Predigt: Der Eckstein (Psalm 118, 14-24) 20. April 2003, Ostersonntag

Liebe Gemeinde,

die Psalmen gehören zu den gewichtigsten Abschnitten unseres Alten Testaments. Eine Sammlung von 150 Liedern. Die Melodien, mit denen sie einst in Israel gesungen worden sind, kennen wir nicht mehr. Stattdessen haben wir ihnen teilweise eine neue Melodie gegeben: Der Introitus am Anfang des Gottesdienstes ist ja immer ein vertonter Psalm.

Ich muss zugeben: Wenn wir die Psalmen aber nur als Vorlage für unseren Introitus nehmen würden, dann würden wir der Bedeutung dieser Liedern nicht gerecht. Weder textlich noch musikalisch. Denn damals hat man sie sicher mit mehr Begeisterung und eingängigeren Melodien gesungen, als wir das heute mit unseren gregorianischen Psalmtönen tun.

Nicht nur Konfirmanden tun sich mit dem Psalmen schwer. „Psalm“ – Das klingt nach Auswendiglernen, nach altertümlicher Sprache, die man nur schwer versteht.

Aber eigentlich steckt in diesen Psalmen viel Leben. Denn das Leben hat sie geschrieben: Menschen, die prägende Erfahrungen mit ihrem Gott gemacht haben wurden zu Psalmisten, haben ihr Leiden und ihr Glück darin niedergeschrieben. Ganz unterschiedliche Erfahrungen im Leben finden sich in den 150 Psalmen. Man kann von Verzweiflung bis zum Tod darin lesen und man entdeckt himmelhoch jauchzende Dankeslieder.

Viele Christen haben die Psalmen für sich selbst entdeckt: Sie haben gemerkt, dass ihre eigenen Erfahrungen mit Gott und Menschen in manchem Psalm treffend und anrührend ausgesprochen werden. – Sie haben gemerkt, dass es ihnen gut tut, in dem Psalmen zu lesen.

Die Psalmen der Bibel sind ein Stück weit ein offenes Kunstwerk. Ihre poetische Sprache macht es mir als Leser möglich, sie auf meine Lebenssituation hin zu deuten – auch wenn ich weiß, dass eine andere Personen mit einer vielleicht nur ähnlichen Erfahrung diese Zeilen geschrieben hat.

In der christlichen Kirche haben wir uns darum auch die Freiheit genommen, die Psalmen christlich zu deuten. Jesus selbst hat es offensichtlich so getan.
Am Karfreitag haben wir davon gehört wie Jesus bestimmte Worte aus dem Psalmen auf sich bezogen hat. – Als Bestätigung dafür, dass er den rechten Weg im Willen Gottes gegangen ist.

Heute möchte ich mit ihnen einen Psalm betrachten, den Jesus auch auf sich selbst bezogen hat, als er über sich gesagt hat:  „Der Stein, de die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“.

Es ist der Psalm 118 – Ich lese die Verse 14 bis 24

Der HERR ist meine Macht und mein Psalm und ist  mein Heil.
15 Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: Die Rechte des HERRN behält den Sieg!
16 Die Rechte des HERRN ist erhöht; die Rechte des HERRN behält den Sieg!
17 Ich werde nicht sterben, sondern leben und des HERRN Werke verkündigen.
18 Der HERR züchtigt mich schwer; aber  er gibt mich dem Tode nicht preis.
19 Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, daß ich durch sie einziehe und dem HERRN danke.
20 Das ist das Tor des HERRN;  die Gerechten werden dort einziehen.
21 Ich danke dir, daß du mich erhört hast und hast mir geholfen.
22  Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.
23 Das ist vom HERRN geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen.
24 Dies ist der Tag, den der HERR macht; laßt uns freuen und fröhlich an ihm sein.

Kampf und Sieg

Auf den ersten Blick ist das ein Psalm der Sieger: “ man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten“; “ Ich danke dir, dass du mich erhört hast und hast mir geholfen“.

Wer dieses Lied singt fühlt sich als jemand, der in einer gerechten Sache gekämpft hat und letztlich den Sieg davongetragen hat. Und er versteht diesen Sieg nichts als eigene Leistung, sondern als ein Sieg, den er Gott selbst verdankt. Genau betrachtet schreibt hier eigentlich kein Mensch von seinem eigenen Sieg sondern lediglich vom Sieg Gottes: In den Hütten der Gerechten wird davon gesungen dass die rechte Hand Gottes den Sieg errungen hat.

