Predigt: Mut zum Dachschaden (Markus 2, 1-12), 30. Oktober 2011

Dachschaden-Bild: Matthias Preisinger/Pixelio.de

Mk 2, 1-12

In der Erzählung vom geheilten Gichtbrüchigen zerstören die Freunde das das Dach eines Hauses um ihn zu helfen. Brauchen wir vielleicht öfter den Mut zum Dachschaden? Die Bereitschaft, sichere Positionen zu riskieren?

Die Heilung eines Gelähmten (Markus 2, 1-12)
1 Und nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. 2 Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. 3 Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. 4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.

5 Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
6 Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: 7 Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? 8 Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? 9 Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?
10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 12 Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen.

Liebe Gemeinde,
den Predigttext haben Sie eben im Evangelium schon gehört: Die Heilung dieses gelähmten Mannes, der durch das Dach zu Jesus heruntergelassen worden ist. Eigentlich hat die Erzählung zwei inhaltliche Brennpunkte: Die Heilung und das kaputte Dach. Über das Wunder dieser Heilung wird häufig gepredigt – über den Dachschaden eher selten. Darum möchte ich heute mit Ihnen auf dieses kaputte Dach blicken, denn da gibt es so einiges zu entdecken.

Wir mögen keine defekten Dächer: Bloß keinen Dachschaden!

Zunächst stelle ich fest: Wir Menschen mögen keine Dächer mit Löchern drin. Weder hier in Wilhelmsdorf/Brunn noch dort in Kapernaum. Darum investieren wir in die Reparatur des Pfarrhausdaches, des Kindergartens und lassen auch das Gemeindehaus nicht aus den Augen. Und in Kapernaum haben sich die Freunde des Gelähmten nicht gerade beliebt gemacht, als sie Jesu Gastgeber den Dach ruinierten. Ein Dach muss dicht sein, geschlossen und fest.
Jemand, bei dem das nicht de Fall ist, der hat einen Dachschaden. Und wir wissen, dass dieser Begriff ja auch vom Hausdach zum menschlichen Oberstübchen hinübergewandert ist: Wer einen Dachschaden hat, bei dem stimmt was nicht im Kopf, der ist nicht ganz dicht. Und das mögen wir nun gar nicht haben.

Das schützende Dach

Schauen aber noch einmal auf das Hausdach, das „Dach über den Kopf”, das wir alle haben, und das man ja irgendwie braucht. Es steht für Sicherheit und Geborgenheit. Ich selbst weiß, welcher Alptraum es ist, wenn es in einer stürmischen Regennacht das Wasser durch die Decke tropft, man nicht so genau weiß, wo es herkommt; wie man es abstellen kann. Ich wünsche mir ein dichtes Dach – ohne Loch und Lücke.
Auch im übertragenen Sinn wünsche ich mir, dass das Dach meines Lebenshauses „wasserdicht ist”. Ich bin froh, wenn ich als Schüler nach Ostern die vorletzte Schulaufgabe geschrieben habe und weiß: Da kann jetzt nichts mehr passieren. So viele Sechser kann ich gar nicht mehr kassieren – ich bleibe nicht sitzen. Mancher Lehrer oder Staatsdiener ist froh, wenn er verbeamtet wird: Ja, jetzt bin ich unkündbar. Die Existenz ist gesichert. Allerlei Lebens- und Hausratversicherungen versprechen mir: Mit uns bist du voll und ganz gesichert – jetzt kann dir nichts mehr passieren!

Ja, liebe Gemeinde es ist unser Bedürfnis uns zu sichern, das Dach über den Kopf zu befestigen …. aber Jesus sagt: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
– Kein Dach
– Kein Kopfkissen
– Keine Sicherheit
– Allein das Vertrauen, dass sein Vater im Himmel ihm gibt, was er braucht.
Jesus ist da ein Gegenentwurf: Er tauscht die Sicherheit ein gegen ein unbedingtes Vertrauen auf Gottes Hilfe.
Ich bewundere so etwas, schaue respektvoll auf Menschen, die auch so leben, die viele oder gar alle Sicherheiten aufgeben, um allein auf Gott zu vertrauen. Aber ich weiß auch, wie schwer das ist: Vertrauen zu riskieren – in Gott und in Menschen – und dabei eben nicht jedes Risiko auszuschalten.

