Predigt: Engel, gibts die wirklich? (Themenpredigt) 24. April 2011

Zurengel Reihe “Pfarrer sag mal”, in der mir Gemeindeglieder ihre Fragen in Klartext gestellt haben: Predigt mit biblischem Blick rund um Engel und 4 Thesen

Liebe Gemeinde,
die Frauen, die am Ostermorgen zum Grab Jesu kamen, fanden Jesus nicht, das Grab war leer. Sie standen da, ratlos, ohne Erklärung in der feuchtkühlen Grabeshöhle, und genauso wie die Kälte an ihnen hochkroch, breitete sich so langsam Entsetzen aus: Was ist hier passiert?

Der Evangelist Lukas erzählt von zwei Männern, die auftauchten. Sie brachten die Lösung: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.” Damit wird für die beiden klar, was geschehen ist. Und mit der unglaublichen Nachricht der Auferstehung laufen sie zurück zu den Aposteln. Die beiden Männer in ihren leuchtenden Gewändern lassen sie zurück.
Wer waren die beiden? Auch im ältesten Evangelium, bei Markus, ist die Rede von einem jungen Mann im weißen Gewand. – Engel? Die beiden Evangelisten antworten mit Schulterzucken. Soe legen sich da nicht fest.
Anders Matthäus und Johannes Als sie ihre Evangelien aufschreiben, steht es für sie außer Frage: Das müssen Engel gewesen sein – was denn sonst. Darum schreiben sie mit großer Selbstverständlichkeit von Engeln, die den Frauen begegnet sind.

Wie ist es denn jetzt richtig?
Gibts Engel oder nicht?
Soll man die verehren?
Wie ist das mit den Erzengeln, Schutzengeln, und den ganzen Namen?

Diese Frage lag auch in unserer Schachtel für „Pfarrer sag mal”. Und da bietet es sich an, an Ostern darüber zu sprechen, schließlich haben die Engel auch am Ostermorgen ihren Platz.
Die Sache mit den Engeln ist ziemlich kompliziert und unübersichtlich, wohl auch weil die Vorstellung von so menschenfreundlichen himmlischen Wesen uns unheimlich anspricht. Es kommt vielen Bedürfnissen entgegen. Manchen Umfragen zufolge glauben mehr Menschen an Engel als an die Existenz Gottes.

Blick in die Bibel

Wie siehts jetzt aus mit den Engeln. Werfen wir zuerst einen Blick in die Bibel. Denn die muss ja die Grundlage sein. Engel tauchen darin häufig auf. Im Alten Testament werden sie „melech jhwh” genannt: „Diener Gottes”. Ihre Aufgabe macht sie zu dem, was sie sind: Sie überbringen Botschaften, reden im Namen Gottes mit den Menschen, helfen einem Verzweifelten wieder auf die Beine. Derjenige, der das tut, wird im Alten Testament „Diener Gottes” genannt, Engel.

Wenn man mehr über ihre Beschaffenheit, ihr Leben herausfinden will, so wird man enttäuscht. An nur ganz wenigen Stellen, werden sie näher beschrieben. Ob der Flügel hat, oder ein leuchtendes Gewand? Das finden wir nur ganz ganz selten. In einer Vision, bei der Jesaja als Prophet berufen wird, sieht er in den Himmel hinein, und dort sind bei Gott Serafim – anscheinend Engelsgestalten –  die sechs Flügel haben. Außerdem tauchen die Flügel im Alten Testament nur bei den Cherubim auf, die als Figuren auf der Bundelade montiert werden sollen.
Ansonsten in Sachen Flügeln bei Engeln: Fehlanzeige!

Ähnlich sieht es im Neuen Testament aus, auch hier: Engel als Überbringer von Botschaften und Hilfe, keine Rede von Flügeln, manchmal von strahlendem Licht. Aber insgesamt sehr unspektakulär. Lediglich an wenigen Stellen, die einen Blick in den Himmel werfen, in der Offenbarung, da ist von Engeln die Rede, die Gott anbeten und verehren, und da ist auch ausnahmsweise mal von Flügeln die Rede.

