Predigt: Die Spötter haben etwas übersehen (Matthäus 27, 33-57) 13. April 2001, Karfreitag

Liebe Gemeinde,

wir Menschen sind von Natur aus neugierig. Und: wir sind Augen-Tiere. Wir wollen was sehen, was anschauen, was erleben. Und manchmal ist es uns ziemlich egal, was wir anschauen, Hauptsache, wie haben was anzugucken.
Das wissen wir nicht erst seit der Erfindung der Fernbedienung am Fernseher ; denn da können wir beliebige Tasten drücken es gibt immer etwas anzuschauen… und darum auch eigentlich keinen Grund auszuschalten.
Heute schauen wir uns Big Brother an, vor einigen Jahren ist man als Gaffer zu Verkehrsunfällen gepilgert, und unsere Vorfahren sind scharenweise zusammengelaufen, wenn eine Hinrichtung anstand. Da musste man hin, da gab’s was zu erleben, das dürfte man einfach nicht verpassen.
Wir finden so etwas heute (wo es keiner öffentlichen Hinrichtungen, aber fünf TV-Leichen pro Abend, gibt) ganz abscheulich, wenn man damals seine Nachbarn und seine Kinder mit auf die Hinrichtungsstelle geschleppt hat.
Der Mensch der da zu Tode gebracht werden soll, wird zum Anschauungsobjekt. Der eigene Tod, er gehört ja zu dem, was mich ganz persönlich -und meine engsten Angehörigen – betrifft, der wird mir entrissen, enteignet, wenn er öffentlich passiert.

Auch Jesu Leiden und Sterben am Kreuz waren damals so ein öffentliches Ereignis. Unser Predigttext aus dem Matthäus Evangelium legte ein besonderes Augenmerk auf diesen Aspekt.
Wir hören aus dem 27. Kapitel:

33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte,
34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.
35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, [a] verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.
36 Und sie saßen da und bewachten ihn.
37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und  schüttelten ihre Köpfe
40 und sprachen:  Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!
41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen:
42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben.
43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia.
48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit  Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken.
49 Die andern aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe!
50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.
51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von oben an bis unten aus.
52 Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf
53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.
54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

So weit die Worte der Heiligen Schrift.

Die Rache des kleinen Manns

Da stehen Sie also nun unter dem Kreuz. Genauer gesagt in der Nähe des Kreuzes, in sicherem Abstand, wo man noch alles genau mit ansehen kann. Aber die Leute, die da kommen, geben sich nicht alle mit dem Gaffen zufrieden. Es scheint die Zeit der Heimzahlung zu sein. Die Zeit der Rache des kleinen Mannes an diesem Prediger aus Nazareth.

Da sind die Leute, die mit Jesus auf dem Tempel Vorplatz gestritten haben. Das Missverständnis von damals bringen sie wieder an: „der du dem Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tage, hilf dir selber!“. Vielleicht sind auch einige der Tempelhändler dabei, die Jesus seinerzeit aus dem Tempelbezirk geworfen hatte. Damals konnten sie ihm nichts anhaben, jetzt aber war die Zeit der Genugtuung, jetzt wo Jesus wehrlos, nach Atem ringend am Kreuz hing.

Ich sehe auch die Schriftgelehrten. Beißenden Spott muss Jesus ertragen: „Anderen hat er geholfen und kann sich nicht selber helfen“. – Und auch das andere alte Thema holen sie wieder hervor: Jesus soll ihnen beweisen, dass er von Gott gesandt ist: „Steige herab, dann wollen wir an dich glauben!“ Neben die Häme tritt bei Ihnen auch ein Gefühl des Sieges: jetzt ist er beiseite geschafft, jetzt haben wir es ihm gezeigt, dass man uns nicht auf der Nase herum tanzen kann.

Und dann waren dann noch diese ganz üblen Typen: Kurz bevor er ans Kreuz genagelt wurde haben sie ihm mit einem Gönnerblick einen Krug Wein gegeben ; das taten öfters gute Freunde für die Verurteilten, damit die im Rausch die Schmerzen nicht so spürten. Aber beim ersten Schluck merkte Jesus schon, das sie es  nicht gut mit ihm gemeint hatten: Galle hatten sie hineingegeben … der Schmerz stillende Trank offenbarte sich als ungenießbare bittere Brühe.

