können sie versprechen: Dann gehört ihr zum Volk Gottes, dann ist euch das Heil gewiss. Denn wo klare Leitlinien sind, da kann man sich dran halten. Man kann etwa tun für sein Heil. Wenn man den Sabbat hält, die Speisegebote peinlich genau beachtet, dann hat man schon etwas für sein Heil getan.
– Ohne Ironie: Das hat etwas für sich! Genaue Regeln helfen mir, mich selber einzuschätzen. Je nachdem, wie gut das klappt, steigen oder sinken meine Aktien bei Gott.

Die Gemeinden aus Galatien gibt es heute nicht mehr. Aber sie haben viele Erben.
Ich denke da an einen Mann, der sein Jurastudium abgebrochen hat und ins Kloster eingetreten ist. Er glaubte, für Gott nicht gut genug zu sein. Darum ging er in das strengste Kloster, das er kannte und versuchte von da an ohne Fehler zu leben.
Wenn er das geschafft hätte, dann wäre er sich sicher gewesen: Ich bin vor Gott gerecht. Dann hätte er die Sicherheit gehabt, die auch den Galatern versprochen wurde. Wenn du die Regeln einhältst, dann liebt dich Gott. — Bei diesem Mönch hat es nicht geklappt, er war eben nicht perfekt, und es hat ihn fast verrückt gemacht. Bis er schließlich beim Lesen der Paulusbriefe entdeckt hat: So wie ich es mir gedacht habe, funktioniert es nicht.

Paulus schreibt: Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt. Den Galatern und diesem Mönch sagt er:
Wenn ihr durch eure guten Taten vor Gott gut dastehen wollt, dann könnt ihr das gerne versuchen. Aber das hat nichts mehr mit Jesus zu tun. Den könnt ihr dann beiseite legen.

Bei Christus sieht das anders aus: Da schreibt Paulus: wir warten durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muß. Das ist etwas ganz anderes. Da steckt eine ganz andere Logik drin:
Wenn ich durch Jesus Christus vor Gott gerechtfertigt werde, dann kriege ich das geschenkt. Ich muss es nur annehmen, das ist dann der Glaube.
Das Knifflige dran: Es ist eine Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Die besitzt man nicht. Anders als bei tollen Taten, die ich sammeln kann, aufschreiben, wo ich meinen Kurswert vor Gott ausrechnen kann. Es ist auf Hoffnung hin, ich habe es noch nicht in der Hand!

Und genau das hat den Galatern wohl die Probleme bereitet und sie anfällig für diese zweifelhaften Missionare aus Jerusalem gemacht. Weil man nichts in der Hand hat, nur darauf hoffen kann. – Da ist es natürlich verführerisch wenn einer sagt: „Das und das musst du tun, und dann ist es OK. Beschneidung, Gebote halten, und dann bist du als Christ vor Gott aus dem Schneider.“

Der Mönch, von dem ich eben erzählt habe – sie werden es sich schon gedacht haben: Es ist Martin Luther. Er hat irgendwann entdeckt, dass der Glaube – das Vertrauen – in diese geschenkte Rechtfertigung ausschlaggebend ist. Und er hat gemerkt, wie riskant es ist, wenn wir unsere guten Taten noch zusätzlich da mit ins Spiel bringen. Er, auch Paulus, hat nichts gegen gute Taten. Aber beide werden ziemlich wütend, wenn wir unseren Stand vor Gott mit guten Werken aufbessern wollen.

Und das passiert uns Menschen mitunter ganz schön schnell. Es ist ja nicht nur die röm-kath Kirche, die zwar ganz deutlich die Rechtfertigung aus dem Glauben bekennt. Zugleich aber ist ihre Lehre von den „guten Werken“ so formuliert, dass man mit ihnen seinen Gnadenstand vor Gott dann doch mehren kann. ? Doch ein Blick auf die steigenden Aktien bei Gott?
Ich denke an mich selber: Als Jugendlicher war die tägliche Bibellese ein muss. Selbst wenn ich keine Lust hatte. Wenn ich da schlamperte, fühlte ich mich als schlechter Christ. – Auch hier: Ein verstohlener Blick auf meine Aktien bei Gott. — Ich merke, wie sich bei Paulus da wieder die Fäuste ballen.

Mein Ansehen vor Gott beruht auf dem Sterben und der Auferstehung Jesu Christi. Darum sind wir befreit, sagt Paulus. Wir sind frei davon, permanent unser eigenes Handeln darauf zu prüfen, ob es vor Gott in Ordnung ist. Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
Ich höre im Gedanken nicht nur unsere Konfirmanden:
„Ja, dann ist ja wurst, was wir machen. Dann ist ja eigentlich alles erlaubt! – Klasse!“. Und die Leute von der CSU fragen vielleicht nach: „Hat sich die Kirche als moralische Instanz damit erledigt?“

Nein, eben nicht. Nach wie vor sollen wir Menschen nach dem Willen Gottes fragen und dementsprechend handeln. Diese Aufgabe ist uns als Geschöpfen Gottes weiterhin gegeben.
Aber Gott sieht unser Handeln anders an: Er sieht unsere Fehler, unsere Sünde, und vergibt uns wegen Jesus Christus.

Unser Handeln hat einen andern Stellenwert. Der letzte Vers des Predigttextes sagt es: Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.
Die Reformation hat es wieder ans Licht gebracht:
Der Glaube hat eine wichtige Nebenwirkung, wenn er uns zur Liebe, zum richtigen Handeln fähig macht.
Die Hauptwirkung unseres Glaubens ist es aber, dass Gott unser Handeln beiseite lässt, und uns vorbehaltlos annimmt.

Amen

 

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