Fassen wir zusammen:  Das erste Ergebnis möchte ich aus der „Nutzerperspektive” formulieren: Du hast es mit Engeln zu tun, wo Gott dir in außergewöhnlicher Direktheit hilft indem er dir etwas sagt oder an dir tut. – Ganz ohne Flügel oder Licht.

Und sie merken schon, das muss dann keine „überirdische” Begegnung sein. Wo mir ein anderer Mensch etwas sagt, was mich im Herzen trifft, wo ich den Eindruck gewinne: Da hat dich Gott genau erwischt … dann war der Andere ein Diener Gottes, hat im Auftrag Gottes gehandelt. Vielleicht ohne es zu wissen, war er ihr Engel!

Apokryphe Engelswelt

Soweit diese recht nüchterne, vielleicht auch ernüchternde Analyse der biblischen Zeugnisse von Engeln. Aber das ist nicht alles.
Viel üppiger sind nämlich die Informationen, wenn ich meinen Blickwinkel erweitere, zum Beispiel auf die Literatur, die zur Zeit der ersten Christen entstand. Da finden wir dann, das was unser Engel-Herz begehrt.  Schriften, die das große Interesse an Engeln wiederspiegeln.

Die Bücher Henoch unterteilen die Engel in verschiedene Kategorien mit unterschiedlichen  Eigenschaften, wir haben Erzengel mit unterschiedlichen Aufgaben, Cherubim, Serafim, Mächte und Gewalten. Die traditionelle Engelslehre greift auf diese Schriften jenseits der Bibel sehr gerne zurück. So kann man genaue Organisationsstrukturen der Engelwelt entwickeln.

Sogar in unserem Präfationsgebet im Abendmahl sind sie zu finden: „Darum loben die Engel Deine Herrlichkeit, beten Dich an die Mächte und fürchten Dich alle Gewalten. Dich preisen die Kräfte des Himmels mit einhelligem Jubel”: Engel  Mächte, Gewalten; in älteren Gebeten sind auch die Fürstentümer genannt, das alles sind Engels-Kategorien dieser apokryphen Schriften.

Auch wenn diese Traditionen gerade auch in der katholischen Kirche intensiv gepflegt werden: Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, mich auf nicht-biblische Quellen zu stützen, daraus eine große Engels-Lehre zu entwickeln – zu einem Thema, das unsere Bibel nur am Rande behandelt und die Jesus auch nicht in den Mittelpunkt stellt. Wir reden da über eine Welt, zu der wir keinen Zugang haben, die unseren Zugriff entzogen ist, und entwerfen Theorien, für die keine ordentliche Quelle haben, und die wir auch nicht überprüfen können.

Da ist es mir lieber, wenn wir diese spekulativen Schiften beiseite lassen, und uns nur auf die Bibel als Grundlage besinnen.

Metaphysisches Geflügel?

Oder wir gehen noch einen Schritt weiter – wie im letzten und vorletzten Jahrhundert, als in der evangelischen Theologie die Engel quasi abgeschafft wurden. Man konnte in der modernen Theologie nichts mehr mit dieser „anderen Weltsicht” anfangen. Wer ein Radio bedient und Antibiotika nutzt, für den ist der Glaube an überirdische Wesen überholt – Engel wurden als Ausdruck einer antiken Weltsicht angesehen, als „metaphysische Fledermäuse” veralbert. Nichts mehr für unsere moderne Welt.

Liebe Gemeinde,
komisch, die großen Theologen, die die Engel abschaffen wollten, kennt kein Mensch mehr, aber Engel sind immer noch hoch im Kurs. Offenbar sind die Engel gar nicht so unmodern – sondern vielmehr scheinen die Engel in eine Marktlücke zu stoßen.
Sie werden verkauft, verehrt, fast vergöttert – ein Engel-Hype.

