Predigt: Gottes Sohn oder Josefs Sohn? (Lukas 2, 41-52) 5. Januar 2003

Predigttext: Lk 2, 41-52
[41] Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest.
[42] Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.
[43] Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten’s nicht.
[44] Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten.
[45] Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.
[46] Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte.
[47] Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.
[48] Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.
[49] Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?
[50] Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.
[51] Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.
[52] Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Liebe Gemeinde,

der zwölfjährige Jesus im Tempel – diese Erzählung kennen viele von uns von klein auf.
Aus dem Kindergottesdienst, aus den Religionsunterricht in der Schule, aus dem Gottesdienst, oder auch vom Selber-erzählen vor den eigenen Kindern.

Und der jeweiligen Situation entsprechend fühlt man sich da auch hinein, in diese abenteuerliche Geschichte.
Die Eltern durchleben beim Hören dieser Zeilen oft im Zeitraffer die Gefühle, die wohl auch Maria und Josef umgetrieben haben. Sorge und Angst um das eigene Kind; aber auch Wut darüber, dass der zwölfjährige Bengel trotz seines Alters irgendwo in der Stadt Jerusalem verloren geht. Und auch die Erleichterung, wenn sie ihn schließlich wohlbehalten im Tempel wiederfinden.

Die jüngeren Semester identifizieren sich eher mit dem jungen Jesus selber. Es gefällt Ihnen, wenn er die Gelehrten im Tempel durch seine Fragen und Antworten beeindruckt. “ Der zeigt es ihnen, dass die kleinen auch etwas können und wissen!“

Diese Erzählungen ist etwas für die kleinen und für die großen. – Vielleicht auch deshalb, weil es eine Geschichte zwischen dem kleinen und den großen Jesus ist. Sie steht am Übergang von der Kindheit Jesu zu seinem Wirken als Erwachsener. Sie erzählt nicht mehr von dem kleinen Kind in der Krippe, und noch nicht von den großen Prediger und Heiland.

Ist es also die Zeit, in der Jesus zu dem wird, was er ist? So, wie ein Mensch sich in seiner Pubertät von Kind zum Erwachsenen, zur eigenständigen Persönlichkeit entwickelt? In dieser Lebensphase, in der er fragt: woher komme ich, und wozu bin ich eigentlich hier?

Vielleicht hat diese Frage den zwölfjährigen Jesus auch in den Tempel getrieben. Hat er dort nach seinen Wurzeln und nach seinem Auftrag gesucht? Sehr viel verrät uns unser Text darüber nicht. Aber ein klein wenig doch: Als seine Eltern ihn im Tempel fanden, hat er ihnen geantwortet: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“

Offenbar hat er eine Antwort gefunden, auf die Frage, wohin er eigentlich gehört. In das Haus seines Vaters, in das Haus des himmlischen Vaters – in das Haus Gottes.

Aber da gab es noch den anderen Vater, Josef. Und der wollte, dass Jesus zurück nach Nazaret – in sein Haus – mit geht,. Wir wissen, wie die Geschichte weiter geht: Jesus geht mit seinem Vater und seiner Mutter mit nach Nazaret. Er begehrt nicht auf, sondern folgt ihnen, so wie man es von einem braven Sohn sich wünscht.

Die Spannungen zwischen Gottes-Sohn und Josefs-Sohn

Merken sie es? In diesen wenigen Zeilen einer kurzen Erzählung entdecken wir den Sohn Gottes im Tempel und auch dem Sohn der Zimmermanns-Familie aus Nazaret.
In dieser Geschichte wird es zum ersten Mal richtig deutlich: Jesus Christus ist eben Mensch und Sohn Gottes in einer Person. Und das macht die Sache kompliziert. Da muss er doch hin-und-her-gerissen sein!
Dort im Tempel – das war ein harmloses Vorspiel, die echten Zerreißproben sollten erst noch kommen.

Ich denke an eine Szene, als Jesus in einem Haus zu Gast war und dort gepredigt hat. Ein großer Menschenauflauf. Dazu kamen dann auch seine Mutter und seine Brüder und wollten mit ihm reden. Jesus aber hat sie abgewiesen: Er zeigte auf die anwesenden Zuhörer und meinte „Das sind meine Brüder und meine Mutter. Denn wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mein  Bruder, Schwester und Mutter.“
Ein Moment, der der Maria sicher tief ins Herz geschnitten hat. Sie musste erkennen: Dieser Jesus ist nicht nur einfach mein Sohn, er ist eben auch der Sohn Gottes. Das hat dieser Moment ganz deutlich gezeigt.