Aber manche Zeilen lassen schon erahnen: Das ist nicht das Lied eines Menschen, dem es immer nur gut gegangen ist und immer von Erfolg zu Erfolg geeilt ist.
Der Schreiber des Psalms hat offenbar auch schwierige Zeiten erlebt: “ der Herr züchtigt mich schwer, aber er gibt mich dem Tode nicht preis“. Offensichtlich hat da jemand auch ganz schwere und gefährliche Zeiten erlebt. Es leuchtet auch ein: Denn wer von einem Sieg singt, der hat einen Kampf hinter sich, der auch mit einer Niederlage hätte enden können. – Dann hätte auch dieser Psalm ganz anders ausgesehen!

Aber jetzt, nachdem der Sieg errungen ist, nachdem sich der Gerechte mit Gottes Hilfe durchgesetzt hat, ist der Schreiber des Psalm des Lobes voll. Die schwere Zeit, das Leiden und so mancher schwere Schlag ist nicht vergessen, aber er zählt nicht mehr angesichts des Jubels am Ende.

„Die Zeit danach“

Manche würde sagen: „Na ja, das ist ja kein Kunststück, nach der Krise Gott zu loben“.
DOCH! Ich glaube es ist ein Kunststück! Zumindest zeigt es uns unsere alltäglichen Praxis im Leben: Dann, wenn es mir schlecht geht, ist der Jammer ein alltäglicher Begleiter. Im Jammern und Klagen schafft sich meine Seele ein Ventil um die innere Last ein bisschen loszuwerden. Im Jammern sind wir Menschen meist recht gut.

Aber mit dem Lob und dem Dank an die Adresse Gottes sind wir oft recht geizig. Da ist eine Krise überstanden, da ist etwas noch einmal gut ausgegangen; ein kleiner innerer Krieg überstanden … und was folgt oft? Nach einem kurzen Durchatmen der fast nahtlose Übergang zur Tagesordnung .
Als wäre es selbstverständlich, dass uns gut geht.

Da sind mir die Psalmen ein wichtiger Helfer: sie zeigen mir, dass wir Menschen klagen dürfen und sollen, wenn wir in Bedrängnis sind, wenn es uns schlecht geht. Aber sie machen uns auch vor, wie man nach einer überstandenen Krise wieder vollmundig Gott loben kann; ihm „Danke“ sagen kann.

Nicht nur deshalb, weil ihr unserm Gott ein Dankeschön schuldig sind. Ich glaube, in uns Menschen verändert sich etwas, wenn wir uns unsere guten Erfahrungen mit Gott wirklich bewusst machen. Denn wir die guten Zeiten, wenn wir die Siege im Leben als Geschenk Gottes ernst nehmen.

Manchmal trifft man ja Menschen, die erzählen einem von den schlechten Erfahrungen mit Kirche oder auch mit Pfarrern. Und für manchen ist das auch ein Grund, weshalb er vom Glauben wenig hält.
Aber oft wird dabei vergessen, wie reich sie in ihrem Leben von Gott beschenkt worden sind; in der Familie, auf dem Hof oder im Beruf.

Das Gute dankbar annehmen und Wert schätzen. Das ist in allen Beziehungen wichtig; wenn es um Gott geht, aber auch wenn es um andere Menschen geht.  Dann erst weiß man, was man aneinander hat.

Die österliche Deutung

Psalmen sind offen für Deutungen.
Jesus Christus hat diesen Psalm auf sich selbst bezogen: Im Matthäusevangelium spricht er von sich selbst, als er die Worte zitiert „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“.

Und tatsächlich: vieles aus diesem Psalm erinnert mich an die Erfahrung von Ostern!
Am Karfreitag sah es so aus, als wäre Jesus derjenige, der verloren hätte, der die große Niederlage einstecken musste, obwohl er doch als der Gerechte über diese Welt ging.