Ein bibel-und zeitgemäßer Blick auf Engel

Das heißt, wir stecken zwischen enormer Verehrung von Engeln und ihrer Abschaffung. Wo hin soll es gehen? Ich möchte aus dem, was ich ihnen bisher gesagt habe einige Thesen aufstellen. Manche haben große Theologen wie Luther und Karl Barth als Paten, in anderen spiegelt sich mein eigenes Denken und meine eigenen Erfahrungen mit Engeln. Ich hoffe, ihnen damit eine Tür zum Umgehen mit dem Phänomen der Engel ein wenig zu öffnen.
Erstens: Wenn ich damit rechne, dass Gott in unserer Welt handelt, dann sollte ich mich nicht wundern, wenn Engel meinen Weg kreuzen.
Für mich gehört es zur Grundlage meines Glaubens, dass Gott uns nicht allein lässt, dass er mit jedem von uns seinen Weg geht. Dass er dann und wann auch direkt Einfluss nimmt, eingreift in mein Leben. Was liegt näher, als dass er sich eines „Dieners” bedient, der dann auf den Plan tritt, wenn Gott es will. Darum habe ich keine Zweifel daran, dass es Engel gibt. Sichtbar oder unsichtbar.

Zweitens: Engel haben nicht nur keine Flügel, ihnen fehlt oft auch der Heiligenschein.
Das Markus- und das Lukasevangelium lassen offen, wer die Männer am leeren Grab Jesu waren. Waren es Gestalten, die aus Gottes Welt nur zu diesem Zweck auf die Erde kamen? Oder waren es ganz normale Männer, die zufällig (und damit meine ich, dass Gott hier die Finger im Spiel hatte) im richtigen Moment am richtigen Ort waren, und den richtigen Schluss aus dem leeren Grab zogen, und den Frauen ihre Gedanken erzählten? Sie wurden zu Engeln, ohne davon je eine Ahnung zu haben. Beides ist denkbar!
Wer es einmal erlebt hat, dass entgegen aller Wahrscheinlichkeit die richtige Person zur rechten Zeit am richtigen Ort war und Schlimmes verhindert, oder Gutes erreicht hat – und man vielleicht noch kurz zuvor genau darum gebetet hat – derjenige hat für sein ganzes Leben die feste Überzeugung gewonnen, dass es Engel gibt, die ganz normal ihrem Beruf nachgehen. Und wohl erst am Ende der Welt erfahren, wann Gott sie einmal als Diener, als Engel für andere eingesetzt hat.

Drittens: Engel gehören nur zum Personal; in der Chefetage sitzt ein Anderer.
Es gibt Seminare mit dem Thema „Finde deinen eigenen Schutzengel”. Das halte ich für unbiblischen Humbug. Nicht umsonst ist unsere Bibel sehr sparsam mit den Erzählungen von Engeln. Sie sind Personal Gottes, Geschöpfe wie wir Menschen, eben in einer anderen für uns nicht wahrnehmbaren Welt. Keine Mittelsmänner zwischen Gott und Menschen!
Keine, mit denen wir uns gut stellen müssten.
Schon gar keine, die wir verehren oder anbeten dürfen.
Schon Luther hat Engelsverehrung als Götzendienst gegeißelt.
Wenn ich das Gefühl habe: Da hat ein Schutzengel dich in im entscheidenden Moment gerettet, dann will ich dankbar sein und Gott dafür loben, der ihn gesandt hat.

Viertens: Die Tür, durch die ein Engel passt, kann gegebenfalls auch mal weiter aufgemacht werden.
Vielleicht kommt ihnen das alles ein bisschen harmlos vor. Der nette Nachbar, der in einer bestimmten Situation für mich zum rettenden Engel werden kann. Das kann man als Engels-Begegnung deuten, oder auch sagen: Zufall. Beides kann stimmen, wir können ja bei Gott nicht so einfach nachfragen.
Aber wenn ich davon ausgehe, dass es diese Tür gibt, durch die Gott in unsere Welt eingreift, dann darf ich auch immer hoffen, dass er sie dann und wann weiter öffnet. Zu großen Veränderungen und Wundern in unserer Welt, bei der wir uns dann nur die Augen reiben können und sagen: „Hätt ich nie geglaubt, dass so etwas geschieht”.

Das ist meine Hoffnung. Wann oder Ob er das tut ist sein Geheimnis.
Ostern war der Moment, an der er eingegriffen hat wie Menschen es sich nie hätten vorstellen können. Dass er den Tod besiegt und uns zeigt, dass er über allem steht – auch über unserer menschlichen Schuld.
Wir haben einen Gott, der Menschen und Welt verändern kann – und verändern wird.
Mal mit, mal ohne Engel.

Amen

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