Da war aber auch der Abend in Gethsemane. Kurz vor seiner Verhaftung hat Jesus dort gebetet, darum gefleht, dass der schwere Kelch an ihm vorübergehen möge. Blut und Wasser hat er geschwitzt, Angst gehabt, Verzweiflung gespürt. In diesen Tagen, in denen er seinen Auftrag als Gottes Sohn in besonderer Weise erfüllen sollte, gab es diesem Moment, wo er so menschlich wurde – wo man den Josefs-Sohn so deutlich merken konnte.

Jesus Christus war beides – und beide Seiten haben sich auch  immer wieder aneinander gerieben.

Dogmatische Konsequenzen

Ist er denn jetzt Gottessohn, oder ein Mensch – dieser Jesus?
Wir tun uns damit schwer. Heute genauso wie vor hunderten von Jahren. Das alte christliche Glaubensbekenntnis von Nizäa, das heute noch in den östlichen Kirchen gesprochen wird, bekennt deutlich „er ist wahrer Gott vom wahren Gott“. Und in der Geburtsurkunde der evangelischen Kirche, dem Augsburger Bekenntnis, können wir nachlesen: „dass Gott der Sohn, Mensch, geworden ist, und dass die zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, in einer Person untrennbar vereinigt sind , ein Christus sind, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist“.

Anders als so können wir Menschen es nicht aussagen. Wir haben kein Wort für diese Besonderheit, die sich da ereignet hat. Da kommt etwas zusammen, was man nicht zusammen denken kann. Gott und Mensch in einem?
Gott wird wirklich Mensch – kann so etwas gut gehen?

Man kann den Tod Jesu am Kreuz als Zeichen dafür sehen, dass es nicht gut gehen kann, dass Gott und Menschen zu weit voneinander entfernt sind. Dass ein Gott in Menschengestalt nicht verstanden wird, und darum missverstanden wird und am Kreuz enden muss.

Aber die Auferstehung ist zugleich für mich das Zeichen, dass Gott sich mit dieser Trennung nicht zufrieden gibt, und er uns dennoch nicht verwirft.

Jesus als Bruder und Herr

Liebe Gemeinde,
wenn ich ein bisschen Abstand von diesen theoretischen und theologischen Fragen nehme entdecke ich, dass diese zwei Seiten der Person Jesu Christi sich auch in meinem Verhältnis zu ihm widerspiegeln.
Nicht so sehr in den Begriffen von „Gottessohn und Mensch“. Für mich sind es die Begriffe „Herr und Bruder“.

Den Bruder, den Mitmenschen in Jesus Christus entdecke ich an vielen Stellen seines irdischen Lebens. Er war, wie ich eben auch, allen Bedingungen des Menschseins unterworfen. Hat viel erlebt, erlitten, hat sich gefreut und war traurig. Da merke ich eine gewisse Solidarität. Er kennt das alles, ihm ist sozusagen nichts menschliches fremd.
Darum habe ich keine Scheu ihm mein Leid zu klagen, meine Sorgen und Ängste – und auch die kleinen und großen Freuden ihm entgegenzubringen. Er kennt das, er war ja selber Mensch. Deshalb wage ich es sogar, ihm die Abgründe in meinem Herzen zu zeigen.

Als Bruder ist der mir auch ein Vorbild, Ich kann entdecken, wie er sein Leben geführt hat, wie er mit Menschen umgegangen ist. Seine Geduld, sein Erbarmen, seine Liebe. Als Mensch hat er einen Weg beschritten, den ich als Mensch versuchen kann nachzugehen, seinen Schritten zu folgen. Das wird nicht immer gelingen, aber eine Perspektive ist es allemal.

Jesus Christus ist aber nicht nur Bruder, sondern auch Herr. Mit seinem Tod und vor allem seiner Auferstehung ist er Wege gegangen, die göttliche Qualität haben. Die kann ich nicht nachmachen, sondern die hat er für mich zurückgelegt.
Als Herr zeigt er mir Wege auf, die ich gehen soll, zeigt Grenzen und setzt Maßstäbe – er steht für Gottes Willen. Ihn kann ich nicht einfach so auf meine Seite ziehen, in die Tasche stecken, wie man es mit einem gutmütigen Brüderchen machen kann. Ich kann nicht davon ausgehen, dass er über jede krumme Tour mit einem Augenzwinkern hinweg sieht.
Er will nämlich Herr über mein Leben sein.

Derjenige, der als Bruder neben mir steht, sitzt zugleich als Herr über mir. “ Er sitzt rechten Gottes, des allmächtigen Vaters“. Er hat Macht über uns Menschen, über diese Welt.

Diese beiden Seiten kann man schlecht zusammen denken. Aber ich bin froh dass es diese beiden Seiten gibt:
Das Kind in der Krippe, dem zwölfjährigen Jungen, den engagierten Prediger.- Den Bruder
Und zugleich:
Der Verkündiger des Willens Gottes, der Gekreuzigte und Auferstandene, den Sohn an der Seite Gottes – unsern Herrn.

AMEN

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