Und am Ostermorgen kann er mit den Worten des Psalms sprechen: “ Die Rechte des HERRN behält den Sieg; ich werde nicht sterben, sondern leben“.
Die Schlacht ist geschlagen: Ostern ist der Sieg Jesu Christi.
Er hat den Tod überwunden, hat die Sünde besiegt, die uns Menschen für immer fesseln wollte.
Gott war es, der Jesus von den Toten auferweckt hat – es ist Gottes Werk.
Die Auferstehung ist der Sieg, mit dem Gott Jesus Christus als seinem Sohn bestätigt.

Die Menschen, allen voran die Gegner Jesu, hatten ihn verworfen, hatten ihm keinen Glauben geschenkt: Was wollen wir mit diesem Wanderprediger?
Aber dieser Stein, den die Menschen verworfen hatten, hat Gott selbst zum Eckstein seines Wirkens gemacht.

„Der Stein, dem die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Es ist vom HERRN geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen „.

Das Bild des Ecksteins

Ostern erst hat Jesus zum Eckstein gemacht. Zwei Dinge fallen mir zum Eckstein ein:
STABILITÄT

Zunächst bringt er dem Haus Stabilität. Wo man nicht mit schönen, genormten Quadern sein Haus baut, benötigt man solide, exakt behauene Ecksteine. An den vier Ecken des Hauses ruht eine große Last auf ihnen. Während man an den Wänden die unbehauenen Steine mit Geschick vermauern kann, darf man bei den Eckstein nicht schlampern, sonst ist die Gefahr groß, dass die Last des Hauses nicht richtig aufgefangen wird. Ein guter Eckstein ist wertvoll und sollte sorgfältig ausgewählt sein.

Was taugt als Eckstein meines Lebens? Was ist so solide, dass es manche Last und Erschütterung auffangen kann? Worauf kann ich mich wirklich verlassen, und welcher scheinbare Eckstein sieht zwar nach außen beeindruckend aus, ist aber in sich selbst mürbe und brüchig?

Jesus Christus als Eckstein hat die Feuerprobe von Kreuzigung und Auferstehung überstanden. Für mich ist das Qualitätssiegel genug für den Eckstein meines Lebens

ORIENTIERUNGSPUNKT

Ein Eckstein hat aber ursprünglich noch eine weitere Funktion gehabt. An ihm orientierten sich die Bauleute beim Mauern der Wände. Seine rechten Winkel geben die Flucht der Wände vor. Wenn man sich nicht daran orientiert, läuft das Haus aus dem Winkel, bekommt einen falschen Grundriss.
Der Eckstein legt fest, wie das Haus ausgerichtet ist; er ist der maßgebliche Stein. Er sagt sozusagen, wo es lang geht beim Hausbau.

Was uns beim Hausbau recht ist, haben wir sonst im Leben manchmal nicht so gerne: Dass uns da einer genaue Leitlinien vorschreiben will.
„Da geht’s lang“, darauf höre ich nicht so gerne. Aber auch das gehört zu Jesus Christus als Eckstein meines Lebens. Es gibt Gebote als Leitlinien, als notwendige Orientierungspunkte für unser Leben, die uns sagen was Gottes guter Wille für unser Leben ist. Dann sind bestimmte Verhaltensweisen eben nicht mehr in der Flucht dieser Linien und ihr können Sie nicht in unser Haus des Glaubens miteinbeziehen.
Immer wieder werden Stimmen laut, die uns Christen vorwerfen, wir wären zu engstirnig, nicht liberal genug.
Ein Sprichwort sagt: „Wer keine Wände hat, der hat auch kein Haus.“ Grenzen gehören dazu. Und als Christ habe ich die Leitlinien des Wortes Gottes.

Liebe Gemeinde,

Ostern ist das Fest, an dem wir Jesu Sieg über den Tod feiern.
Mit der Auferstehung hat Jesus von Gott die Bestätigung bekommen: Du sollst der Eckstein werden für das Leben der Menschen, auch wenn manche dich verworfen haben.

Seit Ostern haben wir die Chance, unser Leben auf diesem Eckstein aufzubauen, damit wir ein solides Fundament haben, das sich nicht so leicht erschüttern lässt.
Und wir haben zugleich durch diesen Eckstein Leitlinien, damit unser Lebenshaus eine Wohnung wird und kein undurchschaubares Labyrinth.

Amen

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