Links und rechts neben Jesus hängen auch zwei Verurteilte. Aber auch von ihnen kommt nicht ein Hauch von Solidarität.

Niedrigkeit als Zentrum

Jesus am Kreuz – von Menschen verspottet und… von Gott verlassen?
Jesus schreit es zumindest heraus „Eli Eli lama asabtani“ – mein Gott , mein Gott, warum hast mich verlassen?
Am Kreuz ist auch Jesus am Ende. Und zwar am absoluten. Wenn derjenige, der selbst gesagt hat das man Gott nur um etwas bitten soll und man bekommt es geschenkt jetzt fragt „Gott, wo bist du“, dann ist das doch wirklich die absolute Bankrotterklärung eines Predigers.

Aber Jesus ist nicht nur ein Prediger aus Nazareth – er ist Gottes Sohn. Und wenn Gottes Sohn sich von Gott verlassen glaubt dann gerät die Welt aus den Fugen. Unter das tut sie auch: drei Stunden lang verfinstert sich die Sonne, danach bebt die Erde. Matthäus schreibt eine förmliche Spuk- Geschichte: die Erde bebt, einige Gräber tun sich auf und Tote werden auf den Straßen gesehen. Die Weltordnung gerät durcheinander. Da ist etwas passiert, was eigentlich undenkbar ist: Gottessohn hängt am Kreuz und stirbt.

Was die Spötter übersehen haben

Unter dem Kreuz stand aber noch ein anderer. Der kannte diesen Jesus nicht, hatte vielleicht noch nie von ihm gehört. Er war von Berufs wegen da: der römische Hauptmann, der die Kreuzigung überwachte. Für ihn war es eine Kreuzigung von vielen, er hatte – anders als die anderen – keine Rechnung mit Jesus offen. Vielleicht war er darum nicht geblendet durch die Rache des kleinen Mannes. Was, was sich um diese Kreuzigung herum ereignet lässt ihn zu einem sagenhaften Schluss kommen: „wahrlich, dieser ist Gottessohn gewesen!“. Er hat es erkannt, er hat die Zeichen richtig gedeutet.

Wozu das Ganze?

Liebe Gemeinde,
ist es nicht dennoch eine Geschichte des Scheiterns? Musste es wirklich so weit kommen? Zu so einem blutigen Ende?  Hätte Gottes Weg mit Jesus nicht auch anders verlaufen können – ohne Kreuz?
Ich sage Ihnen ganz offen: ich weiß es nicht. Und Mittwoch Nacht haben im ZDF einige große Geister eine Gesprächsrunde zu diesem Thema gehabt… und kamen auch zu keinem besseren Ergebnis. – das macht aber nichts. Später im Gottes Reich können wir ja mal nachfragen.

Aber dennoch bin ich froh, heil-froh, dass das das für uns geschehen ist.
  Seitdem weiß ich: Selbst wenn es mir schlecht geht, ja wenn es mir so schlecht geht, dass ich mich von Gott verlassen fühle, dann weiß ich dennoch: da gibt es einen – Gottes Sohn – der war auch schon ganz ganz unten, und Gott hat ihn trotzdem nicht fallen lassen.

  Und ich weiß: Bei Jesu Sterben ist der Vorhang im Tempel zerrissen. Gott hat den Vorhang zwischen uns Sündern und ihm weggenommen. Er hat den Weg zu sich frei gemacht. Unsere Schuld vor ihm ist weggenommen, sie liegt nicht mehr zwischen ihm und uns.

Das „warum“ und das „für euch“  bleibt uns letztlich ein Geheimnis. Aber auch ohne es zu verstehen dürfen wir annehmen, was Jesus für uns getan hat. Jedesmal, wenn wir Abendmahl feiern, erinnern wir uns daran, was Jesus gesagt hat.
– mein Leib, mein Leben, für euch
– mein Blut, mein Sterben, für euch, zur Vergebung der Sünden.
Amen

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