Das Dach unserer menschlichen Logik

So ein „sicheres Dach” haben wir Menschen uns auch im geistigen Sinn geschaffen: Ein Dach von gemeinsamen Erkenntnissen, Weltvorstellungen, von Naturgesetzen und Logik. Eine Welt, die erforscht und durchgerechnet ist. Alles lässt sich erklären. Und das, was wir uns nicht erklären können , das ist entweder nur vorläufig erklärbar, oder nur eine Täuschung.
Ich habe das Gefühl, wir haben unsere Welt hermetisch abgedichtet. Gegen Zufälle und Wunder, gegen Unerklärliches und Unglaubliches. Etwas kurz gefasst formuliert: Was ich mir nicht erklären kann, kann und darf es auch nicht geben. Wer anderes behauptet, der hat einen „Dachschaden” – dessen Weltbild ist nicht abgedichtet, der wird schnell zum Phantasten oder zum Irren erklärt.

Wie ist das, wenn man mal mit ganz „normalen” Menschen ohne kirchliche Bindung –  die so gut wie nie hier im Gottesdienst auftauchen – über so eine Erzählung, wie die Heilung diese Gelähmten diskutiert. Wenn man sagt: Ja, ich kann mir vorstellen, dass das so war, dass da wirklich einer gesund geworden ist; von jetzt auf gleich. Weil Jesus da war und da dieses Wunder gewirkt hat. Was für einen Blick kassiert man da?   Ist es Mitleid mit einen seltsamen Frommen? Oder entdecken sie schon die Frage in den Augen der Anderen: Hey, bist du noch normal? Das kann doch nicht dein Ernst sein, dass du sowas glaubst – das weiß doch jeder, dass es so was gar nicht geben kann ….

Haben wir Christen einen Dachschaden? Naja – irgendwie schon: Jedenfalls ist das Dach unseres Weltbildes nicht ganz dicht!

Und da öffnet sich das Dach über unseren Köpfen

Zurück in des Haus in Kapernaum. Waren es 50 Leute, die sich da in das 2-Zimmer-Häuschen hineingequetscht hatten oder sogar 80? Auf jeden Fall viel zu viele. Es ist nachmittags, 40 Grad im Schatten, im Haus ist es nicht kühler, nur stickiger und dunkler: Gedränge, Schweiß, verbrauchte Luft.  Wer weiß, wie viele aufgeatmet haben, als da jemand das Dach öffnete: Frische Luft, Licht, ein sanfter Luftzug. So ein Dach kann einen ja mächtig einengen und die Luft wegnehmen, und auch die freie Sicht nach oben. Da ist ein Dachschaden ja direkt ein Segen.  Ohne Dachschaden wäre an diesem Tag in Kapernaum nichts passiert, der Gelähmte hätte weiter sein tristes Dasein gefristet – und auch viele, die von dieser Begebenheit angerührt worden sind, müssten ohne diesen Anstoß für ihr Leben auskommen. Wie gut, dass die Freunde des Kranken einen Dachschaden riskiert haben!

Liebe Gemeinde,
haben Sie den Mut zum Dachschaden! Zum offenen Dach – oder zumindest zum Dachfenster in ihrem Leben. Damit das Licht Gottes hereinscheinen kann. Haben Sie den Mut, nicht immer nur auf Sicherheit zu gehen. Sondern ihr Dachfenster auch immer wieder mal zu öffnen. Wenn ich von Gott etwas erwarte, eine Veränderung, Hilfe oder gar ein Wunder, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mein inneres Dach zu öffnen. Das Dach meiner Logik und Naturwissenschaft bleibt da nicht immer heil. Wie soll Gott denn sonst überraschendes bewirken?

Wenn wir heute Abendmahl feiern, glauben wir an die Gegenwart Jesu in Brot und Wein. Naturwissenschaftlich ist das nicht erklärbar, aber wir wissen, wie vielen Menschen diese Feier gut tut, Mut und Kraft gibt – mehr als es gute Worte vermögen.
Und natürlich kanns da auch reinregnen. Wenn meine Gebete nicht erhört werden und meine Hoffnungen zerplatzen. Diese Erfahrung gehört auch dazu. Und doch glaube ich, lebt es sich gut – mit so einem offenem Dach – nennen Sie es Dachschaden oder Dachfenster:

Wenn ich abends ins Bett meines Lebenshauses gehe, im Gebet den Tag durchgehe und nach oben durch mein offenes Dach blicke: Zu den Sternen, die mich erinnern, dass mein Schöpfer das alles geordnet hat. Da fühle ich mich wohl und geborgen weil ich weiß, dass eigentlich Gott selbst mein Dach ist.

Amen

 

Bild: Matthias Preisinger/Pixelio.de

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